Ingolstadt:Zu müde zum Schlagersingen

FC Ingolstadt v FC Schalke 04 - Bundesliga

Acht Saisontore: Moritz Hartmann, 29, trifft inzwischen in der ersten Liga genauso regelmäßig wie früher in der zweiten und dritten.

(Foto: Micha Will/Bongarts/Getty)

Oft kritisiert, nun gelobt: Ingolstadts Stürmer treffen plötzlich - nach dem 3:0 gegen Schalke sorgen sie sogar für Ekstase.

Von Sebastian Fischer

Von Fußballern getragene Trikots sind unter Sammlern begehrte Ware, doch die von Moritz Hartmann gehörten in den vergangen Jahren nicht unbedingt dazu. Denn Hartmann war ein gewöhnlicher Zweitliga- und sogar ehemaliger Drittligaspieler, der auch in der vierten Liga, damals bei der zweiten Mannschaft des 1. FC Köln, den Verantwortlichen nicht derart auffiel, dass sie ihn unbedingt halten wollen - bekanntlich gaben sie ihn zum FC Ingolstadt ab.

Dort ist Hartmann inzwischen Erstligaspieler, und am Samstag schenkte er sein verschwitztes Trikot einem Jungen, der darauf in den Katakomben des Stadions gewartet hatte. Dieser Junge, seinem Twitter-Profil zufolge 15 Jahre alt und neben seiner Leidenschaft für den FC Ingolstadt ein Freund von Fantasybüchern, nahm das Geschenk zum Anlass für eine ekstatische Gefühlsäußerung: Es sei dank Hartmann der schönste Tag seines Lebens, schrieb er. Der FC Ingolstadt teilte den Tweet auf seinem Kanal. Das zeigte erstens, dass sie sich beim FCI noch immer über jeden Fan freuen, der sich ihnen anschließt. Und zweitens: Ingolstädter Stürmer sind neuerdings dazu fähig, Ekstase auszulösen.

"Es ist noch nicht so lange her, dass wir uns rechtfertigen mussten, dass wir keine Tore schießen", sagte Trainer Ralph Hasenhüttl nach dem 3:0-Sieg gegen Schalke 04. Lange kam keine Geschichte über sein Team ohne den Hinweis aus, der FCI sei die schlechteste Offensive der Liga. Und jetzt das: 26 Tore, Hannover ist schlechter. Hartmann hatte gegen Schalke per Elfmeter das achte Mal in dieser Saison getroffen, Lukas Hinterseer mit seinem sechsten Treffer zum 2:0 abgeschlossen und Dario Lezcano das 3:0 erzielt, für den Winter-Zugang war es das zweite Tor für den Verein.

"Oh, wie ist das schön", sangen die Fans in den Schlussminuten, "so was hat man lange nicht gesehen", und es war nicht mal ein Euphemismus. Der Ingolstädter Spielmacher Pascal Groß merkte an, dass er nun seit vier Jahren für den Verein spiele "und wir eigentlich nie so hoch gewinnen. Komisch, dass man in den letzten fünf Minuten den Ball laufen lassen kann." Tatsächlich wirkten die Szenen ein wenig wie aus einer verkehrten Welt: Der Aufsteiger kombinierte, der vermeintliche Champions-League-Aspirant lief hinterher. Ein 4:0 war wahrscheinlicher als das 3:1.

Den Spielern des FC Ingolstadt hat man in dieser Saison schon vieles nachgesagt: Dass sie theatralisch Freistöße und Zeit schinden, stets Benachteiligung bei den Schiedsrichtern wittern und überhaupt eher eklig spielen. Den Ingolstädtern war das eigentlich immer ziemlich egal, sie haben einfach die Punkte mitgenommen. Aber Hasenhüttl sah am Samstag dann doch besonders stolz aus: Als seine Mannschaft bewiesen hatte, dass es auch anders als eklig geht. Richtig schön nämlich.

36 Punkte? Beim FCI bleiben sie trotzdem zurückhaltend

Und das war besonders den Stürmern zu verdanken. Lezcano, 25, hatte in der Länderspielpause bereits dreimal für Paraguay getroffen und dann gegen Schalke gespielt, obwohl er zuvor nur eine halbe Trainingseinheit absolvierte. "Dario hat Selbstvertrauen gehabt, so einen Stürmer lässt du nicht auf der Bank", sagte Hasenhüttl. Hartmann, 29, habe "super trainiert". Und Hinterseer sei "frisch und sowieso voller Selbstvertrauen". Der Österreicher, 25, ist Ingolstadts wertvollster Spieler der Rückrunde, er hat sechsmal gespielt und fünfmal getroffen. Mittlerweile ist er zumindest in Ingolstadt wohl so bekannt wie sein Onkel Hansi, der Schlagersänger. Der gab am Samstag in Ingolstadt ein Konzert, sein Neffe jedoch erklärte, sich auf die Couch legen zu wollen, um einen Film zu gucken: "Ich bin ziemlich fertig."

Lezcano, Hartmann und Hinterseer hätten sich die Kritik der Vorwochen wohl zu Herzen genommen, mutmaßte Torhüter Ramazan Özcan. Schon beim 3:3 vor drei Wochen gegen Stuttgart hatten alle Stürmer getroffen. Was ist anders? Erfolge als Selbstzweck, erklärte Hasenhüttl: "Man muss nicht mehr Angst haben, wenn man das Ding mal nicht macht, dass der ganze Verein Probleme bekommt." 36 Punkte hat Ingolstadt nun, selbst in schweißtreibenden Albträumen dürften Abstiegsszenarien nicht mehr vorkommen. Trotzdem blieben sich die Ingolstädter auch am Samstag in ihrer Zurückhaltung treu. Ja, der Sieg gegen Schalke sei das "beste Spiel der Saison" gewesen fand Özcan - um dann, kein Witz, achtmal zu verneinen, dass es auch der größte Erfolg der Klubgeschichte gewesen sei.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: