Facholympisch (23):Der Erzrivale

Die Konkurrenz sollte gehegt und gepflegt werden - sie gibt einem Sportereignis die nötige Würze und steigert die Freude über einen Sieg um ein Vielfaches. Aus der Reihe "Facholympisch".

Sarina Pfauth

1988, Olympische Spiele in Seoul. Man darf sagen: Die ganze weite Welt wartete auf dieses Duell. 100 Meter, Ben Johnson gegen Carl Lewis. Wäre einer der beiden Konkurrenten nicht angetreten, hätte das Rennen jeglichen Reiz verloren.

Facholympisch (23): Isabell Werth (l.) und Allzeit-Konkurrentin Anky Van Grunsven: Wer das Duell in Hongkong gewonnen hat, kann man an der Breite des Lächelns ablesen.

Isabell Werth (l.) und Allzeit-Konkurrentin Anky Van Grunsven: Wer das Duell in Hongkong gewonnen hat, kann man an der Breite des Lächelns ablesen.

(Foto: Foto: AP)

Johnson und Lewis sind ein Pärchen von vielen. Jeder ordentliche Sportler hat einen, und jede halbwegs erfolgreiche Sportnation auch: den Erzrivalen. Warum eigentlich?

Mal angenommen, es gäbe sie nicht mehr, die langjährigen Feindschaften und Rangeleien um Siege, Ruhm und Ehre. Dann bliebe wenig übrig von den ganz großen Gefühlen im Sport. Es wäre ein graues Nichts an Emotionen, das sich breit machen würde. Die fehlenden Erzrivalen würden eine Lücke hinterlassen, die sonst keiner füllen kann.

Was wäre ein Halbfinale des olympischen Fußball-Turniers, wenn die Brasilianer keine unbändige Freude daran verspürten, ihre alten Konkurrenten aus Argentinien vor der zuschauenden Welt aufs gemeinste zu demütigen? Ja, genau, es wäre langweilig.

Konkurrenz belebt das Geschäft

Dass das Pferd von Dressurreiterin Isabell Werth bockte, wäre nur halb so interessant gewesen, hätte es nicht ihrer Allzeit-Konkurrentin Anky van Grunsven zum Sieg verholfen. Und Chinas viele erfolgreiche Sportler wären dem Land sicherlich nicht so wichtig, wenn es mit dem Medaillenspiegel nicht auch den USA eins auswischen würde.

Apple gegen Mac, Oxford gegen Cambridge, Hamilton gegen Alonso: Konkurrenz mag in allen gesellschaftlichen Bereichen das Geschäft beleben, aber für Olympia sind Rivalitäten wesentlich. Zum Sport, jedenfalls zum Leistungssport, benötigt man andere, mit denen man sich vergleichen und messen kann. Es geht, anders als häufig von den Olympischen Spielen behauptet, eben nicht nur ums Dabei-Sein. Es geht vor allem ums Vergleichen, und es geht ums Siegen.

Im zweiten Abschnitt: Warum Rivalität unter Frauen so unbeliebt ist und was Dressurreiterin Werth nach ihrer Niederlage mit Konkurrentin van Grunsven gemacht hat.

Der Erzrivale

Ben Johnson gewann das Duell 1988 im Übrigen in 9,79 Sekunden. Später wurde die Goldmedaille Lewis zugesprochen, nachdem Johnson durch einen Dopingtest gefallen und disqualifiziert worden war. Jahre später wurde bekannt, dass Lewis einen Monat vor diesem Rennen ebenfalls positiv getestet wurde. Er durfte seine Medaille behalten.

Harte Brocken

Der Ausdruck Rivalität drückt ursprünglich die Nutzung eines Wasserlaufs durch zwei Nachbarn aus und wird vor allem gebraucht, um den Kampf um Vorherrschaft zu beschreiben. Es mag sein, dass Erzrivalen im Allgemeinen harte Brocken sind, die Vorsilbe Erz- hat in diesem Fall aber nichts mit Gestein zu tun. Sie dient zum einen als Steigerungsform für Adjektive und betont sie stark, der Duden nennt als Beispiel erzdumm. Zum anderen ist es die deutsche Übersetzung der griechischen Vorsilbe arche- , die alt oder ursprünglich bedeutet. Ein Erzrivale ist also, laut Duden, der schlimmste, langjährige Rivale; die Vorsilbe transportiert außerdem eine emotionale Verstärkung.

Olympia bietet ganz wunderbare Möglichkeiten, um diese Art der Konkurrenz zu pflegen. Alle vier Jahre geht es um Alles. Dann trifft man sich wieder, wie bei vielen anderen Wettkämpfen zuvor - aber wer bei Olympia siegt, der macht alle Niederlagen der vergangenen Jahre wett. Egal ob Mannschafts- oder Individualsportart, einzelne Menschen oder ganze Länder, Männer oder Frauen: Erzrivalen gibt es bei Olympia wie Sand am Meer.

Verdacht auf Zickenkrieg

Weibliche Rivalität ist im Sport allerdings wenig populär, ziemlich schnell gewinnt man damit den Ruf, einen Zickenkrieg zu führen - wie etwa Anni Friesinger und Claudia Pechstein bei ihrem sportlichen Schlagabtausch um Platz eins.

Bei allem Lob für die Spezies der Erzrivalen: Nun soll dieser Text am Ende natürlich keine Werbung für Intrigen, Aggressionen und Neid sein. Man darf an dieser Stelle vielleicht doch noch an den olympischen Gedanken erinnern und freundlich bitten: Vertragt euch. So wie die beiden Dressur-Königinnen Werth und van Grunsven, die nach ihrem Duell in Hongkong zusammen auf der Bühe des Regal Riverside Hotels getanzt haben. Werth trug eine orangefarbene Federboa und einen Oranje-Hut, van Grunsven schwenkte eine deutsche Fahne. Die beiden Dauerkonkurrentinnen der Dressur hatten offensichtlich ihren Spaß und sangen gemeinsam mit Bronze-Gewinnerin Heike Kemmer deutsche Schlager.

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