Es war einmal WM - 1990:Skandal der Idole

Niederlande/Deutschland

Der ekligste Moment der WM 1990 in Italien: Frank Rijkaard bespuckt Rudi Völler.

(Foto: dpa)

Das Achtelfinale der WM 1990 zwischen Deutschland und Holland steht bis heute unter dem Eindruck der Spuckattacke von Frank Rijkaard auf Rudi Völler. Ausgesöhnt haben sich die beiden Spieler längst. Doch warum der Niederländer ausrastete, ist noch immer ein Rätsel.

Von Philipp Selldorf

Es war einmal WM: In einer Serie blicken wir auf komische, merkwürdige, besondere Momente in der Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaften zurück. Teil vierzehn beschäftigt sich mit dem ekligsten Moment der WM 1990, der Spuckattacke von Frank Rijkaard auf Rudi Völler.

Seine Karriere als Profi hatte Rudi Völler längst beendet, als er sich endlich mit Frank Rijkaard an einen Tisch setzte, um Versöhnung zu feiern. Unter blauem Sommerhimmel traf man sich im Morgenmantel bei Orangensaft, Brötchen und Frühstücksei, Fotografen dokumentierten die bildschöne Begegnung.

Die Idee dazu stammte jedoch weder von Völler noch von Rijkaard oder einer anderen friedensbewegten Koryphäe des Fußballs, sie kam auch nicht von einer der Fanorganisationen oder Verbandskommissionen, die sich um die Entspannung des Rasenkriegs zwischen Deutschland und den Niederlanden bemühten - vermittelt hatte das Frühstück eine holländische Butterfirma, die damit den Absatz ihrer Ware fördern wollte. "Mit echter Butter bekommen Sie jeden an die gemeinsame Tafel", lautete der Slogan.

Rudi Völler deutet die Werbebotschaft lieber mit einem Sprichwort: "Alles in Butter." Deswegen wollten die beiden damit auch kein Geld verdienen. "Das Honorar haben wir für einen guten Zweck gespendet", erzählt Völler, "denn das wichtigste war für uns, dass das Ganze ehrlich gemeint war. Wir wollten wieder ein normales Verhältnis haben."

Vermutlich gibt es keinen Vorfall in der Karriere des Torjägers, Nationalspielers und Teamchefs, der solche Spuren ins kollektive Empfinden der Fußballanhänger gefräst hat wie der Zusammenstoß mit Rijkaard beim WM-Achtelfinalspiel zwischen Deutschland und Holland 1990 (2:1).

An diesem stickigen, feucht-heißen Sommerabend im Meazza-Stadion, hatte Rijkaard, unbeobachtet vom argentinischen Schiedsrichter, Rudi Völler im Vorbeigehen ins lockige Haar gerotzt. Völler schaute entgeistert um sich und beschwerte sich beim Spielleiter, erntete aber bloß Unverständnis und die Gelbe Karte. Schon in der nächsten Szene entlud sich die Gewitterspannung zwischen den Mannschaften in einem wilden Tumult.

"Private Probleme" bei Rijkaard

Aggressor im Getümmel war zwar eindeutig Hollands Torwart Hans van Breukelen, aber Señor Loustau stellte Völler und Rijkaard vom Platz. Auf dem Weg in die Kabinen startete Rijkaard eine weitere Spuckattacke, und zweifellos hätten sich die beiden Verbannten im Kabinengang geprügelt, wenn nicht ein Funktionär des Weltverbandes dazwischen getreten wäre. Doch auch so hatte alle Welt den Skandal der Idole am Fernsehbildschirm per Zeitlupe und Großaufnahmen verfolgen können. Und kein noch so gemeines Revanchefoul erzeugt im Fußball solche Abscheu wie das Bespucken des Gegenspielers.

Später hieß es in einigen Zeitungen, Völler habe Rijkaard vor dessen erstem Angriff durch einen rassistischen Zuruf provoziert, doch beide Beteiligten wehren sich gegen diese These, die außerdem durch keine Zeugenaussage belegt ist. So bleibt das Motiv für Rijkaards Vergehen mysteriös, zumal es ein Einzelfall blieb.

Völler verweist heute diskret auf "ein paar private Probleme", die Rijkaard damals beschäftigt hätten, "es war schade, weil er einfach ein netter Kerl ist. Aber ich weiß ja, wie sehr ihm das leid tut. Wenn wir uns das nächste Mal treffen, dann werden wir uns freundlich begrüßen, reden und quatschen".

Dieser Text ist dem Buch "Süddeutsche Zeitung - WM-Bibliothek Spanien 1982" entnommen.

Teil eins der Serie: Schwarzes Wunder - die Geschichte von José Leandro Andrade, dem ersten Glamour-Star des Fußballs und Weltmeister von 1930.

Teil zwei: Deutschland ehrenvoll ausgeschieden - die erste WM-Teilnahme der Deutschen 1934 zwischen Nazipropaganda und Szepans tollem Spiel.

Teil drei: Torhüter mit gebrochenen Knochen - wie schwer es die besten Torhüter ihrer Zeit in den dreißiger Jahren hatten.

Teil vier: No World Cups, please! - die erste WM-Teilnahme Englands im Jahr1950 gerät zur Blamage.

Teil fünf: 4:1 für Deutschland - ich bin sprachlos - wie Gefängnis-Insassen der DDR den WM-Titel 1954 im Radio erleben.

Teil sechs: "Trainer, stellen Sie mich bitte nicht mehr auf" - wie der Torhüter Heinrich Kwiatkowski 14 Gegentore in zwei WM-Einsätzen kassiert.

Teil sieben: "Ein Tritt, ein Flug" - die Geschichte des brasilianischen Dribblers Garrincha, der 1962 kaum mit fairen Mitteln zu fassen war.

Teil acht: "Hund Pickels findet WM-Pokal" - über die Suche nach dem verlorenen gegangenen Pott in England 1966.

Teil neun: "Vier Tage Arrest für Bobby Moore" - wie die englische Fußballlegende in eine Diebesgeschichte verwickelt wurde.

Teil zehn: "Herrgott i bitt' di, lass gwinna Haiti" - wie die Insel-Kicker aus HaitiWerbung für den Tourismus machten.

Teil elf: Allys lustige Army - das Chaos in der schottischen Nationalmannschaft in Argentinien.

Teil zwölf: "Ein schmutziges Stück Fußball-Porno" - Gijon, ein Schandfleck in der deutschen und österreichischen WM-Geschichte.

Teil dreizehn: Suppenkapser und Idioten - Der Trainer Franz Beckenbauer bei der WM 1986 in Mexiko.

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