Erschöpfung bei Martin Schmitt:Wir rennen und rennen

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Jahrelange Mangelernährung hat Skispringer Martin Schmitt offenbar krank gemacht. Wie so viele Menschen wusste er nicht mehr zwischen Ehrgeiz und Unvernunft zu unterscheiden.

Thomas Hahn

In den vergangenen Tagen sind die Worte wild durcheinander gepurzelt wie Lottokugeln in einer Lostrommel. Und wenn man Pech hatte, standen am Ende Begriffe nebeneinander, die gar nicht nebeneinander gehörten: Martin Schmitt, Achtzigjähriger, Erschöpfungssyndrom, Burnout, Grenzbereich, Hungerbeichte. Was genau los ist mit dem Skispringer Schmitt, hat man dabei nur so ungefähr verstanden, und bisweilen auch falsch.

Der einstige Skisprung-Überflieger Martin Schmitt kämpft derzeit gegen Erschöpfung und Ermüdungserscheinungen. (Foto: Foto: dpa)

Das Geschäft mit der Anteilnahme verkauft Probleme nun mal nur in Portionen - auch auf die Gefahr hin, dass jemand wie Martin Schmitt in die Nähe von schweren Krankheiten wie Magersucht und Depression rückt, obwohl er in Wirklichkeit nur über seinen Ehrgeiz in eine große Müdigkeit gestolpert ist.

Schlimm genug. Aber auch lehrreich für die Betrachter des bunten Sportbetriebs, denn was dem Spitzensportler Schmitt widerfahren ist, kann jedem passieren, in jedem Beruf. Hochleistungssport ist ein komplizierter Grenzgang zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen. Ständig lauert dabei die Gefahr, dem Körper etwas zuzumuten, was er eigentlich gar nicht aushalten kann. Viele Sportler lösen das Problem mit Dopingmitteln, sie spritzen und schlucken die Gefahr des Übertrainings einfach nieder.

Arbeitspensum ausgereizt

Die anderen versuchen mit Fleiß die nächste Leistungsstufe zu nehmen. Sie denken: Je mehr ich trainiere, desto besser werde ich - und genau diese Gleichung geht oft nicht auf, gerade bei jemandem wie Martin Schmitt nicht, der auf 15 zehrende Jahre im Leistungssport zurückblickt und in dieser Zeit sein Arbeitspensum ohnehin schon so gut wie ausgereizt hat.

Das normale Berufsleben ist weniger extrem, aber es kann einen auch über den Bergkamm ins Verderben treiben. Wir rennen und rennen und rennen, immer unseren Ansprüchen nach. Wir vergessen, dass wir Pause machen sollten, schieben die Müdigkeit weg und rennen weiter. Bis die Müdigkeit zurückkommt, größer und zerstörerischer denn je. Es ist nicht einfach, die eigenen Kräfte richtig zu verstehen.

Es ist viel leichter, an seine Energie zu glauben, solange sie da ist. Erst wenn die Schwäche sich Bahn bricht, weiß man mehr. Es ist eine lebenslange Herausforderung zu verstehen, wo der zielführende, leidenschaftliche Einsatz endet und die Unvernunft beginnt. Das ist die Lehre, die Martin Schmitt aus seiner Schwächephase ziehen kann. Und sein Publikum auch.

© SZ vom 13.01.2010/jbe - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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