Erste Woche in Melbourne:Ball an der falschen Stelle

Lohnt es sich, Matchbälle abzuwehren? Oder ein schwedischer Fan zu sein? Ein Rückblick auf die turbulente erste Woche in zehn Punkten.

Von Gerald Kleffmann, Melbourne

"Was Sie schon immer über Sex wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten", so lautet der Titel eines Filmklassikers von Woody Allen, und seitdem die Satire im Jahre 1972 Premiere hatte, hat sich dieser Satz immer wieder bestens für diverse abgewandelte Variationen geeignet. "Was Sie schon immer über die erste Woche der Australian Open 2017 wissen wollten, aber bisher nicht zu fragen wagten", funktioniert zum Beispiel hervorragend, auch wenn die Verfilmung dazu noch aussteht. Aber es ist ohnehin schwer denkbar, dass die Realität übertroffen werden könnte. War viel los, manches war zu erwarten, vieles nicht. Ein kleiner Überblick über Ereignisse aus der ersten Turnierwoche in Melbourne, die sich eingebrannt haben.

Lohnt es sich, Matchbälle abzuwehren?

Wenn man am Ende gewinnt, dann schon. Sonst nicht. Die Ukrainerin Lesia Zurenko wehrte im zweiten Satz gegen Angelique Kerber einen Matchball ab. Sie gewann auch Satz zwei, doch dann verlor sie, und die deutsche Titelverteidigerin zog in die zweite Runde ein. Wie man es am besten und vor allem besonders stilvoll macht, führte Lucie Safarova vor. Die Tschechin wehrte in ihrem Erstrunden-Match gegen die Belgierin Yanina Wickmayer Ende des zweiten Satzes neun Matchbälle ab, ehe sie dann 3:6, 7:6 (7), 6:1 siegte. Wie sie die Matchbälle abgewehrt hat? Sie schlug ein Ass, einen Vorhand-Winner, einen Service-Winner, zwei Vorhand-Winner, zwei Asse. Dann unterliefen Wickmayer zwei Fehler. Beim Satzball von Safarova war sie so durch den Wind, dass sie einen Doppelfehler fabrizierte. Neun Matchbälle? "Das habe ich auch gehört", sagte Safarova erstaunt danach. Sie hatte nicht mitgezählt.

Australian Open Tennis

Kurz vor ihrem Aus lässt Andrea Petkovic sich die Füße medizinisch versorgen.

(Foto: Aaron Favila/dpa)

Lohnt es sich, Asse zu schlagen?

Wenn man Ivo mit Vornamen und Karlovic mit Nachnamen heißt, dann schon. 75 Asse schlug der Kroate in der ersten Runde im Duell mit dem Argentinier Horacio Zeballos. Der 37-Jährige hatte auch viele Gelegenheiten, es zu versuchen. Die beiden spielten 5:14 Stunden lang, ehe Karlovic mit 6:7 (6), 3:6, 7:5, 6:2 und 22:20 gewann. Kann er sich darauf etwas einbilden? Nicht wirklich. Denn erstens konnte er nicht einen neuen persönlichen Rekord aufstellen, 2009 schlug er im Davis Cup gegen den Tschechen Radek Stepanek 78 Asse. Also eher enttäuschend, das mit den 75 Assen. Außerdem hatte er danach körperliche Beschwerden. "Meinem Arm geht es gut", sagte er danach, "dafür meinem Ellbogen und dem Knie weniger. Aber auch mental war das unglaublich herausfordernd." Ein Zocker hatte weniger Grund zur Klage. Er gewann, auch dank Karlovic, in einer Kombi-Wette 86 850 australische Dollar, wie das Internetportal "Tennisnet" im Internet entdeckte.

Lohnt es sich, "Gorilla" oder "Guerilla" oder irgendetwas, das ähnlich klingt, über Serena Williams zu sagen?

Wenn man seinen Job verlieren oder vom Mikrofon abgezogen werden will, dann schon. Genau das erlebte nun der Kommentator Doug Adler. Im Fernsehen sagte er "Gorilla" oder "Guerilla" oder irgendetwas, das ähnlich klang. Es folgte das, was man einen Sturm der Entrüstung nennt. Natürlich in den Sozialen Medien, wie das heute so ist. Adler ruderte ein bisschen herum, er habe definitiv nur gesagt, Williams spiele wie ein Guerilla. Was er wirklich gesagt hatte, wurde final nicht geklärt. Zu spät war es ohnehin. Der US-Sender kommandierte Adler ab. Vorher hat er sich aber noch entschuldigt.

Tennis Australian Open 2017, Melbourne, Australia - 16 Jan 2017

Gekommen, um zu gehen: Das Intermezzo von Nicolas Almagro bei den Australian Open war mit 25 Minuten recht kurz.

(Foto: Mark R. Cristino/EPA)

Lohnt es sich, zu verlieren?

Wenn man Andrea Petkovic heißt, dann schon. Nach ihrer 0:6, 5:7-Zweitrunden-Niederlage gegen die Tschechin Barbora Strycova schwärmte die 29-Jährige aus Darmstadt von dem schönen "Lerngeschenk". Sie brauche "Backpfeifen, um zu lernen". Sie sagte: "Ich bin froh, dass ich verloren habe", denn: "Das war nicht die Andrea Petkovic, die ich sein will." Den "Einlauf", den ihr neuer Trainer Sascha Nensel ihr verpasst hatte, fand sie "gerechtfertigt". Nicht ganz so konsequent war allerdings, dass sich Petkovic über ihren Erstrundensieg nicht geärgert hat. Das sollte sie beim nächsten Mal besser beherzigen, sonst kommt man ja noch ganz durcheinander, welche Petkovic gerade da vor einem steht.

Lohnt es sich, einen anderen Trainer als den Vater zu haben?

Wenn man Caroline Wozniacki heißt, dann nicht. Die Dänin mag jetzt jedenfalls nicht mehr suchen und von Trainer zu Trainer wandern. Sie hatte schon viele, Thomas Johansson, David Kotyza, Thomas Hogstedt, Michael Mortensen, Sven Groeneveld, zuletzt gar probierte sie es mit der früheren Größe Arantxa Sanchez Vicario. Jetzt sagte die 26-Jährige: "Ich bin fertig damit, neue Dinge auszuprobieren. Es hat sich seit Ende 2016 erwiesen, dass die Zusammenarbeit mit meinem Vater hervorragend funktioniert." Piotr weiß also, woran er ist.

Tennis - Australian Open - Melbourne Park, Melbourne, Australia

Entschuldigung angebracht: Stan Wawrinka trifft seinen Gegner Martin Klizan dort, wo es am meisten wehtut - und eilt sofort zur Ersten Hilfe übers Netz.

(Foto: Edgar Su/Reuters)

Lohnt es sich, ein schwedischer Tennisfan zu sein?

Absolut, vor allem dann, wenn man noch ein altes "Tre-Kronor"-Eishockeytrikot besitzt. Und es ist auch unerheblich, dass die großen, alten, strahlenden Zeiten der Achtziger- und Neunzigerjahre vorbei sind, als halb Schweden in Melbourne war, weil die andere Hälfte schwedische Tennisprofis in der Weltspitze waren. Wilander, Edberg, Gustafsson, Pernfors, Nyström, Jarryd, Tillström, Bergström, Björkman, wie sie alle hießen. Der schwedische Tennisfan von heute wird nicht verwöhnt, der beste Schwede ist der 20-jährige Elias Ymer auf Rang 158 - Profis aus Barbados, der Dominikanischen Republik und Österreich sind vor ihm, so ist das. Trotzdem fliegen die schwedischen Tennisfans nach Melbourne, setzen sich auf die sehr leere Tribüne am Platz 13, schauen sich ein Frauendoppel an und haben Spaß. Sie singen, stehen auf, klatschen, jubeln. Ihre Johanna Larsson hat dann trotzdem verloren mit Partnerin Kiki Bertens, aber die schwedischen Tennisfans, die ihre alten Eishockeytrikots trugen, sahen glücklich aus.

Lohnt es sich, den australischen Bad Boy Nick Kyrgios zu trainieren?

Nicht, wenn man es nicht mag, angeschnauzt zu werden. Pat Cash, der rockige Wimbledonsieger von 1987, sagte nun in seiner Heimatstadt Melbourne zu australischen Medien: "Warum sollte ich wollen, solch einen Job anzunehmen? Ich würde nicht eine Minute aushalten. Die gleiche Sache ist mit Lleyton Hewitt, Bernard Tomic oder Andy Murray. Wenn sie beginnen würden, mich anzuschreien und mich in der Box beschimpfen, würde ich zusammenpacken und gehen."

Lohnt es sich, offen und ehrlich zu sein?

Absolut. "Ich bin nicht der Beste und nicht der Hellste, aber wir haben alle unsere Probleme", das hatte der andere australische Bad Boy Bernard Tomic gesagt. Hat ihn gleich sympathischer werden lassen.

Lohnt es sich, von Europa aus nach Australien zu fliegen, 25 Minuten zu spielen und dann aufzugeben?

Aber hundertprozentig. Nicolás Almagro kassierte nämlich trotzdem 50 000 australische Dollar, 35 000 Euro, weil eben jeder in der ersten Runde diese Summe kassiert. Eine Wadenverletzung habe er gehabt. Neunter in der Weltrangliste war Almagro mal, nun ist er 42. Als ihm unterstellt wurde, er habe nur die Kohle abgesahnt, wurde er deutlich: "Ich bin auf den Platz gegangen, weil ich dachte, dass ich spielen kann. Ich war Top 10, habe mehr als zehn Millionen US-Dollar verdient. Ich spiele nicht für 50 000 Dollar, das ist nicht der Grund." Das ändert aber auch nichts daran, dass nun überlegt wird, eine neue Regel einzuführen. Spieler, die verletzt sind, können schon vor einem Match aufgeben, erhalten dann aber trotzdem das eigentlich zustehende Erstrunden-Honorar. Denn dann soll wenigstens ein Lucky Loser aus dem Qualifikationsfeld aufrücken können und seine Chance erhalten. Und die Zuschauer sehen Spieler, die ein Match auch zu Ende spielen. Noch ist diese Regel aber nicht offiziell.

Lohnt es sich, beim Tennis einen Genitalschutz zu tragen?

Grundsätzlich nein, mit einer Ausnahme: Man heißt Martin Klizan und kommt aus der Slowakei. In der ersten Runde schoss der Schweizer Stan Wawrinka aus nächster Nähe den Ball in eben jenen heiklen Bereich, der Ball hatte die Geschwindigkeit eines Blitzes. Klizan krümmte sich, sank zu Boden, Wawrinka stieg über das Netz und entschuldigte sich. Machte den Schmerz für Klizan aber auch nicht besser.

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