Europameisterschaft:Deutsche Handballer feiern mit der Schale beim Italiener

Deutsche Handballer feiern EM-Sieg

Dagur Sigurðsson: Neuer Lieblings-Isländer der Deutschen

(Foto: dpa)
  • Eine ähnliche Handball-Begeisterung hatte es zuletzt 2007 gegeben, als Deutschland Weltmeister wurde.
  • Der Trainer glaubt sogar, dass es in Deutschland so viele begabte Spieler gäbe, dass man sämtliche Ausfälle kompensieren könnte.
  • Trotzdem warnen schon die ersten, dass es auch Rückschläge geben kann.

Von Felix Meininghaus, Krakau

Etwas mehr als zwei Stunden waren seit der Schluss-Sirene vergangen, da stürmte Carsten Lichtlein die Bar des Mannschaftshotels "Double Tree" in der polnischen Studentenstadt Krakau. Der Torhüter hatte eine Deutschlandfahne um die Schultern gewickelt und ließ sich von den Fans feiern. Mit 35 Jahren gehört der Gummersbacher zu den wenigen Routiniers einer Mannschaft, die kurz zuvor Geschichte geschrieben hatte. Lichtlein ließ sich ein Bier reichen und gab die Losung für die Nacht aus: "Egal, was passiert, ich gehe heute nicht schlafen."

Warum auch, wenn es so viel zu feiern gibt: Deutschland ist Handball-Europameister. Bei einem Italiener in der Krakauer Innenstand feierte die Mannschaft, die Schale im Gepäck. Dass dieses Team in Polen mit dieser Besetzung den Titel holte, ist nicht weniger als eine Sensation. Viele Nationen hatten die Experten vor Turnierbeginn auf dem Zettel, die Deutschen gehörten nicht dazu. Natürlich die Franzosen, das Team um den Jahrhundert-Handballer Karabatic, die in der vergangenen Dekade alles abräumten. Oder die physisch und nervlich so starken Dänen, die unglaublich routinierten Spanier, Gastgeber Polen mit seinem gewaltigen Rückraum und die spielstarken Kroaten. Sie alle mussten sich geschlagen geben, weil die Rasselbande aus Deutschland etwas dagegen hatte.

So viel Leidenschaft, so viel ungebremster Wille, so viel Glaube in die eigene Stärke, das erinnerte frappierend an die jungen Wilden aus Dortmund, die 2011 unter Jürgen Klopp zur Deutschen Meisterschaft galoppierten und gar nicht wussten, was sie da bewegten. Nun also ein Handball-Märchen, das Deutschland in seinen Bann zieht. 12,98 Millionen Zuschauer in der Spitze sahen die Übertragung des famosen Finalauftritts gegen Spanien in der ARD, was einem Marktanteil von 42 Prozent entspricht. "Wir haben in Deutschland offenbar eine Euphorie entfacht", sagte der famose Torhüter Andreas Wolff. Eine ähnliche Begeisterung hat es für Handball zuletzt 2007 gegeben, als das Team des damaligen Bundestrainers Heiner Brand bei der WM vor heimischer Kulisse das Wintermärchen verwirklichte.

Brand stand für Bodenständigkeit und seinen mächtigen Schnauzbart. Nun heißt der Bundestrainer Dagur Sigurðsson, der Isländer hat viele Innovationen in seine Sportart gebracht. Der 42-Jährige lässt mit einer taktischen Vielfalt spielen, die alle beeindruckt, die sich näher mit Handball beschäftigen. Was auch immer an Herausforderungen an seine Mannschaft gestellt wurden, Sirgurdsson kannte eine Antwort. Auch der Umstand, dass zahlreiche Stammspieler verletzt passen mussten, beeindruckte Sigurðsson nicht. Immer wieder betonte er, es seien so viele begabte Spieler im Land, dass sämtliche Lücken zu füllen seien. Das Selbstverständnis dieser Mannschaft formulierte Lichtlein so: "Es fallen keine Spieler aus, es kommen einfach neue dazu."

Diese Generation könnte eine Ära gestalten

Ihr Meisterstück machten die Himmelsstürmer im Finale, als sie den Spaniern beim rauschhaften 24:17 (10:6) den letzten Nerv raubten. Eine solch fulminante Abwehrleistung hat die Handballwelt schon lange nicht mehr gesehen. Dazu kam mit Andreas Wolff ein überragender Rückhalt. Der 24-Jährige von der HSG Wetzlar machte das Spiel seines Lebens und hielt die Hälfte aller Würfe. Ein überragender Wert.

Wolff ist einer von vielen, die sich in Polen ins Rampenlicht spielten. Deutschland schickte bei der EM das jüngste Team ins Rennen und holte am Ende dennoch den Titel. Ein Umstand, der die Fantasie beflügelt. Diese neue Generation könnte im Welt-Handball durchaus eine Ära gestalten, schließlich haben Spieler wie Abwehrchef Finn Lemke, Fabian Wiede, Hendrik Pekeler, Erik Schmidt, Rune Dahmke, Julius Kühn oder Jannik Kohlbacher ihre besten Jahre noch vor sich, während sich die goldene Generation Frankreich auf der Zielgeraden ihrer Laufbahn befindet.

Das weiß auch Sigurðsson: "Wir können noch lange zusammenbleiben", betont der Baumeister des neuen deutschen Höhenflugs. Mehr noch: "Wir haben in Deutschland 30 bis 40 Spieler, die dieses Niveau erreichen können." Solche Aussagen beflügeln die Träume aller Handballfans im Land. Der EM-Triumph hat nämlich den willkommenen Nebeneffekt, dass die Nationalmannschaft das Ticket für die Olympischen Spiele in Rio buchte und sich damit die kraftzehrende Qualifikationsprozedur erspart. Seit die DDR 1980 in Moskau mit Gold dekoriert wurde, haben deutsche Handballer beim wichtigsten Turnier nicht mehr triumphiert. Das könnte sich im Sommer ändern, auch wenn Bob Hanning warnt: "Vorsicht Leute, es wird auch Rückschläge geben."

Der ebenso streitbare wie innovative DHB-Vizepräsident Sport denkt längerfristig. Er hat geplant, dass Deutschland bei der Heim-WM 2019 ganz oben ankommt, um im Jahr darauf in Tokio Olympiagold zu holen. Dass Dagur Sigurðsson und seine jungen Wilden, die sich "Bad Boys" nennen, den Chefstrategen in Polen mit Vollgas überholt haben, nimmt der Berliner lächelnd zur Kenntnis: "Damit kann ich sehr gut leben."

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