EU-Urteil zur Fußball-Exklusivvermarktung:"Wir schauen in eine Glaskugel"

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs müssen Europas Profiklubs ihre Geschäftsmodelle überdenken. Auch die Bundesliga ist kurzzeitig aufgeschreckt, gibt sich dann jedoch entspannt: Sie hat im europäischen Vergleich die geringsten Konsequenzen zu fürchten.

Boris Herrmann und Raphael Honigstein

Am Dienstagmorgen hat der deutsche Fußball über seine Zukunft nachgedacht. Das hat ein paar Stunden gedauert. Um kurz vor zehn kursierten die ersten Eilmeldungen, wonach der Europäische Gerichtshof in Luxemburg die bisher gängige Exklusiv-Vermarktung im Bezahlfernsehen gekippt habe. Auch beim Empfang von Fußballspielen, so ist der Urteilsspruch zu verstehen, darf es künftig keine nationalen Grenzen mehr geben.

EuGH-Urteil erschuettert TV-Exklusivvermarktung im Fußball

Bundesliga? Klar! Doch zu welchem Preis?

(Foto: dapd)

In den Frankfurter Büros der Deutschen Fußball Liga (DFL) erbat man sich zunächst ein wenig Bedenkzeit, um die Folgen für den hiesigen Ligabetrieb bewerten zu können. Und deshalb hat es dann schon überrascht, dass die DFL gegen 14 Uhr in einer kurzen Meldung mitteilte: "Die DFL ist nicht überrascht."

So wirklich zufrieden kann sie allerdings auch nicht sein. Die Bundesligaklubs finanzieren sich heutzutage zu etwa einem Drittel aus den Einnahmen der TV-Vermarktung. Und wenn auch noch nicht klar ist, was der juristische Sieg der britischen Kneipenwirtin Karen Murphy für die Anbieter der Ware Fußball auf dem deutschen und europäischen Markt wirklich bedeutet - der Richterspruch bringt eine Ungewissheit mit sich, auf die in der Branche niemand gewartet hat.

Eine Frage ist, welche Kunden nun bis zum Ende der geltenden TV-Verträge im Sommer 2013 welche Decoder-Karten in welche Geräte stecken. Die viel größere Frage ist jedoch, was danach passiert? Noch werden die Rechte in jedem Land einzeln verkauft, demnächst wird wohl europaweit ausgeschrieben.

Man werde nun die Urteilsbegründung hinsichtlich möglicher Konsequenzen prüfen, teilte die DFL in aller Unverbindlichkeit mit. Man habe aber Vorkehrungen getroffen, um die Auswirkungen so weit wie möglich einzuschränken. Welche Vorkehrungen das sein könnten, wollte aber erst einmal niemand sagen.

Auch in den Vorstandsetagen der Bundesligaklubs hielt man sich mit einer Bewertung des Urteils zurück. Auch dort sind die Folgeschäden offenbar noch nicht absehbar. FC-Bayern Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge, der im Vorfeld damit zitiert worden war, dass "gefährliche Zeiten" anbrechen würden, falls Karen Murphy recht bekäme, war am Dienstag zu keinem Kommentar bereit. Herthas Finanzvorstand Ingo Schiller sagte, jetzt seien Liga und Vereine gefragt, nach Lösungen zu suchen. Wolfsburgs Geschäftsführer Thomas Röttgermann fasste die Befindlichkeit im deutschen Fußball so zusammen: "Wir schauen hier gerade in eine Glaskugel."

Zu erkennen ist in dieser Kugel aber auch für Röttgermann noch nicht viel, abgesehen von der Tatsache, "dass das gesamte Vermarktungsmodell des Fußballs über den Haufen geworfen ist." Das Produkt Bundesliga bringt den deutschen Profiklubs bislang jährlich etwa 462 Millionen Euro ein, die Hoffnung, bei der kommenden Ausschreibung noch ein wenig mehr herauszuschlagen, ist mit dem Urteil aus Luxemburg bestimmt nicht gewachsen.

Gelassenheit in London

Trotzdem besteht nach Lage der Dinge wenig Grund zur Annahme, dass der FC Bayern seine Edelkicker wie Franck Ribéry und Arjen Robben verkaufen muss, um den Fortgang des Betriebes zu sichern. Zumal sich ja dann die Frage stellen würde, wer sie im Fall der Fälle überhaupt kaufen sollte? Die Bundesliga hat im Vergleich zu anderen europäischen Top-Ligen noch am wenigsten zu befürchten, da ist man sich hinter den Kulissen einig. Der Anteil der Auslandsvermarktung innerhalb der EU, um die es jetzt im Wesentlichen geht, liegt hierzulande bei 25 Millionen Euro.

Ganz anders bei der englischen Premier League, die im EU-Ausland 168 Millionen Euro erwirtschaftet - und deshalb deutlich mehr zu verlieren hat. So mancher Bundesligamanager fragt sich hinter vorgehaltener Hand bereits, ob der Luxemburger Spruch den deutschen Topklubs nicht sogar helfen könne, ihren Wettbewerbsnachteil gegenüber der britischen Konkurrenz zu verringern.

Wenn Privatpersonen ab sofort frei unter den europäischen TV-Anbietern auswählen dürfen, kann die Premier League ihren Fernsehpartnern jedenfalls keine Exklusivität mehr zusichern; die Folge, glauben einige Beobachter, sind billigere Preise für die Konsumenten und weniger Geld für die Vereine.

Im feudalen Hauptquartier der Premier League am Londoner Gloucester Place wurde der Entscheid allerdings fast ebenso gelassen aufgenommen wie bei der DFL in Frankfurt. Am Status quo ändert sich so schnell nichts, glaubt man dort. Die Zahl der britischen Fans, die ihr Pay-TV-Abo kündigen und dafür ausländische Satellitenanlagen und Decoder installieren würden, sei in der Praxis zu vernachlässigen, meint ein Insider, zumal sich die vermeintlichen Kosteneinsparungen bei genauerer Prüfung schnell als Illusion erweisen. Abonnenten des von Murphy genutzten Nova-Kanals aus Griechenland zahlen derzeit 52 Euro im Monat; bei Sky kostet das Sportpaket 47 Euro.

Und falls auf Dauer doch zu viele Kunden abwandern sollten, könnte die Premier League in Zukunft ihre 145 Millionen teuren Europa-Rechte immer noch über einen eigenen Sender selbst vertreiben oder kleinere Märkte gar nicht mehr beliefern. Das grundsätzliche Geschäftsmodell sieht man nicht gefährdet.

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