Exoten bei den Olympischen Spielen:Was ist schon dabei sein?

Die sogenannten Exoten liefern immer bunte Geschichten. Doch aus diversen Gründen sollte sich das IOC überlegen, ob ihre Auftritte wirklich zu Olympia gehören. Gedanken zum "Dabei sein ist alles".

M. Neudecker

Marjan Kalhor steht in der Mixed Zone der alpinen Rennstrecke von Whistler Creekside, irgendjemand reicht ihr eine iranische Fahne. Dann gibt sie Interviews, unzählige Diktiergeräte werden ihr entgegengestreckt, die Reporter drängeln sich an den Zaun, danach kommen die Fernsehteams, sie filmen, fragen, es ist ein bisschen so, als sei Marjan Kalhor Maria Riesch.

Dabei ist Marjan Kalhor, 22 Jahre alt, Startnummer 85, ziemlich weit von den Spitzenfahrerinnen wie Maria Riesch entfernt. Nach dem ersten Durchgang im Riesenslalom hat sie 21,75 Sekunden Rückstand auf die Führende, einundzwandzig Sekunden. Damit ist sie, natürlich, Letzte. Aber Marjan Kalhor ist die erste Iranerin bei Olympischen Winterspielen, sie ist eine Attraktion in Whistler Creekside.

Man kann da nun mehrere Fragen stellen, zum Beispiel die, warum Marjan Kalhor hier ist - als Kritikerin ihres Regimes, als Botschafterin oder nichts dergleichen? Nach dem Rennen jedenfalls steht ein Mann vom Nationalen Olympischen Komitee mit einer Kamera bei Marjan Kalhor, er interviewt sie als Erster, und dann übersetzt er ihre Antworten. Das muss er, weil Marjan Kalhor so gut wie kein Englisch spricht. "She is very happy", sagt der Mann, dessen Englisch eigentlich für ein Interview auch nicht ausreicht, "everything good, everything fine".

Ob Marjan Kalhors Auftritt nun eine politische Dimension hat oder nicht, ist schwer zu sagen. "Ein großer Tag für die Frauen in Iran" sei es gewesen, das sagt immerhin ihr Bruder Rostam Kalhor, der auch ihr Trainer ist. Wie die Menschen in Iran auf sie reagieren? "Wir sind jetzt zwei Wochen hier, da kriegen wir von zu Hause nichts mit", sagt Rostam.

Doch vor allem muss man die Frage stellen, ob das IOC nicht langsam überlegen sollte, ob Auftritte wie jener von Marjan Kalhor wirklich zu Olympia gehören. Olympia ist in erster Linie eines: ein sportlicher Wettkampf, bei dem der Beste eine Goldmedaille bekommt. Welchen Wert hat ein sportlicher Wettkampf mit 86 Athleten, von denen 20 acht Sekunden und mehr Rückstand haben, elf Fahrerinnen sogar mehr als zehn Sekunden? Und wo beginnt nun die Grenze, die zwischen Sport und Politik unbedingt immer verlaufen sollte?

Eine Persiflage des "Höher, schneller, weiter"

Die Geschichten der sogenannten Exoten sind, zugegeben, gern erzählte bei Olympischen Spielen. Der Skispringer Michael "Eddie the Eagle" Edwards hat es in Calgary 1988 zu Kultstatus gebracht, dem Langläufer Philip Boit aus Kenia gelang selbiges 1998 in Nagano, als 92. von 92 Startern. Warum ist aber gerade Olympia, das höchste und bedeutendste aller Sportfeste, das Fest der Amateure?

"Dabei sein ist alles", so lautet der olympische Leitspruch, der auch weiterhin unbedingt in Ehren gehalten werden muss. Das andere olympische Motto aber, "höher, schneller, weiter", scheint von Startern wie Boit und Kalhor geradezu persifliert zu werden. Die Debatte, ob sie dennoch weiterhin bei Olympia starten sollten, wird aber wohl nie zu Ende sein; Argumente gibt es für beide Seiten ja genügend.

Die Winterspiele von Vancouver haben allerdings einen weiteren Gedanken hinzugefügt. Auf der Bob- und Rodelbahn kam es zu einem Todesfall, woraufhin einige Athleten kritisch anmerkten, die Bahn sei für ebenjene "Exoten" nicht geeignet, weil zu gefährlich. Das IOC, das Organisationskomitee Vanoc und nicht zuletzt der Bahnbauer aber wandten ein, man sei schließlich bei Olympia, man müsse da eine würdige sportliche Herausforderung bieten. Selbiges galt für die Abfahrt der Frauen, wo nach zahlreichen Stürzen dennoch unterstrichen wurde, wie wunderbar anspruchsvoll der Kurs gewesen sei.

Nun denn: Willkommen bei Olympia, Marjan Kalhor.

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