Ernst-Happel-Stadion:Auf dem Weg in die Hölle

Das Ernst-Happel-Stadion in Wien hat nicht nur als Sport-Arena eine Vergangenheit. Eine Gedenktafel im Stadion erinnert an den "Ort des Grauens".

Ronny Blaschke

Wer sie nicht sucht, der wird sie kaum finden. Unter den Tribünen des Sektor B hängt eine schwarze Tafel aus Marmor. Am Sonntag werden wieder mehr als 50.000 Fans das Ernst-Happel-Stadion aufsuchen, um das EM-Finale zu sehen, vielleicht bleiben einige vor der Tafel stehen und schenken der Geschichte einen kurzen Moment. David Forster sagt, dass sich seine Arbeit dann schon gelohnt hätte. Der Historiker hat einen großen Anteil daran, dass die größte Arena Österreichs nicht nur als Spielplatz für Fußballer und Rockmusiker wahrgenommen wird, sondern auch als Mahnmal.

Ernst-Happel-Stadion: Heute feiern die Fußballfans im Ernst Happel Stadion die Europameisterschaft 2008.

Heute feiern die Fußballfans im Ernst Happel Stadion die Europameisterschaft 2008.

(Foto: Foto: Getty)

Geschichten, die erzählt werden müssen

Es hatte nicht lange gedauert, bis das einstige Praterstadion nach der Eröffnung 1931 von den Nationalsozialisten zweckentfremdet wurde, als Planungsbüro, Kaserne und Massengefängnis. Im September 1939, nach dem deutschen Angriff auf Polen, ordnete der SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich die Inhaftierung von mehr als 1000 Wiener Juden an, deren Wurzeln in Polen lagen. Sie wurden gefangen gehalten unter dem Sektor B, wo heute die betuchteren Gäste die Spiele verfolgen dürfen. An 440 Häftlingen wurden von Mitarbeitern des Naturhistorischen Museums so genannte rassische Untersuchungen vorgenommen, unter anderem Schädelmessungen.

Ein paar Tage später wurden sie in das KZ Buchenwald deportiert. David Forster sagt, das Stadion lag damals "auf dem Weg in die Hölle". Kurz darauf schossen Fußballer im Praterstadion wieder Tore, 1944 wurde das Stadion durch Bombenangriffe schwer beschädigt. Von den Juden überlebte in Buchenwald kaum jemand. Gershon Evan, einer der Gefangenen, die es schafften, schrieb später in seiner Biografie über die Aufseher im Stadion: "Ich war zu schockiert, um mich zu bewegen."

Es sind die Geschichten, die auch erzählt werden müssen, bevor am Sonntag wieder Kirmesmusik aus den Lautsprechern hallt und bunte Fähnchen geschwenkt werden. Die Stadt Wien, die Regierung Österreichs und der Fußball-Bund (ÖFB) waren Jahrzehnte lang wenig interessiert an einer Aufarbeitung. Auch in Deutschland hatten sich DFB und Vereine lange geweigert, die Rolle des Fußballs im dritten Reich zu untersuchen. Die Österreicher pflegten die Mythen, die im Praterstadion geboren worden waren, das 1992 nach der verstorbenen Trainer-Ikone Ernst Happel umbenannt wurde. Sie erinnerten sich gern an das 9:1 gegen Portugal 1953, das 4:1 gegen Deutschland 1986, die Europapokalspiele von Rapid und Austria oder die Konzerte von Michael Jackson oder U2.

"Auch ein Ort des Grauens"

Im Jahr 2002 machte das Naturhistorische Museum David Forster auf die dunkle Vergangenheit aufmerksam. Sie hatten menschliche Gipsmasken, Fotografien und Messbögen mit der Aufschrift "Juden Wiener Stadion 1939" entdeckt. In wenigen Wochen sammelte er 600 Unterstützungserklärungen. Er suchte und fand ehemalige Stadionhäftlinge oder deren Hinterbliebene. Der einstige Bundespräsident Thomas Klestil, die Parteichefs der SPÖ und der Grünen sowie ÖFB-Präsident Friedrich Stickler sicherten ihm Hilfe zu. Die Initiative "Gedenktafel im Stadion" wurde zu einem öffentlichen Thema. Ende 2003, nach langen Verhandlungen, wurde die Tafel schließlich unter den Tribünen angebracht. Der Publizist Peter Cardorff bezeichnete die Debatte in seinem Buch "Der letzte Pass" als "erinnerungspolitisches Pionierwerk in der Fußballwelt".

Doch das Praterstadion war keine Ausnahme. Immer wieder wurden Sportarenen politisch missbraucht, das Berliner Olympiastadion für die Nazipropaganda während der Sommerspiele 1936, das Estadio Monumental in Buenos Aires für die argentinische Militärdiktatur während der WM 1978, oder das Estadio Nacional de Chile: Im Endspielstadion der WM 1962 wurden nach dem Militärputsch 1973 rund 40.000 Menschen zusammengetrieben und gefoltert.

Im Iran, in Nordkorea, Afghanistan oder in China wurden Menschen in Stadien erschossen und erhängt. Das Ernst-Happel-Stadion ist von solchen Massakern verschont geblieben. Eine Erleichterung darüber verbietet sich trotzdem, wie Marie Ringler, Gemeinderätin der Grünen, dem Sportinformationsdienst (sid) sagte: "Für all jene, die ins Ernst-Happel-Stadion gehen, soll es nachvollziehbar sein, dass das nicht nur ein Ort des Fußballs und der Rolling Stones ist, sondern auch ein Ort des Grauens war."

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