Europa League:Schalke fürchtet den Ausverkauf der Spitzenspieler

Borussia Moenchengladbach v FC Schalke 04 - Bundesliga

Seit Wochen der beste Schalker: Leon Goretzka überzeugt - im Gegensatz zu seinen Mannschaftskameraden.

(Foto: Maja Hitij/Getty Images)

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Den Zorn der Fans hat Leon Goretzka, 22, schon zu spüren bekommen, als er noch bei seinem Heimatverein in der zweiten Liga spielte. Der VfL Bochum musste damals in Aue im fernen Erzgebirge antreten, wo der Winter früher vorbeischaut als im Westen, weshalb an jenem Nachmittag im Oktober eine geschlossene Schneedecke den Rasen im Sparkassen-Stadion zierte. Dennoch begann es gut für den VfL, Zlatko Dedic durfte nach fünf Minuten einen Elfmeter schießen, doch sein Versuch schlug fehl, und dann wurde es furchtbar für die Gäste. Aue gewann 6:1, das war übel für die Bochumer, noch übler fand es der 18 Jahre alte Goretzka, dass die mitgereisten VfL-Fans eine Schneeballschlacht veranstalteten - mit den Spielern als Zielen. Außer dem jungen Goretzka gehörte auch der junge Christoph Kramer zu den Opfern der Wurfgeschosse.

Im Laufe der internationalen Begegnungswochen zwischen Schalke 04 und Borussia Mönchengladbach feiern die beiden Nationalspieler in diesen Tagen ein ständiges Wiedersehen. Am Samstag beim Punktspiel im Borussia-Park standen sie einander im Mittelfeld gegenüber, danach trennten sich ihre Wege. Kramer ließ sich mit den Kollegen für Borussias 4:2-Sieg feiern, Goretzka nahm den Büßer-Weg zur Fan-Kurve. Zwar hatten Schalkes Anhänger keine Schneebälle zur Hand, aber sie schimpften dafür umso leidenschaftlicher auf die Verlierer. Eine geschlagene Minute standen diese schweigend vor der Kurve und ließen die Zornreaktionen über sich ergehen.

Drastische Eigenart der Vereinsliebe

Leon Goretzka kennt solche Situationen aus der vorigen Saison. Und aus der vorvorigen Saison ebenfalls. Vereinte Wutausbrüche der Schalker Tifosi scheinen ein periodisches Phänomen zu sein, das macht sie aber nicht angenehmer oder sympathischer. Julian Draxler ist nicht zuletzt aufgrund dieser Tiraden, die ihn als Eingeborenen besonders trafen, aus Gelsenkirchen geflohen. Leon Goretzka hat bisher keine Auskunft darüber gegeben, wie er über diese drastische Eigenart der Vereinsliebe denkt, aber dass sie dazu beitragen könnte, ihm die Lust auf Schalke zu nehmen, das ist womöglich keine abwegige Annahme. Mindestens ebenso problematisch sind allerdings die regelmäßigen sportlichen Frühjahrskrisen in Gelsenkirchen.

Vor dem ersten Treffen mit Mönchengladbach in der Europa-League (dem Christoph Kramer wegen einer Sperre fern bleiben muss) beherrschen Ängste die Stimmungslage, die mit dem auf Schalke außerordentlich beliebten Wettbewerb wenig zu tun haben. Einerseits befürchtet man die Verwicklung in den Abstiegskampf der Bundesliga (und ein unwillkommenes Wiedersehen mit Jens Keller/Union Berlin, oder Horst Heldt/Hannover 96), andererseits den Ausverkauf der Spitzenspieler, allen voran den Verlust von Goretzka.

Goretzka ist imstande, sein Team mitzuziehen

Ohne Europapokal, darüber ist sich die im öffentlichen Diskurs stets tonangebende Pessimisten-Fraktion einig, werde der Nationalspieler nicht zu halten sein. Dessen Vertrag läuft bis 2018, die Absprache über eine Verlängerung ist nicht in Sicht, weshalb im Sommer die übliche Grundsatzfrage droht: Mit dem vorzeitigen Verkauf des Mittelfeldspielers das Konto zu füllen oder die Vertragsfrist einzuhalten und damit den ablösefreien Weggang im folgenden Jahr zu riskieren.

Manager Christian Heidel erklärt, es bestehe kein Grund zur Hektik, man habe "einen Fahrplan". Allerdings hat der Verein mit dem Dilemma schon bei Joel Matip schlechte Erfahrungen gemacht. Er durfte sich ohne Gegenleistung dem FC Liverpool anschließen. Bei Sead Kolasinac ist es nun ähnlich, der Vertrag endet im Sommer, es wird verhandelt. Heidel hofft, dass der Verteidiger seinen Stammplatz auf Schalke wählt anstatt einer ungewissen Zukunft bei Juventus Turin oder beim FC Chelsea, der Fußballer im Dutzend günstig erwirbt, um mit ihren Marktwerten zu spekulieren.

Coolness und Ruhe fehlen Goretzka noch

Experten halten Goretzka für gut genug, um beim FC Bayern zu spielen, und tatsächlich gibt er in seinen besten Augenblicken immer wieder Anlass zu hochfliegenden Erwartungen. Goretzka ist bisher nicht der Spieler, der Partien mit einer Aktion entscheidet. Steilpässe nach Art von Uwe Bein spielt eher sein Nebenmann Nabil Bentaleb. Dafür ist Goretzka imstande, seine Elf zu treiben und mitzuziehen, seine Vermögenswerte sind Dynamik, Technik, Tempo, Durchsetzungskraft. Auch der Distanzschuss zählt zu seinem Repertoire, doch dann zeigt sich oft, was ihm noch fehlt: die Coolness und die Ruhe im richtigen Moment. Manche wünschen Goretzka einen Lehrmeister wie Pep Guardiola, der seine Aus- und Fortbildung zur persönlichen Mission erhoben hat. Markus Weinzierl hat auf Schalke derzeit andere Sorgen.

Am Mittwoch hat sich Goretzka um bessere Stimmung bemüht. "Das Spiel in der Liga haben wir deutlich verloren. Es ist für uns super, das jetzt wiedergutmachen zu können", sagte er, bevor er ans verehrte, aber gefürchtete Publikum eine dringende Empfehlung richtete: "Wir brauchen unsere Fans. Ich hoffe, dass keiner unruhig wird, wenn es lange 0:0 steht." Immerhin ist kein Schneefall zu erwarten.

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