Fan-Gipfel zur Gewalt in Stadien:"Das Problem sind die, die nicht da sind"

Der Fan-Gipfel in Berlin zur Gewaltdebatte in den Fußballstadien wird als guter Anfang im Dialog mit dem Ligaverband gewertet. Erschwert wird die Situation durch Vorfälle im DFB-Pokal, wo Fans von Dynamo Dresden den Platz stürmten.

Boris Herrmann, Berlin

Hannover 96 - Dynamo Dresden

Ausschreitungen im Fußballstadion, hier beim Spiel zwischen Hannover 96 und Dynamo Dresden.

(Foto: dapd)

Der 1. FC Union hat zu einem Fan-Gipfel geladen. Rund 250 Fans und Fanvertreter von allen Klubs der ersten und zweiten Bundesliga sind am Donnerstag ins Vip-Zelt des Berliner Zweitligisten gekommen. Die erste Botschaft, die vom Tag ausgehen soll, ist auf dem Banner am Eingang zu lesen: "Heute geht's um uns." Denn das ist ja der größte gemeinsame Nenner aller organisierten (und oft in enger Feindschaft verbundenen) Anhänger in diesem Land: Die Politiker und die Fußball-Funktionäre reden mit zunehmendem Eifer über Fans - und nur äußerst ungern mit den Fans.

Der Eindruck ist nicht völlig aus der Luft gegriffen. Die zweite Botschaft aber, die von diesem Gipfel ausgesehen soll, lautet: Dann reden wir, die Masse, eben so lange und so laut, bis uns einer zuhört. Union hat sich - aus Berufung und mit Vermarktungsgeschick - an die Spitze der Gruppen gesetzt, die grob gesagt, eine Demokratisierung des Profifußballs fordern. Gleich zu Beginn wird im Impulsreferat eines Union-Fans der amerikanische Freiheitskämpfer Benjamin Franklin zitiert. Damit hängt die Latte hoch. Und es ist dann auch wenig überraschend, dass es im Lauf der gut sechsstündigen Veranstaltung niemand schafft, sie von da oben runterzuholen.

Andreas Rettig kommt der Latte noch am nächsten. Dass der designierte Geschäftsführer der Deutschen Fußball Liga (DFL) überhaupt im Publikum sitzt, dass er sich gewissermaßen an die feindselige Basis traut, das bringt ihm selbst bei dem einen oder anderen Ultra anerkennenden Applaus. Rettig sagt tapfer: "Ich sehe mich hier nicht als Angeklagten."

Er wolle stattdessen helfen, einen Dialog in Gang zu bringen und zu einer Versachlichung der Debatte auf allen Seiten beitragen. Rettig wird seinen Job beim Ligaverband zum 1. Januar 2013 antreten. Es zeichnet sich aber jetzt schon ab, dass er ein gewisses Versöhnungs-Potenzial mitbringt, dass er der verfahrenen Sicherheitsdebatte tatsächlich neue Impulse verleihen könnte.

Was am Mittwochabend beim DFB-Pokalspiel zwischen Hannover 96 und Dynamo Dresden passierte, hat dieses Vorhaben gewiss nicht erleichtert. Rund 1400 Dresdner Anhänger hatten mal wieder die Gelegenheit genutzt, sich fernsehwirksam daneben zu benehmen. Sie hatten vor dem Spiel versucht, Kontrollpunkte zu durchbrechen. Nach dem Abpfiff stürmten einige hundert den Rasen. Polizisten und Ordner wurden verletzt, 21 Randalierer vorrübergehend festgenommen. Auch Vertreter von Dynamo waren beim Fan-Gipfel dabei, sie wollten sich nicht zu den Vorfällen äußern. Der Klub sagte später, man sei "beschämt und empört".

Diplomatischer Durchbruch verfrüht

Rettig kritisierte die anwesenden - größtenteils vernünftigen Fans - offen dafür, dass sie sich nicht lautstark von Krawallmachern wie in Hannover distanzierten. Er sagte aber auch: "Damit wird den Hardlinern wieder in die Karten gespielt." Und das durfte man schon als scharfe Kritik an Politikern wie Lorenz Caffier (CDU), Vorsitzender der Innenministerkonferenz, verstehen.

Caffier hatte jüngst verkündet, die Zeit des Dialoges sei vorbei, jetzt müsse gehandelt werden. "Auch die Politik muss jetzt mal die Polemik weglassen", findet Rettig. Im Gegensatz zu Caffier scheint er erkannt zu haben: "Die Zeit von Befehl und Gehorsam ist in Deutschland vorbei." Auch dafür bekam er warmen Applaus.

Von einem diplomatischen Durchbruch zu sprechen, wäre trotzdem verfrüht. Es ist weiterhin nicht absehbar, dass das umstrittene DFL-Konzept mit dem Titel "Sicheres Stadionerlebnis" wie geplant am 12. Dezember auf der DFL-Mitgliederversammlung verabschiedet werden kann. Da kann Rettig noch so oft darauf verweisen, es handle sich um einen Diskussionsvorschlag.

Die organisierten Kurvengänger empfinden das Papier als oktroyiertes Gesetz mit dem Ziel, die Sanktionsmöglichkeiten zu verschärfen. Ein Großteil der Profiklubs lehnt die Vorschläge auf Druck seiner Anhänger ab. Sven Brux, der Sicherheitsbeauftragte des FC St. Pauli, brachte die Stimmungslage auf den Punkt: "Das Papier gehört in die Tonne!"

Rettig sagt trotzdem: "Grundsätzlich ist das ein guter Beginn." Er hat aber auch erkannt, woran die Berliner Debatte krankte. Das Problem sind ja nicht die Leute, die zu solchen Veranstaltungen kommen. "Das Problem", sagte Rettig, "sind die, die heute nicht da waren." Und das gilt sowohl für die abwesenden Krawallmacher als auch für abwesende Politiker und Funktionäre.

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