Europa League:Liebe führt Sevilla zum historischen Sieg

  • Dritter Erfolg in Serie des FC Sevilla in der Europa League, das gab es noch nie.
  • Das Finale gegen Liverpool entscheiden die Spanier in der Halbzeit, 17 Sekunden nach Wiederanpfiff erzielen sie den Ausgleich.
  • Trainer Unai Emery sagt: Die Europa League sei für seinen Verein wie eine zweite Ehefrau.

Von Sebastian Fischer, Basel

Vielleicht ist die Erklärung ja einfach Liebe. Coke, der Kapitän dieser Mannschaft der wundersamen Namenlosen, saß mit verträumtem Blick im Bauch des Stadions, das er soeben verzückt hatte. Er sprach von seiner Frau. Dass er ihr dankbar sei für ihre Geduld an all den Abenden, an denen er nicht zu Hause ist, sondern in Europas Stadien Fußball spielt. Neben ihm saß sein Trainer Unai Emery, der aussieht wie ein vegetarischer Graf Dracula. Er hatte schon tags zuvor davon gesprochen, die Europa League sei für die Sevillistas so etwas wie eine zweite Ehefrau.

Coke und Emery hatten also am Mittwochabend im Finale der Europa League gegen den FC Liverpool nichts anderes getan, als ihren Partnerinnen ihre Liebe zu beweisen.

Oder soll es etwa eine rationale Erklärung dafür geben, dass der FC Sevilla nun als erste Mannschaft dreimal in Serie die Europa League gewonnen hat? Und dass, wenn in eineinhalb Wochen das Finale der Champions League zwischen Atlético und Real Madrid vorüber ist, innerhalb von drei Jahren sechs europäische Titel an spanische Teams gegangen sind? Dafür, dass Spanien die Klubwettbewerbe nach Belieben zu dominieren scheint?

Emery, 44, der bei allen drei Triumphen des FC Sevilla der Trainer war und der am Mittwoch in Basel seine Mannschaft zu einem überlegenen 3:1-Sieg gegen Jürgen Klopp und den FC Liverpool dirigiert hatte, versuchte sich an einer Erklärung. Er habe da eine Theorie, sagte der Baske, eine zugegeben ziemlich simple: "competición". Spanier seien mit besonderem Geist für den Wettbewerb ausgestattet, sagte er: "Wir wollen den Wettbewerb." Und, natürlich: "Wir lieben den Wettbewerb." Das Spiel gegen am Ende chancenlose Liverpooler war Ausweis dessen.

Dass der Abend besonders würde enden können, das hatte sich in einer beinahe mystischen Szene vor dem Spiel schon angedeutet. Ramón Rodríguez Verdejo, genannt Monchi, war als Erster für den FC Sevilla auf den Rasen gelaufen. Der Sportdirektor des Klubs, der das Team über Jahre zusammengestellt und aus der zweiten Liga bis in den Europapokal geführt hat, lief eine Stunde vor Anpfiff hinaus in den strömenden Regen, die Fans feierten ihn, sie feierten die Mannschaft.

Ein paar Minuten lang standen die Spieler da - in feinen grauen Pullovern über weißen Hemden. Sie sahen auf dem Bildschirm die Szenen der vergangenen beiden Finalspiele 2014 und 2015 und der Triumphe 2006 und 2007 - und plötzlich setzte der Regen aus. Es sollte ihr Abend werden, wenn sie nur lange genug ausharrten.

Klopp beklagt Fehlentscheidungen

So ähnlich, erklärte nach dem Spiel Coke, habe die Halbzeitansprache seines Trainers geklungen. Eine Halbzeit lang hat Sevilla einfach nur durchhalten müssen. Eine Phase des Abtastens zu Beginn ausgenommen, waren es Klopps Liverpooler, die das Spiel kontrollierten. Zunächst auf wilde Art und Weise, mit harter Zweikampfführung und Grätschen und der ohrenbetäubenden Kulisse Tausender Liverpool-Fans im Rücken.

Das traumhafte Führungstor durch einen Außenrist-Schlenzer von Daniel Sturridge war verdient, ein 2:0 wäre es auch gewesen, weil Liverpool gegen Ende der ersten Halbzeit auch spielerisch überzeugte und weil Schiedsrichter Jonas Eriksson zwei Handspiele in Sevillas Strafraum nicht mit Elfmeter bestrafte. Jürgen Klopp sprach hinterher von "vier offensichtlichen Fehlentscheidungen gegen uns". Doch spielentscheidend war etwas anderes gewesen. "Wir müssen uns an unseren Plan halten", das habe Klopps Kollege Emery in der Kabine gesagt, verriet Coke. Sie hielten sich dran.

Ein paar Sekunden waren in der zweiten Halbzeit gespielt, da lief Sevillas brasilianischer Außenverteidiger Mariano Ferreira wie ein Getriebener an Liverpools Verteidigung vorbei, tunnelte einen Verteidiger und passte den Ball in die Mitte zu Kevin Gameiro, der zum Ausgleich traf. 17 Sekunden war die zweite Halbzeit alt. Sevilla drückte und drängte - so wie es die kraftvolle Mannschaft auszeichnet. "Wir haben sehr hoch gepresst", sagte Coke.

Der Kapitän, eigentlich nicht als Torjäger bekannt und eigentlich Rechtsverteidiger, am Mittwoch aber Rechtsaußen, entschied in der Folge persönlich das Spiel. Einmal schlenzte er den Ball von der Strafraumgrenze ins entfernte Toreck, beim 3:1 gelangte der Ball über den Umweg Liverpooler Verteidigerfüße zu ihm. Der Rest war historischer Jubel im Konfettiregen. Die vorher so lautstarken Liverpooler waren verstummt, und die Fans aus Sevilla feierten, zum dritten Mal in Serie.

2014 war der gewinnbringende Faktor die Nervenstärke im Elfmeterschießen gegen Benfica Lissabon, 2015 war es schier die Klasse im Vergleich mit der limitierten Mannschaft von Dnipro Dnipropetrowsk. Und 2016? Erstmals durfte der Europa-Leauge-Sieger in der Champions League antreten, doch als wäre es vorbestimmt, schied Sevilla in der Gruppenphase als Dritter aus, um im Winter wieder im Lieblingswettbewerb antreten zu dürfen. 2016 also war es Liebe.

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