Europameisterschaft im Turnen:Geheilte Wunden

Der genesene und gereifte Fabian Hambüchen führt ein umgestaltetes deutsches Turn-Team bei der Europameisterschaft an.

Volker Kreisl

Die Olympischen Spiele in Peking liegen zwar schon ein halbes Jahr zurück, und doch könnte man sagen, der neue Olympiazyklus beginnt erst jetzt. Dazwischen lag eine ruhigere Phase des Turnens. Die Sportler regenerieren dabei, sie unterziehen sich aufgeschobenen Operationen, bauen ihre Kräfte auf, studieren die überarbeiteten Wertungen und passen ihre Übungen dem neuen Katalog an. Allmählich gewöhnen sie sich dann in die Hochleistungsphase ein, was nicht immer reibungsfrei geht. Dann zieht der Frühling ins Land und der Deutsche Turnerbund vermeldet erste Erfolge, zunächst geht es dabei allerdings um Genesungen.

Fabian Hambüchen

Fabian Hambüchen ist fit für die Europameisterschaft.

(Foto: Foto: dpa)

Am Donnerstag beginnt in Mailand mit der Qualifikation der Frauen die Europameisterschaft. Der erste Wettkampf der Männer folgt am Freitag, und etwa seit einer Woche ist gesichert, dass Fabian Hambüchen, der Olympia-Dritte am Reck, schmerzfrei antreten wird. Die Fußprellung, die er sich beim Weltcup in Cottbus im Barren-Training zugezogen hat, belästigt ihn nicht mehr, und auch die Schürfwunden nach seinem spektakulären Reckabsturz dort sind vergessen. Sein Wintertraining hatte er ohnehin umgestellt nach der Fingeroperation im November.

Ohne Eingriff ist die Hand von Philipp Boy verheilt. Er hatte sich vor zwei Wochen den Finger nur gestaucht, einen letzten Belastungstest für die EM hat Boy soeben bestanden. Seit längerem ist auch Anja Brinker zurück nach ihrer langwierigen Fersenmalaise. Brinker zählt zu den wenigen Gesunden, die Liste der geschwächten Frauenriege liest sich wie die Krankenstatistik eines Fußballklubs vor Saisonende. Oksana Tschussowitina (Achillessehnenriss), Marie-Sophie Hindermann (Fersen-Operation), Jenny Brunner (Pfeiffersches Drüsenfieber), Joeline Möbius (Rückenprobleme) und Susann Herbst (Reha nach Bronchitis) pausieren.

Die deutschen Teams sind jünger geworden, teils auch wegen dieser Aus- fälle. Der älteste EM-Turner 2009 ist Robert Weber mit 24 Jahren, seit Robert Juckel (SC Cottbus) bei großen Meisterschaften nicht mehr antritt. Und nach der Verletzung von Tschussowitina und dem Rücktritt von Katja Abel sind bei den Frauen diesmal nur zwei deutsche Turnerinnen am Start: Anja Brinker, 18, und Kim Bui, 20.

Trotz der Verjüngung ist es kein Generationswechsel, bei dem Unbekannte plötzlich in den Vordergrund gestellt werden. Den Fans sind die Namen der jungen Turner geläufig, und für die ist es nichts Neues, auf einem großen Podium aufzutreten. Schon seit 2005 haben die Trainer Andreas Hirsch (Männer) und Ulla Koch (Frauen) ihren Talenten immer mehr Einsätze ermöglicht. Mit der Männerriege haben viele bereits WM- oder EM-Medaillen gewonnen. Was sich nun vollzieht, ist ein Aufgabenwechsel. Früher wurde den Athleten mehr nachgesehen, nun wächst ihre Verantwortung.

Die Erwartungen der Öffentlichkeit richten sich allerdings immer noch auf Fabian Hambüchen. So lange er in Form und die Reckstange nicht zu rutschig ist, kann die Mannschaft mit einer sicheren Menge an Punkten rechnen. Und auch bei einer Einzel-EM - in Mailand werden Medaillen im Mehrkampf und an den Einzelgeräten vergeben - geht es in den Medien weniger um Boy oder Weber, um Marcel Nguyen, Matthias Fahrig oder Thomas Taranu, sondern um den 21-jährigen Turner aus Wetzlar.

Erfahrungen mit Rückschlägen

Hambüchen hat in diesem Jahr den American Cup in Chicago gewonnen, dabei aber auf Sicherheit geturnt. Bei der EM will er nur in der Qualifikation taktieren, er sagt: "In den Endkämpfen will ich alles zeigen, was möglich ist." Am Reck hat er die vergangenen drei Europameisterschaften gewonnen und ist ohnehin Favorit. Gestiegen sind seine Chancen auch im Mehrkampf, seit der Russe Maxim Dewiatowski abgesagt hat.

Die Frauenriege, die ein Duo ist, hat es schwerer. Der Hambüchen der Frauen, das war bis vor kurzem Oksana Tschussowitina, doch nun fehlt die Silbermedaillengewinnerin von Peking, und Kim Bui und Anja Brinker sind alleine verantwortlich dafür, wie sich das deutsche Frauenturnen international präsentiert. Allerdings gibt es Anzeichen, dass sie in Mailand die Aufgabe meistern. Beide haben Erfahrungen mit Rückschlägen.

Bui war weder im WM- noch im Olympia-Kader, in ihrem Ehrgeiz ließ sie sich dadurch nicht bremsen. Sie ist eine sichere Mehrkämpferin und ihre Bodenübung erreicht überdurchschnittliches Niveau. Brinker konzentriert sich noch auf den Stufenbarren, sie zeigte in Cottbus einen Ausgangswert von 6,2 Punkten, was zum Sieg reichte. Beide sind also gereift - und kerngesund.

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