Europaspiele in Baku:Ein Fest für den Autokraten

SPAIN TRAINING SESSION

Lieblingssport der Herrschergattin: Mehriban Alijew gefallen die Darbietungen in der Rhythmischen Sportgymnastik - hier die spanische Equipe beim Training in Baku.

(Foto: Emilio Naranjo/dpa)
  • Der Sport bereitet erneut einem umstrittenen Regime die Bühne: In Aserbaidschan beginnen die ersten Europaspiele.
  • Das Projekt gilt vielen als fragwürdig. Einem dient es jedoch: der Herrscherfamilie Alijew.

Von Johannes Aumüller

Eine olympische Staffel der besonders zweifelhaften Art hat sich da zusammengefunden. Einen Part des Fackellaufes übernimmt Ilham Alijew, der Vater des Clans und autoritäre Präsident Aserbaidschans. Einen anderen sein Sohn Heydar. Einen dritten Mehriban, die Ehefrau, und einen weiteren Leyla, die Tochter. Jeder aus der Herrscherfamilie darf mal ran, und somit illustriert diese Fackelstafette durch die Straßen Bakus trefflich, was die Sportwelt von Freitag an erwartet, wenn in der Hauptstadt des öl- und gasreichen Landes die ersten Europaspiele starten: ein großes Fest als Propagandabühne für einen Autokraten und seine Familie - und der internationale Sport hofiert mal wieder nach Kräften mit.

Es gibt genügend Funktionäre, die diese Veranstaltung als überflüssig empfinden. Schließlich füllen diverse Welt-, Europa- und sonstige Meisterschaften den Terminkalender schon genügend. Aber das Europäische Olympische Komitee (EOC) um seinen irischen Chef Pat Hickey wollte partout seine eigenen Kontinental-Spiele, wie sie auf anderen Erdteilen längst Usus sind. Jetzt kommen für zwei Wochen knapp 6000 Athleten aus 20 Sportarten in Baku zusammen. Der fachliche Wert ist von Disziplin zu Disziplin unterschiedlich: Bei manchen geht's um die Olympia-Qualifikation, andere schicken nur den Nachwuchs, wieder andere fehlen ganz und machen Platz für Randsportarten wie Sambo.

Aber sportpolitisch fügen sich die Europaspiele in den großen Bogen, der seit einigen Jahren zu bemerken ist: Die großen Veranstaltungen landen vermehrt in autokratischen oder diktatorischen Ländern, die daraus dann eine große Show machen. In Aserbaidschan monieren Organisationen wie Amnesty International oder Reporter ohne Grenzen schon seit Jahren die Lage: viel Korruption, keine Presse- und Meinungsfreiheit. Doch der Sport verteidigte seine Wahl mit einem seiner klassischen und aus Events an schlecht beleumundeten Orten von Peking bis Sotschi erprobten Argumente: Wenn wir in solche Länder gehen, richtet sich das Auge der Weltöffentlichkeit dorthin, dann zeigen sich Missstände, und es ändert sich auch etwas.

Zuletzt hat die Welt 2012 intensiver nach Aserbaidschan geschaut, zum Eurovision Song Contest (ESC). Kurz danach wurde Baku ohne Gegenkandidat zum Ausrichter der Europaspiele gekürt. Seitdem hat sich in der Tat viel geändert - nach Meinung der Experten zum Schlechteren. "Die Welle der Repression war unglaublich, so etwas haben wir seit unserer Unabhängigkeit noch nicht erlebt", sagt der Regimekritiker Emin Milli, der nach zwei Gefängnisaufenthalten in Baku nun in Berlin lebt und von dort aus das Internetportal meydan.tv betreibt.

Sport schweigt nahezu geschlossen

2014 seien die letzten Nichtregierungsorganisationen praktisch geschlossen worden. Reporter ohne Grenzen spricht von einer Verschärfung der Lage. Die Journalistin Khadija Ismajlowa, die mit ihren Recherchen belegen konnte, wie sich Mitglieder des Alijew-Clans bereichern, oder der Menschenrechtler Rasul Jafarow, der Wahlbeobachter Anar Mammadli oder das Aktivisten-Ehepaar Junus - sie alle sitzen im Gefängnis oder warten auf ihre Strafen. Von insgesamt 100 politischen Gefangenen spricht Emin Milli: "Alle Leute, die während des Eurovision Song Contests kritische Interviews gegeben haben, sind entweder im Gefängnis oder im Ausland. Das wurde extra gemacht, damit es vor den Europaspielen wenige kritische Leute gibt, die sich gegenüber den internationalen Medien äußern können."

165 Deutsche

Vom 12. bis 28. Juni finden in Aserbaidschans Hauptstadt Baku die ersten Europaspiele statt. Die Millionen-Metropole am Kaspischen Meer, der einzige Bewerber, erhielt 2012 den Zuschlag bei der Generalversammlung der Europäischen Olympischen Komitees (EOC). Insgesamt werden 265 deutsche Athleten starten - 124 Frauen und 141 Männer. Bei den Europaspielen werden 253 Goldmedaillen vergeben, dabei finden auch Wettkämpfe in nicht-olympischen Sportarten wie Strandfußball oder Karate statt. dpa, sid

Der Sport schweigt nahezu geschlossen zu diesen verheerenden Zuständen. Kürzlich monierte immerhin der deutsche Athletensprecher Christian Schreiber die Lage und forderte die Freilassung der politischen Gefangenen. Aber mit solch klaren Äußerungen steht er weitgehend alleine da. Von EOC-Chef Hickey oder IOC-Präsident Thomas Bach sind keine kritischen Worte zu vernehmen, aber vom Wochenende an werden viele Mitglieder der olympischen Familie in Baku zu Gast sein und es sich gutgehen lassen in der schicken Metropole, die dank der gewaltigen Einnahmen aus Bodenschätzen nur so vor sich hin prunkt. Ein geschlossener Verzicht kam für keine Nation infrage; Deutschland stellt sogar eine der größten Delegationen.

Die Haltung des Sports verwundert nicht. Alijew und seine aserbaidschanische Regierung gehören schon lange eng zur Sportfamilie. Der Staatspräsident ist zugleich Vorsitzender des Nationalen Olympischen Komitees, drei weitere Mitglieder des Clans sitzen in diesem Gremium. Eines der ersten Sportprojekte im Land war die WM der Rhythmischen Sportgymnastinnen, weil diesem Verband Alijews elegante und nicht alternde Gattin Mehriban höchstselbst vorsaß. 2012 erhielt Baku nicht nur die Europaspiele, sondern startete auch sein Trikotsponsoring beim spanischen Spitzenklub Atletico Madrid; über den Geschäftsmann Hafiz Mammadow ist das Land auch noch bei anderen europäischen Klubs wie etwa dem FC Porto involviert. Von 2016 an soll es Formel-1-Rennen in Baku geben, bei der europaweit ausgetragenen Fußball-EM 2020 finden dort Gruppenspiele und ein Viertelfinale statt. Und im Hintergrund schwingt immer der Wunsch nach Olympischen Spielen mit.

Die Europaspiele sollen der Testlauf dafür sein. Viel Geld hat Aserbaidschans Staatskasse ausgegeben, offizielle Zahlen gibt es nicht, nach Schätzungen sind es zwischen vier und sechs Milliarden Dollar. Mehr als ein Dutzend Sportstätten sind entstanden. Wer dabei wie profitiert hat, ist eine Frage, die die Kritiker gerade stellen. Die teilnehmenden Nationen hat Aserbaidschans Regierung auch geködert, der Ausrichter übernimmt einen Großteil der Reisekosten - in einem Land, in dem die Präsidentenfamilie zwar sehr reich ist, aber viele Menschen mit wenigen Hundert Dollar pro Monat auskommen müssen.

Die nächsten PR-Spiele eines Autokraten können also beginnen - und es dauert nicht mehr lange, dann darf sich wieder ein umstrittenes Regime auf olympische Aufwertung freuen. Ende Juli kürt das IOC den Ausrichter der Winterspiele 2022. Zur Wahl stehen noch: Almaty/Kasachstan und Peking/China.

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