Ermittlungen: Fifa suspendiert Generalsekretär Valcke

Ermittlungen: Winkt lieber ab: Fifa-Generalsekretär Jerome Valcke.

Winkt lieber ab: Fifa-Generalsekretär Jerome Valcke.

(Foto: AFP)
  • Jérôme Valcke ist nicht länger Generalsekretär des Weltverbands Fifa. Dem 54-Jährigen wird vorgeworfen, versucht zu haben, sich am WM-Ticket-Verkauf bereichert zu haben. Der Fall werde nun von der Ethikkommission untersucht.
  • Zuvor hatte ein Tickethändler neues Belastungsmaterial gegen die Fifa vorgelegt. Auch die WM 2022 in Katar rückt ins Blickfeld.
  • Die Vorwürfe dürften die ermittelnden Behörden in der Schweiz und den USA interessieren.

Von Thomas Kistner, Zürich

Die Situation um den Fußball-Weltverband Fifa spitzt sich zu. Während die Schweizer Bundesanwaltschaft Zeugen zu einem TV-Vertrag vernimmt, den Fifa-Chef Sepp Blatter 2005 für einen Spottpreis an den Vorstandskollegen Jack Warner ausreichte, wurde der Verband am Donnerstagabend selbst aktiv und entband seinen Generalsekretär Jerome Valcke, 54, mit sofortiger Wirkung von allen Aufgaben.

Die Fifa habe "von einer Reihe von Vorwürfen Kenntnis erhalten, die den Generalsekretär betreffen", hieß es in einer Mitteilung; eine "formelle Untersuchung durch die Ethikkommission" sei angeordnet. Ob die Vorwürfe mit der in Zürich ansässigen Marketingagentur JB Sports Marketing zusammenhängen, wurde nicht bestätigt. Vertreter des langjährigen WM-Tickethändlers hatten bei einer Präsentation am Donnerstag schwere Vorwürfe gegen die Fifa-Spitze erhoben.

Valcke hat ein Fehlverhalten im Zusammenhang mit dem Verkauf von WM-Tickets bestritten. Entsprechende Anschuldigungen eines Mitarbeiters von JB Sports Marketing seien "frei erfunden" und "ungeheuerlich", teilte Valckes New Yorker Anwalt Barry Berke mit.

Zugesicherte Gewinnbeteiligung

So soll vor der WM 2006 in Deutschland ein Ticketagenturchef Geld von Mitarbeitern gefordert haben, um es an Blatter weiterzureichen. Überdies legten die JB-Vertreter einen Ticketingvertrag vor, den sie mit der Fifa für die WM-Turniere 2010 bis 2022 besiegelt hatten und in dessen Kontext Generalsekretär Valcke eine diskrete Gewinnbeteiligung zugesichert worden sein soll.

Im Zuge dieser Geschäftsaktivitäten 2010 soll Valcke wiederholt angekündigt haben, dass Katar die WM 2022 fest zugesagt sei; drei direkte Zeugen bestätigen die Aussage. Das Turnier wurde später, im Dezember 2010, tatsächlich an Katar vergeben. Alle Beschuldigten bestreiten die Vorwürfe.

Valcke war für Anfragen wegen einer Russland-Reise nicht erreichbar, ließ aber englischen Medien mitteilen, er habe sich nichts vorzuwerfen. Das Ticket-Geschäft ist komplex, die Abläufe sind oft undurchsichtig. Dabei werden Milliarden bewegt, sehr viele Geldströme fließen in bar.

Vorwürfe fallen in die Zeit der WM 2006

Ein Vorwurf, den JB nun erhebt, fällt in die Zeit der WM 2006. Für dieses Turnier hatte die Fifa das Hospitality-Geschäft mit Toptickets, Unterkunft und Rundumbetreuung für Sponsoren und Gäste einer eigens gegründeten Agentur anvertraut: ISE. Diese Firma erwuchs aus dem Geflecht eines alten Fifa-Partners, der japanischen Groß-Agentur Dentsu. Deren Spitzenmanager Haruyuki Takahashi hatte die ISE gegründet, auch mit Hilfe des Amerikaners Benny Alon.

Der aus Israel stammende ehemalige Fußballprofi Alon ist seit den Neunzigerjahren mit JB Sport Marketing im Ticketgeschäft zugange. Die neue ISE erhielt den Zuschlag gegen andere, erfahrenere Mitbewerber; sie zahlte 270 Millionen Schweizer Franken für 350 000 Ticketpakete der ersten Kategorie. Zwei Drittel der Ware wurde flott verkauft, die ISE holte laut Mitarbeitern etwa 400 Millionen Euro rein. Ein tolles Geschäft - aber dann geschah Bizarres. Die ISE gab das verbliebene Drittel zurück, 110 000 Tickets, - ohne entsprechend ein Drittel des Geldes zurückzuverlangen, das sie für das gesamte Rechtepaket gezahlt hatte. Unter den zurückgegebenen Tickets waren laut einer in Zürich präsentierten Verkaufsliste zehntausende Karten für die Topspiele der WM in Deutschland. Der Verbleib tausender dieser Karten ist bis heute nicht restlos geklärt; die Wege durch die Grau- und Schwarzmärkte hat über Jahre deutsche Behörden beschäftigt.

Alon und andere ISE-Mitarbeiter sahen sich damals getäuscht und wollten gegen die ISE-Spitze um Takahashi zu Felde ziehen. Für einen Prozess lieferten sie eidesstattliche Versicherungen. So gab Alon 2005 in Frankfurt eidesstattlich an, Takahashi habe im August 2003 gefordert, "dass ich zwei Millionen Euro auf die Seite lege, die er brauche, um eine persönliche Gratifikation für Joseph Blatter zu zahlen, den Fifa-Präsidenten, als Gegenleistung, weil die Fifa die ISE AG als erfolgreichen Bewerber für die WM 2006 akzeptiert hatte". Er habe das Begehr abgelehnt. Takahashi, der zu den mächtigsten Sportmanagern weltweit zählte, weist die Vorwürfe zurück.

"Boshafte Behauptungen"

Er habe nie Geld für Blatter verlangt und "nie Geld an Herrn Blatter bezahlt". Dafür liegt auch kein Beweis vor. Was vorliegt, sind die unter Eid geleisteten Aussagen ehemaliger ISE-Manager, die JB nun internationalen Medien präsentierte. Blatter ließ dazu mitteilen: "Der Fifa-Präsident hat im Zusammenhang mit der Vergabe der Hospitality-Rechte für die WM 2006 zu keinem Zeitpunkt Geld verlangt oder erhalten. Anderslautende Behauptungen sind falsch, boshaft und verleumderisch. Wer solche Vorwürfe äußert, muss mit rechtlichen Konsequenzen rechnen."

Der sich damals anbahnende Rechtsstreit unter den Ticket-Agenten, für den die ISE-Manager diese Aussagen anfertigten, kam nicht zustande. Laut Alon und JB-Agenturchef Heinz Schild, einem Schweizer Anwalt, einigte sich die Firma stattdessen mit der Fifa 2010 auf einen Vertrag, der den Erwerb von je 8700 Tickets für die WM-Turniere 2010 (Südafrika), 2014 (Brasilien), 2018 und 2022 zusicherte. Direkter Verhandlungspartner war aber nicht die Fifa-Exklusivagentur Match Ticketing. Sondern: Fifa-General Valcke.

Aus vorliegenden Verträgen, Mails und Nebenabsprachen zeichnen die JB-Leute nach, wie ihr Vertrag mit Valcke um weitere 2400 Firstclass-Tickets ab der WM 2014 ergänzt wurde - wobei dem Topfunktionär eine Fifty-fifty-Aufteilung des Profits aus diesen Karten zugesagt worden sei. Schild und Alon präsentierten in Zürich sogar einen Geldkoffer, in den sie eine Tranche des Geldes für Valcke gepackt haben wollen. Der habe aber eine Übergabe kurzfristig verschoben. E-Mails, die die Ankläger vorlegten, stützen diesen Eindruck.

Ende 2013 griff die Agentur Match ein

Geld floss am Ende keines zwischen den Parteien. Ende 2013 griff stattdessen doch noch die Agentur Match ein und übernahm den bis dahin diskret gehaltenen Vertrag mit Verweis auf die strenge Rechtslage in Brasilien. Match erfüllte aber angeblich die JB zugesicherten Verpflichtungen nicht. Statt 11 000 Hospitality-Pakete erhielten die JB-Kunden nur 7500 Tickets "hinter den Toren in der letzten Reihe" (Alon). Seitdem kämpft JB um verlorene Tickets und Millionen. Nach fruchtlosen Verhandlungen mit Fifa und Match, so Alon, habe man nun den Gang in die Öffentlichkeit gewählt.

Vorwürfe und Dokumente dürften auch die ermittelnden Behörden in der Schweiz und den USA interessieren. Darunter ein Passus, der sich in JBs Fifa-Ticketvertrag befindet und der Agentur das Kartenkontingent für 2022 nur dann zusichert, falls die WM in den USA stattfinde. Nach Unterschrift, so Alon, habe ihm Valcke eröffnet, dass diese WM Katar schon zugesagt sei. Monate später soll Valcke dies in einem Zürcher Lokal wiederholt haben, diesmal vor Zeugen. Einer stand am Donnerstag parat: Der Genfer Bankkaufmann Marco Vitali bestätigte den Vorgang.

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