Europa League: Hamburger SV:Umhauen erwünscht

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Die Profis des Hamburger SV schwärmen von der zupackenden Art des 17-Tage-Trainers Ricardo Moniz. Vor dem Halbfinal-Rückspiel in Fulham ist die Aufbruchstimmung im Team greifbar.

Jörg Marwedel

Der Mann hat nicht viel Zeit. Die Medien haben ihn als "17-Tage-Trainer" vorgestellt. Im schlechteren Fall, wenn der Hamburger SV also am Donnerstag das Halbfinal-Rückspiel der Europa League beim FC Fulham (Hinspiel 0:0) verlieren sollte, wären es sogar nur 13 Tage. Dann ohne Europa-Endspiel. Doch Ricardo Moniz, 45, will zeigen, dass er "zu 200 Prozent HSV ist", wie er sagt. Obwohl er im Sommer womöglich weiter wandert zum Brause-Hersteller Red Bull und dessen Fußballabteilung, wo ihn der frühere HSV-Sportchef Dietmar Beiersdorfer als wichtigsten Coach des Nachwuchses anstellen will.

Ein Mann klarer Worte: HSV-Interimstrainer Ricardo Moniz. (Foto: Foto: Getty)

Zuvor aber möchte der Holländer beweisen, dass der HSV-Boss Bernd Hoffmann bei der Beurteilung von Trainern zumindest in seinem Fall richtig liegt. "Ricardo Moniz", hatte Hoffmann vor dem Abflug Richtung London am Mittwoch verkündet, "hat immer bewiesen, dass er ein Top-Motivator ist."

Hoffmann geht es vor der "Jahrhundert-Chance", wie er das europäische Finale am 12. Mai im eigenen Stadion nennt, nicht wirklich gut. 67 Prozent der Leser einer Hamburger Zeitung finden, der HSV-Chef solle selber gehen, nachdem er am Montag Bruno Labbadia freisetzte und ihm eine Abfindung von gut einer Million Euro hinterher warf. Der Interimstrainer Moniz ist der siebte Fußballlehrer in sieben Hoffmann-Jahren. Was zumindest zu einem Teil mit dem Vorstandsvorsitzenden zu tun hat.

96 Sekunden

Doch Hoffmanns Einschätzung, Moniz habe "eine klare und deutliche Ansprache", hat der Niederländer bereits bei den ersten Übungseinheiten nachgewiesen. Alles geht zügig bei ihm. Weil er auf einen neuen Assistenztrainer verzichtet, hat er die Hütchen selber aufgestellt und auch beim Tragen der Tore geholfen. Seine erste Ansprache vor dem Training dauerte, von Beobachtern handgestoppt, 96 Sekunden.

Und wenn ein Profi nicht exakt das macht, was Moniz fordert, attackiert er ihn schon mal mit einer Blutgrätsche, um Spannung zu erzeugen. Als etwa der Tscheche David Rozehnal der Anweisung nicht nachkommt, härter im Zweikampf zu sein und lange Pässe zu spielen, sprintet Moniz in Sekundenschnelle bis vor die Füße des Abwehrspielers und fordert lautstark: "Mach das jetzt. Wir haben hier keine Zeit mehr."

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Manchmal sind die Profis erschrocken über die direkte Ansprache, doch die Aufbruchstimmung ist greifbar bei diesem Team, das den alten Trainer mit einer gekonnten Sabotage-Leistung in Hoffenheim (1:5) quasi selbst gefeuert hat. Es sieht so aus, als seien sie sehr froh, nicht mehr die manchmal allzu langen Monologe ihres früheren Vorgesetzten Labbadia hören zu müssen. Selbst im Winter bei fröstelnden Temperaturen hat der zuweilen Vorträge gehalten, obwohl die Spieler froren und das Verletzungsrisiko stieg.

Bei Moniz, dem früheren Mittelfeldspieler, der später unter anderem Techniktrainer bei Grasshopper Zürich, in den Vereinigten Arabischen Emiraten und bei Tottenham Hotspur war, muss dagegen alles so schnell gehen wie in einem internationalen Fußballspiel. Dort hat ja auch niemand mehr als eine Sekunde Zeit, um zu überlegen, wohin er jetzt den Ball spielen könnte.

"Wenn er einen umhaut, dann ist das nötig"

Und plötzlich sagen die zuvor verstummten HSV-Profis wieder etwas zum Trainer. Und zwar Positives. Moniz habe "eine Leidenschaft, die ich noch nie gesehen habe", schwärmt etwa Außenverteidiger Dennis Aogo, "er lebt Fußball, liebt Fußball, er ist Fußball." Niemand, befindet Stürmer Mladen Petric, der den Coach noch aus Züricher Zeiten kennt, sei fußballverrückter als Moniz. "Wenn er einen umhaut, dann ist das auch nötig", befindet der Stürmer martialisch. Petric ist ja nur einer von vielen Profis, die sich am Schluss dem alten Trainer verweigert hatten. Und auch Ruud van Nistelrooy, der wie Zé Roberto und Guy Demel plötzlich wieder fit ist für das Endspiel vor dem Endspiel, sagt jetzt: "Ich brenne. Wir brennen."

Die spannende Frage ist, ob der Top-Motivator Moniz helfen kann, dass die drittteuerste Mannschaft der Fußball-Bundesliga im kleinen Londoner Stadion Craven Cottage noch einmal zeigt, was sie wirklich kann - und ob sie diese Saison vielleicht doch noch mit einem Sieg im Europa-Finale rettet. Abwehrspieler Joris Mathijsen lobt seinen Landsmann Moniz, er sei "ein typisch holländischer Trainer". Und wer das Faible des HSV für Niederländer und große Namen kennt, der kann sich ausmalen, dass etwa der bei Galatasaray Istanbul unglückliche Frank Rijkaard ein Kandidat für den achten Trainerposten im achten Hoffmann-Jahr sein könnte.

Zuvor aber will der Vorstand alles tun, um Ricardo Moniz doch noch zum Bleiben zu überreden. Fragt sich nur, ob ihm der Posten des Assistenztrainers dann noch genügt.

© SZ vom 29.04.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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