Erik Zabel im SZ-Interview:"Meine Schuld wird mich immer begleiten"

Erik Zabel mit Team T-Mobile auf Mallorca

Vergangenheit in Magenta: Der frühere Telekom-Fahrer Erik Zabel. 

(Foto: dpa/dpaweb)

Epo, Cortison, sogar Bluttransfusionen: Erik Zabel hat endlich ausgepackt und alles über seine jahrelangen Dopingpraktiken erzählt. Im Interview mit der SZ berichtete der ehemalige Radprofi über die schwerwiegenden Lügen in seiner Karriere, die jetzt in Trümmern liegt. Das Geständnis im Wortlaut.

Von Andreas Burkert

"Ich habe viel länger gedopt, viele Jahre": Dieses Bekenntnis des ehemaligen Rad-Profis Erik Zabel in einem ausführlichen Interview mit der Süddeutschen Zeitung hat für viel Wirbel gesorgt. Zabel erntete positive Reaktionen - aber auch Kritik. Im Jahr 2007 hatte er schließlich schon einmal behauptet, all seine Doping-Sünden zu gestehen - aber lediglich eingeräumt, 1996 kurz mit dem Blutdoping-Mittel Erythropoietin, kurz Epo, experimentiert zu haben. Zabels neue Aussagen, erschienen in der Ausgabe vom Montag, den 29. Juli 2013, gehen nun wesentlich weiter.

Der sechsmalige Gewinner des Grünen Trikots bei der Tour de France räumt ein, ab 1996 regelmäßig Epo und Cortison genommen zu haben und spricht über Eigenblut-Infusionen. Er beschreibt, wie er zum Doping kam und wie dieses sein ganzes Leben veränderte. Außerdem äußert er sich zu den Beweggründen für seinen späten Schritt an die Öffentlichkeit: Er will seinen Frieden finden und einer neuen Generation Radsportler, zu der auch sein 19-jähriger Sohn Rick gehört, helfen. Das Gespräch im Wortlaut.

Viel geschlafen, das sieht man, hat Erik Zabel die letzte Zeit nicht mehr, vor allem nicht mehr seit Mittwoch - seitdem in aller Welt auch von seiner "Lebenslüge" geschrieben wird, die er 2007 mit einem allzu rudimentären Geständnis zu übertünchen suchte. Ein paar Tage hat er mit sich gerungen, nun doch mal richtig reinen Tisch zu machen, mit seiner kompletten Vita als erfolgreicher Radprofi, der das tat, was wohl alle taten im Feld: dopen, jahrelang. Ein erstes, langes Treffen an einem Flughafen bringt ein offenes Gespräch, viele Emotionen - und auch wieder Zweifel. Es wird sich vertagt, aber gleich abends ruft er dann an und sagt, etwas unerwartet nach den Eindrücken des Tages : "Ich mach's."

Insgesamt mehr als tausend Kilometer legt er dafür noch mal im Auto zurück, auf der Hinfahrt immer wieder die Frage: "Umdrehen?" "Aber ich bin ja gefahren", erzählt seine Frau Cordula beim zweiten Treffen. Seit 1991 sind sie ein Paar - und sie hat doch nichts gewusst, sagt sie, allenfalls "geahnt", in welcher Parallelwelt auch ihr Mann feststeckte, wie so viele. Dort regierte bisher die Omertà, das Schweigegelübde, und so sollte man jetzt auch Zabels Mut sehen, den er aufbringt, wenn auch im zweiten Anlauf. "Ich stecke jetzt in der Ulle-Falle", hatte er ganz zu Beginn mal gesagt, mit Verweis auf seinen einstigen Kapitän Jan Ullrich, der Persona non grata ist, mehr denn je. Doch Erik Zabel, 43, will dort raus. Ein schwerer Weg, einer, der weh tut.

Aber er versucht es.

SZ: Herr Zabel, am Mittwoch hat eine Anti-Doping-Kommission des französischen Senats die Ergebnisse von Nachtests der Tour 1998 veröffentlicht. Ein Detail lautete: Nicht nur Jan Ullrich und Marco Pantani waren mit Epo gedopt, sondern auch Erik Zabel, obwohl er 2007 der Nation erklärt hatte, nur 1996 eine Woche Epo genommen zu haben.

Erik Zabel: Ja, jetzt bin ich das Arschloch, und ich fühle mich auch unwohl in meiner Haut. Und das eigentlich schon seit fünf Wochen. Ich bin gar nicht mehr aus dem Haus gegangen, wenn ich nicht irgendwohin musste.

Seit vor der Tour 2013 die Meldung kam: Frankreichs Volksheld Laurent Jalabert wird in dem Pariser Report als Epo-Sünder enttarnt werden?

Ja, am Montag vor der Tour habe ich um 21.30 Uhr im Internet die Meldung von Jalabert gelesen und das mit den Nachtests der Tour 1998. Da holt dich auf einmal die eigene Geschichte ein.

In Ihrem Fall: Ein Geständnis am 24. Mai 2007 zum damals enthüllten Doping beim Team Telekom - ein Geständnis, das nicht wirklich aufrichtig war.

Weil ich da nur einen kleinen Teil der Wahrheit gesagt habe. Ich habe viel länger gedopt, viele Jahre.

Diese Lüge im vermeintlichen Geständnis, wie haben Sie mit ihr all die Jahre seit 2007 gelebt?

Nach dieser Pressekonferenz in Bonn folgte erst mal eine schwere Phase. Aber dann ging es mir eigentlich ganz gut, weil die meisten Leute mein Statement ja akzeptierten. Aber die Diskussionen über Doping blieben an der Tagesordnung, und die, die mich wirklich gut kennen, die haben sicher auch gemerkt: Das war kein Thema, über das ich gerne sprechen wollte. Weil ich da noch etwas verheimlichte.

Wann haben Sie realisiert, dass Sie mit dem Teil-Geständnis den nächsten Fehler begangen hatten?

Eigentlich schon da oben auf dem Podium. Ich wusste sofort, dass diese Pressekon- ferenz nicht ausreichend ist - für mich selbst. Auch wenn ich dann bald dachte, ich komme damit durch. Der Öffentlichkeit hat es ja lange gereicht.

Wieso haben Sie 2007 nicht die ganze Wahrheit erzählt?

Vor allem wollte ich mein Leben behalten, mein Traumleben als Radprofi. Das hat man ja so geliebt, diesen Sport, die Reisen. Dieser Egoismus, der war einfach stärker. Ich wollte weiter fahren.

Und das wäre nicht gegangen, wenn Sie mehr als eine Epo-Kur zugegeben hätten?

Das werde ich leider nie erfahren.

Sie schieben jetzt den Egoismus beiseite und offenbaren sich umfassend. Wieso?

Als ich das las - Jalabert in Nachtests von 1998 positiv auf Epo -, da wusste ich ja, dass die Wahrscheinlichkeit sehr groß ist, dass mir das auch passiert. Der erste Gedanke, der mir nach der Nachricht kam, war a): Hättest du mal damals mehr Mut gehabt, damals vielleicht mit Konsequenzen leben zu können. Und b): Wie sage ich das jetzt meiner Familie, wie sage ich das Rick?

Sie haben Ihren Sohn Rick schon 2007 auf der Pressekonferenz erwähnt, als Sie unter Tränen sagten: "Wenn ich erwarte, dass er ehrlich und geradeaus ist, kann ich ihn halt nicht weiter anlügen." Diese Emotionen haben Ihnen damals vermutlich Sympathien eingebracht - jetzt verstärken sie das Unverständnis der Öffentlichkeit.

Bei allen Fehlern, die ich bei der Presse- konferenz 2007 gemacht habe, war der größte sicher, Rick da mit reinzuziehen. Dass das eine Riesendummheit war, wusste ich schon auf der Heimfahrt. Und deswegen sitzen wir jetzt sicher auch hier, wegen ihm. Ich fordere ja Sachen von ihm ab, an die ich mich bis jetzt selbst nicht gehalten habe. Wie mich die Leute jetzt vernichten oder auch nicht, das kann ich nicht beeinflussen. Aber Rick hat jetzt mit 19 seinen ersten Profivertrag unterschrieben, er startet gerade seine Karriere.

Sie wollen ihm wenigstens einen Rucksack abnehmen?

Den Namen kann er ja nicht ablegen. Auf dem Papier liest sich das ja immer plakativ: "Die Sündergeneration, die alte Garde, die Doper, sie müssen endlich Klartext reden, sich zur Vergangenheit bekennen, damit der Radsport an sich und die neue Generation wieder eine Chance bekommt und nicht dieselben Fehler machen." Das ist eigentlich ein ganz einfacher, plausibler Satz. Aber plötzlich betrifft er mich, und zwar doppelt. Ich weiß nicht, wo es bei Rick hinführen kann. Aber er hat jetzt die Chance und den Wunsch, zu dieser neuen Generation zu gehören. Also muss ich was tun.

Haben Sie am Mittwoch mit ihm geredet, als die Nachricht aus Paris kam?

Ja. Wenn wir mal zusammen Rad gefahren sind, hatte ich schon da in jeder einzelnen Sekunde den Wunsch, ihm meine Geschichte zu erzählen: "Rick, da ist was, da ist noch mehr, das steht eigentlich immer noch zwischen uns, und das ist eine Last für mich und ich würde es gerne versuchen, dir zu erklären." Ihm das zu sagen, hätte jeden Tag klappen können! Aber ich habe immer einen Grund gefunden, es nicht zu tun - selbst in den vergangenen fünf Wochen. Ich fand immer einen Weg, vor dem Schritt zu flüchten.

Am Mittwoch ging das nicht mehr.

Ja, aber es war toll, er hat großartig reagiert. Ich habe ihm versucht zu erklären, wie das mit 2007 kam, dass ich in Wahrheit viel länger gedopt habe - und wie es früher war.

Wie war es früher, wann fing es an? Schon in der DDR, als Sie im National- kader der Bahn-Junioren standen?

Nein, der Beginn, der war schon so, wie ich ihn auf der Pressekonferenz im Mai 2007 geschildert habe, also 1996. In der DDR gab es staatliches Doping. Aber '87 und '88 war ich Junior, '89 bei den Amateuren. Wir hatten da einen guten Trainer, der hat mich vor diesen Dingen beschützt. Es gab damals nur die Ausreise-Kontrollen, um sicherzugehen, dass man clean war. Aber da hatte ich nie etwas zu befürchten.

Es kam die Wende, 1992 standen Sie im deutschen Olympia-Kader. Dort?

Nein. Wir wissen ja inzwischen, dass auch im westdeutschen Sport gedopt wurde. Aber nach der Wiedervereinigung herrschte sehr großes Misstrauen zwischen den Personen aus den beiden alten Systemen. Das war vielleicht mein Glück.

"Es begann da irgendwie auch ein Gruppenzwang"

1993 wurden Sie Radprofi beim Team Telekom.

Da hieß es dann erst mal: reinwachsen, zeigen, dass man natürliches Potenzial hat, dass du überhaupt ein Rennfahrer bist. Und was Doping betrifft, war ich da zu der Zeit noch ganz schön naiv. Ich wusste lange auch nichts von Epo.

Radsport -  Zabel Ullrich

Gedopte Kollegen: Jan Ullrich und Erik Zabel. 

(Foto: dpa/dpaweb)

1994 wurden Sie im Frühjahr positiv getestet, Sie erklärten das mit einer Sitzcreme und kamen mit einer Geldstrafe davon. Muss man diesen Fall heute auch neu bewerten?

Ich habe den positiven Test bekommen - und wusste wirklich nicht, wieso. Die Recherchen haben zur Creme geführt, die war einfach verboten. Da hatte ein Pfleger einen Fehler gemacht; ich weiß bis heute nicht, ob bewusst oder aus Versehen. Ich kam also mit einem blauen Auge davon, aber völlig traumatisiert. Ich wollte nicht mal mehr Vitamintabletten von denen.

1994 sind Sie erstmals bei der Tour.

Und ich bin nicht in Paris angekommen. Ich war da im Grunde nicht konkurrenzfähig und von der Anforderung einer Tour de France einfach überfordert. Nach zwei Wochen war ich fertig, mit Durchfall, eben alles. Ich hatte schon da den Eindruck, dass im Feld viele was nehmen. Trotzdem habe ich meinen Ausstieg als Riesenschmach empfunden.

1995 gewinnen Sie zwei Tour-Etappen.

Und zwar sauber. Doch beim Grünen Trikot gab's keine Chance, und bei den Bergetappen habe ich schwer um die Karenzzeit kämpfen müssen.

Sie gewinnen zwei Etappen beim größten Rennen und greifen ein Jahr später trotzdem zum Doping?

Das ist ja das Irre: Ich habe ein- und dieselben Rennen sauber und gedopt gewonnen. Aber du wolltest als junger Fahrer eben auch mehr. Außerdem begann da irgendwie auch ein Gruppenzwang. Der Sponsor war unzufrieden mit 1994 und 1995, es ging um die Vertragsverlängerung. Und ich selbst hatte '95/'96 den Pfleger gewechselt, ich lag dann zwei Jahre bei Jef D'hont auf der Massagebank, der meiner Meinung nach wirklich das Epo ins Team gebracht hat ...

... und dessen Buchveröffentlichung Sie dann 2007 zum Teil-Geständnis drängte ...

Er hat es 1996 auf jeden Fall geschafft, mich beim Thema Doping umzudrehen. Dass das ein gutes Jahr nach meiner Salben-Geschichte geschah, zeugt nicht von großer charakterlicher Stärke.

Wie lief dieses "Umdrehen" ab?

Das passiert nicht von heute auf morgen. "Ich hab' das und das gehört", so fing es 1995 an, wenn er deine Beine knetete. Oder: "Hast du gesehen, wie der und der heute gefahren ist?" Er bestärkte dich subtil. Und dann merkst du ja auch, dass du bei bestimmten Rennen einfach keine Chance hast oder um die Zeit kämpfst: "Was kämpfste denn so? Wenn du an dem Tag zehn Prozent sparen kannst, kannste am nächsten Tag gewinnen!"

So kamen Sie zum Epo.

Ja, ich habe '96 den Entschluss gefasst, die Grenze zum Doping zu überschreiten. Ich habe als junger Fahrer nicht groß darüber nachgedacht, dass das ein großer Schritt ist. Aber klar ist auch: Ich wusste ganz genau: Das ist nicht erlaubt, und es hat mich auch niemand gezwungen, Epo zu nehmen. Das war meine Entscheidung. Es war auch nicht so, dass ich meinen Vertrag nicht verlängert bekommen hätte. Man wollte aber einfach mehr vom Erfolg, und du hast dann relativ schnell verstanden: Mit Epo kann ich auch bei den bestimmten Rennen gewinnen. Deswegen waren all die Vorsätze, die ich nach Mitte '94 wegen der Salbe hatte, zwei Jahre später vergessen.

Wann genau?

Bei der Tour de Suisse 1996. Dort hat Jef mir gezeigt, wie ich es machen muss. Dann musste ich es mitnehmen und daheim selber machen, und beim Team hat er es dann wieder übernommen. Es waren damals insgesamt etwa 20 Tage statt eine Woche, und, um dann gleich auf die nächste Lüge von 2007 zu kommen: Ich habe es vertragen, mir wurde davon nicht schlecht.

Mit Epo gewinnen Sie 1996 das erste von insgesamt sechs Grünen Trikots nacheinander bei der Tour; der dänische Kapitän Bjarne Riis gewinnt für Telekom sogar die Tour - gedopt, wie er 2007 zugeben musste -, und Jan Ullrich wird im zweiten Profijahr gleich Zweiter.

Ja, 1996 war auf einmal alles anders, und auch ich bekam das mit: dass es nun intern genaue Vorstellungen vom Doping gab.

Woher bekamen Sie das Epo, und wer bezahlte es?

Bis auf 1996, nach der Tour de Suisse, hatte ich ja nie selbst Epo dabei. Ich wusste: Wenn ich etwas brauchte, konnte ich etwas bekommen, ohne illegale Wege gehen zu müssen. 1996 habe ich es sofort selbst bei Jef bezahlt. Danach musste es Ende des Jahres bezahlt werden, in cash.

Für 1998 ist jetzt auch Ullrich positiv auf Epo nachgetestet worden. 1997 hatte er gewonnen - gedopt, das ist logisch.

Wir müssen ja jetzt niemanden mehr für dumm verkaufen, es gibt inzwischen genug Berichte, wie es damals war. Aber konkret kann ich hier jetzt nur für mich sprechen. Ich selbst nahm Epo wieder vor der Tour und dann die komplette Rundfahrt durch. Es war auf jeden Fall mehr als die knapp drei Wochen wie 1996. Auch 1997 und '98 war es deutlich mehr.

Epo war noch nicht nachweisbar, doch bei der Skandaltour 1998 wurde ein Festina-Pfleger am französischen Zoll mit mehr als 400 Ampullen erwischt. Schreckte Sie das nicht ab?

Diese Tour war sicher ein einschneidendes Erlebnis. Meine Entscheidung war dann nach den Razzien während der Tour: Jetzt muss Schluss sein. Ich wollte nicht mehr, dass jemand von mir oder für mich Epo dabei hatte. Das musste jeder Fahrer dann selbst für sich entscheiden. Aber offenbar bin ich eben noch vor dem Absetzen positiv getestet worden. Trotzdem war die Tour 1998 damals für das Jahr darauf ein heil- samer Schock - wieder mal.

1999 nahmen Sie kein Epo?

Es hört sich doof an, aber ich habe kein Buch geführt und kann es nicht sicher sagen. In meiner Erinnerung bin ich aber überzeugt, dass ich '99 kein Epo nahm.

Andere Mittel 1999?

Ja, wie in anderen Jahren auch, etwa zweimal Cortison beziehungsweise Synacthen, ab und zu Schmerzmittel und das sogenannte "Finalfläschchen", das aber regelmäßig. Das war Jefs Zaubertrank und sein großes Geheimnis. Deshalb wusste ich nie, was drin ist. Er selber hat ja 2007 offengelegt, was wohl drin war: Koffein, Persantin und Alupent, in Cola aufgelöst.

Persantin ist ein altes Herzmittel. Und zumindest der Wirkstoff des Asthmamittels Alupent - Orciprenalin - ist verboten gewesen, wie alle Mittel mit ähnlichen pharmakologischen Wirkungen.

Wenn ich ehrlich bin, war ich mir dessen nicht mal genau bewusst. Dieses Fläschchen wurde auch nach Jefs Abschied vom Team Ende 1996 als Tradition bei uns beibehalten, ich habe es in für mich wichtigen Rennen für das Finale bekommen: Entweder aus dem Wagen heraus nach der Hälfte der Etappe, oder man hat's gleich beim Start im Trikot mit sich geführt. Die Trikottaschen wurden ja nie geprüft. Wenn denn in all den Jahren wirklich Alupent drin war - was ich wirklich nicht weiß und zeigt, wie tief ich in dieser Mentalität drin steckte - dann hätte ich sogar bis 2005 gedopt. Erstaunlich wäre dann aber auch, dass ich darauf niemals positiv war.

Die nächsten Jahre, wie ging es weiter?

Ab 1999 gab es ja den Hämatokritwert, der den Epo-Verdacht nahelegte, ab Olympia 2000 den Epo-Nachweistest. Das hat bei mir dazu geführt, dass ich in dem Umfang wie 1996 bis '98 nicht mehr mit Epo hantiert habe. Aber es gab trotzdem immer wieder Schwächephasen bei mir: Auch von 2000 bis 2002 habe ich vereinzelt Epo genommen: in der Vorbereitung, aber nicht mehr bei der Tour.

Und nach 2002?

Epo nicht mehr, die Tests waren mir inzwischen einfach zu gut. Es wurde bei uns im Team umgeschwenkt auf eine Alternative: Bluttransfusionen. Und ich muss das sagen: 2003 habe ich vor der Tour de France eine Re-Infusion bekommen.

Wieso haben Sie diese Methode nicht beibehalten, Bluttransfusionen waren doch nicht nachzuweisen?

Es hört sich verrückt an: Aber das Verhältnis zwischen Aufwand und Effekt war mir einfach zu niedrig. Durch diesen Vorgang - Blutabnahme, Blutrückgabe - habe ich vor der Tour einen ganzen Trainingsblock verloren, weil du dich danach erst mal schlapp fühlst. Das war nicht mein Ding, da bin ich lieber trainieren gefahren.

Mit Bluttransfusionen flog Ullrich 2006 auf. Er war beim spanischen Doping-arzt Fuentes, aber auch in Freiburg wurde also mit dem neuen Trend früh gearbeitet.

Sportler des Jahres Stockbauer Zabel

Sportler des Jahres 2001: Erik Zabel neben Hannah Stockbauer. 

(Foto: DPA/DPAWEB)

"Epo, Cortison, dann Blutdoping - ist es doch eine ganze Menge"

Ich hatte nie einen strukturierten Dopingplan, nie dafür irgendwelche Experten um mich rum und habe mich deshalb auch nie als Superdoper angesehen. Ich hatte nur Empfehlungen. Aber wenn man das jetzt so zusammennimmt - Epo, Cortison, dann sogar Blutdoping -, ist es doch eine ganze Menge.

Wie wir nun wissen, sind Nachtests noch sehr lange möglich. Was sagen Sie jetzt, sechs Jahre nach 2007, zu der Frage: Ab welchem Zeitpunkt waren Sie clean?

Ich habe 2004 und 2005 noch dieses Finalfläschchen genommen, wovon ich aber, wie schon besprochen, nicht sagen kann, ob es sich um Doping handelte. Dann bin ich ja weg von Telekom. Und dann war ganz Schluss. Mit den anderen Mitteln habe ich 2003 aufgehört, weil es im Ausland immer mehr Hausdurchsuchungen gab. Ich wollte das Zeug jetzt einfach nicht mehr. Das war mir ab 2003 einfach zu gefährlich.

Nach Ihrem Abschied von Telekom fuhren Sie sauber bis 2008?

Ich weiß, dass mir das jetzt vielleicht wieder nicht jeder glaubt. Aber diese besseren Nachweismethoden, der Gesundheitspass, das Abmeldesystem - das alles hat bei mir die Angst vor Entdeckung vergrößert und einen Wechsel meiner Einstellung zu dem Thema regelrecht erzwungen.

Ab 2004 ohne Blutbeschleuniger, ohne Kortison. Merkt man den Unterschied?

Ich war 2004 Olympia-Vierter und Vize-Weltmeister. Aber hatte ich eine Chance bei der Tour? Nein. Und natürlich hatte ich zu kämpfen damit, auch wenn Kritik aufkam. Aber ich war jetzt stärker.

Gab es keinen Druck vom Team?

Nein, die Erwartung, dass ich Mittel nehme, hat keiner an mich herangetragen. Obwohl es das Angebot zum Doping natürlich weiter gab.

2006 fliegt dann also Jan Ullrich kurz vor der Tour als Fuentes-Kunde auf, Sie fahren mit Ihrem neuen Team erstmals wirklich ohne Medikamente die Tour - und gnadenlos hinterher.

Das ist der Preis, den du zahlst, und ich war zum Ende der Karriere bereit, diesen Preis zu zahlen. Früher leider nicht.

Dass Sie das Dopen von sich aus eingestellt haben, ist trotzdem ungewöhnlich. Sie arrangieren sich mit einer neuen Rolle als Ratgeber für junge Fahrer - und dann bringt Jef D'hont ein Enthüllungsbuch zum Dopingsystem bei Telekom heraus und belastet auch Sie - ausgerechnet derjenige, der Sie einst ins Doping einführte.

Mein erstes Gefühl war Wut. Obwohl ich wahrscheinlich auch ohne ihn in den Dopingstrudel geraten wäre. Ich habe mich von ihm verraten gefühlt und überhaupt nicht darüber nachgedacht, das auch als Chance zu sehen. Rolf Aldag hatte mich ja von seinem Entschluss informiert, sich zu offenbaren. Und er hatte recht. Wir waren Freunde und Zimmerkollegen, und ich spürte, dass er sich da nicht allein hinsetzen kann. Er hat mir in den Rennen auch stets geholfen, dass ich gewinnen konnte.

Gab es 2007 Druck aus den Reihen der Telekom, den Termin abzublasen?

Nein, gesagt hat mir das niemand. Aber man hatte irgendwie schon das Gefühl, dass das nicht allen recht war und man die Sache lieber als Einzelschicksal von Rolf dargestellt hätte. Aber ich dachte wirklich, dass wäre eine gute Sache - und leider auch, dass es reichen würde, diese eine Epo-Kur zuzugeben.

Aus heutiger Sicht eine amüsante Darstellung, nicht wahr?

Nun, zum Lachen finde ich das auch heute noch nicht. Es ist mir unangenehm und peinlich. Ich will mich dafür entschuldigen, aber ich weiß auch, dass diese Entschuldigung nicht überall angenommen wird. Damit muss ich leben.

Ihr Kontakt zu Aldag war abgerissen, obwohl Sie recht nah voneinander entfernt wohnen im Westfälischen. Hatten Sie jetzt Kontakt mit ihm?

Ja, ich bin vorige Woche zu ihm gefahren und habe mit ihm das Für und Wider für diesen Termin jetzt hier abgewogen. Aber er war, genau wie unser früherer Pressesprecher Christian Frommert, einer derjenigen, der sagte: Mach' das! Aber das ist ja auch so eine Folge des Dopings: Der soziale Kontakt, der reißt auf einmal ab.

Weil sich alle verschanzen.

Ja, in den Neunzigern, eigentlich sogar bis 2005 hatten wir im Team unterschiedliche Charaktere und starke Egos, es gab auch mal Streit. Aber trotzdem hatten wir da einen starken Zusammenhalt und viel Spaß. Früher dachte ich wirklich, dass sich die Gruppe auch mal als Rentner wieder treffen wird. Wie mein Vater in Berlin, der trifft sich heute mit achtzig Jahren noch mit seinen alten Rennfahrerkollegen, die fahren zweimal die Wochen 30 Kilometer und gehen dann Kaffee trinken. Jetzt ist doch jeder von uns in seiner Isolation, diesen zwischenmenschlichen Austausch, das hat man alles nicht mehr. Wenn man sich mal traf, zeigte man sich das Handy, dass keiner das Gespräch aufnahm.

Ullrich wirkt bis heute gefangen in den Lügen und wegen der schlechten Ratschläge seines Umfelds. Das hat ihn, zumindest eine Zeitlang, krank gemacht.

Er hat ja diese gesundheitlichen Probleme selbst eingeräumt, Burn-out und Depression. Und nach diesem Teil-Geständnis 2007, da steckte auch ich in einer sehr dunklen Phase. Ich kenne mich mit Depressionen nicht wirklich aus, aber ich war damals zu nichts mehr zu gebrauchen, ich war antriebslos. Und jetzt ist es doch fast wieder wochenlang so gewesen vor dem 24. Juli, vor dem Bericht aus Paris. Du versteckst dich, machst nix, wie seit 2007 schaust du zehn Mal am Tag ins Internet, in den Videotext, mit immer derselben Angst: Sagt jemand was über mich, musst du wieder lügen?

Jörg Jaksche, der auch mal zwei Jahre für Telekom fuhr, hat im Juni 2007 seine komplette Geschichte erzählt - mit dem Ergebnis, dass er nie mehr ein Team fand. Fanden Sie das damals gerecht?

Ich habe beides gedacht: Ungerecht - aber geschieht ihm auch recht so. Weil wir wohl leider mit diesem Radsport-Denken groß geworden sind: Wer redet, ist draußen. Und wer beim Dopen erwischt wird, ist auch draußen.

Hat nicht spätestens der Sturz von Lance Armstrong, der die breite Öffentlichkeit aufgeklärt hat, gezeigt, wie wichtig die Aufarbeitung alter Geschichten ist?

Ja, und ich habe das lange nicht verstanden und mich lange dagegen gewehrt - das zeigen ja auch meine Handlungen. Aber es ist mir natürlich schon klar geworden, dass ich jetzt mit meiner Geschichte einen Teil dazu beitragen kann, dass die nächste Generation nicht immer wieder mit den alten Geschichten belastet wird.

Der Deutsche Olympische Sportbund (DOSB) mit Thomas Bach und Michael Vesper sowie die Nationale Anti-Doping-Agentur (Nada) wollten Sie auch deshalb nach Ihrem ersten Geständnis 2007 in die Präventionsarbeit einbinden.

Es gab auch mit dem DOSB kurz nach der Pressekonferenz ein Gespräch mit Herrn Bach und Vesper. Es ging um meinen Olympia-Verzicht, um meine Geschichte und eine grobe Idee, wie Erik Zabel Wiedergutmachung betreiben könnte. Aber danach ist das eigentlich im Sand verlaufen. Im Nachhinein wohl besser so, denn Erik Zabel als Anti-Doping-Kämpfer - da hätte ich mich sicher unwohl gefühlt. Auch die Nada hatte überlegt, mit mir etwas zu machen. Aber da ist auch nichts draus geworden. Wir hatten einen Kontakt: für den Adressen-Austausch. Auch das war mir letztlich lieb.

Herr Zabel, Sie haben nun Ihre Geschichte erzählt, und trotz der sechs Jahre Verspätung sind Sie eine Rarität als geständiger Doper. Womit rechnen Sie jetzt?

Ich erwarte jetzt sehr starke Kritik, Ablehnung und Unverständnis. Sowohl von der breiten Öffentlichkeit als auch von den Rennfahrern: "Warum hat er das nicht eher gesagt?"

Sind Ihnen Ihre Titel wichtig, von denen man Ihnen vielleicht welche aberkennen könnte?

Diese mehr als sechs Jahre seit der Pressekonferenz 2007 in Bonn haben mich natürlich verändert. Damals habe ich auf die Verjährungsfrist geschaut in meinem Glauben, dass ein bisschen Wahrheit reicht. Ich weiß aber längst, dass ich mich auf dem Weg zu meinen Titeln auch jahrelang selbst betrogen habe. Meine Schuld wird mich immer begleiten, und ob ich jetzt eine Strafe erhalte oder mir Titel aberkannt werden, ist da völlig nebensächlich - das würde ja auch meine Schuld nicht verringern.

Sie waren bisher als Sportchef bei Katjuscha tätig, für einen Ausrüster, als Sportlicher Leiter der Hamburger Cyclassics, die Ihnen soeben gute Arbeit bescheinigten. Bricht das jetzt alles weg?

Ich weiß es nicht. Ich weiß, dass dieses Interview hier unangenehme Folgen haben kann. Ich weiß aber auch, dass das jetzt meine letzte Chance ist. Die Möglichkeit zum Selbstbetrug hätte es doch jetzt wieder gegeben, indem ich sage, ich fechte den Pariser Bericht an ...

... dessen veröffentlichte Epo-Nachtests wissenschaftlich valide, aber wohl nicht sportrechtlich verwertbar sind.

Ich will das nicht mehr. Den Moment, mir von einer Offenbarung oder einer aufrichtigen Entschuldigung etwas erhoffen zu dürfen, den habe ich leider verpasst. Genauso, wie die Chance. Ich wünsche mir selbst jetzt einfach, dass ich mit diesem Schritt hier meine innere Ruhe wiederfinde - dass ich wieder in den Spiegel schauen kann.

Wenn Ihr Sohn Rick 2014 erstmals in der ProTour fährt - haben Sie dann Angst um ihn wegen des Themas Doping?

Nein, denn ich bin wirklich überzeugt, dass der heutige Radsport nicht mehr mit der dunklen Ära meiner Zeit zu vergleichen ist. Sonst hätte ich meine Bedenken. Beim Thema Doping sind wir zwei auch längst klar. Und jetzt steht auch nichts mehr zwischen uns.

Zabels Vita in Kürze

Erik Zabel wird am 7. Juli 1970 in Berlin-Marzahn geboren. Sein Vater ist auch Radsportler. 1987 erzielt Zabel junior die ersten internationalen Erfolge: Bei der Junioren-WM wird er mit dem DDR-Bahnrad-Vierer Dritter.

Nach der Wende wechselt Zabel zu RC Olympia Dortmund. Bei Olympia 1992 wird er Vierter im Straßenrennen. 1993 wechselt er zu den Profis, zum Team Deutsche Telekom. 1994: Sieg bei Paris-Tours. 1995 glücken Zabel bei der Tour de France zwei Etappenerfolge. 1996 gewinnt er dort das Grüne Trikot - bis 2001 holt er die Punktewertung sechsmal nacheinander, ein Rekord bis heute. Zabel nimmt 14 Mal an der Tour teil, ihm gelingen zwölf Etappensiege - ein deutscher Rekord.

Viermal (1997, 98, 2000, 01) gewinnt der Sprinter den Klassiker Mailand-San Remo, insgesamt feiert Zabel mehr als 200 Profisiege. 2001 wird er zum deutschen "Sportler des Jahres" gekürt, 2004 und 06 fährt er zu WM-Silber. 2005 nominiert ihn sein Team (das nun T-Mobile heißt) - nicht für die Tour; alles ist auf Jan Ullrich ausgerichtet. Im August verkündet Zabel seinen Abschied, er geht zum Team Milram. Seine letzten bedeutenden Erfolge: Siege bei der Vuelta und der Tour de Suisse.

Am 24. Mai 2007 räumt Zabel ein, bei der Tour 1996 einmal eine Epo-Kur ausprobiert zu haben. Da das Vergehen verjährt ist, wird er nicht aus den Siegerlisten gestrichen. Die Öffentlichkeit verzeiht dem Publikumsliebling. Er bestückt freiwillig ein Spendenkonto mit 100.000 Euro zugunsten des Jugend-Radsports - etwa die Hälfte des Betrags steht noch zur Verfügung für Veranstalter von Rennen und Vereine. Am 26. September 2008 erklärt Zabel seinen Rücktritt. Anschließend wirkt er als Berater beim T-Mobile-Nachfolger Highroad (bis 2011) und wird Sportdirektor der Cyclassics in Hamburg (2011).

Im Jahr 2011 holt ihn Team Katjuscha als Sportchef. 24. Juli 2013: Ein Report des französischen Senats enthüllt die Ergebnisse der Nachuntersuchungen aus dem Jahr 2004 mit neuen Testverfahren von eingelagerten Doping- proben der Tour 1998. In dem Jahr gab es noch keinen Test, mit dem das Blutdopingmittel Epo nachzuweisen war. Die Nachtests erbringen auch zwei Proben, die Zabel zuzuordnen sind - und in denen sich Epo-Spuren finden. Erik Zabel, 43, ist verheiratet und hat einen Sohn, den Jungprofi Rick Zabel, 19. Die Familie lebt seit Jahren in Unna.

Unmittelbar nach diesem Interview gab Zabel auf eigenen Wunsch in Hamburg den Sportdirektor-Posten auf. Das umstrittene russische Team Katjuscha suspendierte Zabel.

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