Erfolge von Neureuther und Rebensburg:Deutsche Skifahrer plötzlich gefährlich gut

FIS Alpine Skiing World Cup in Wengen

Felix Neureuther, nach seinem vierten Weltcup-Sieg in Wengen.

(Foto: dpa)

Felix Neureuther gewinnt in Wengen, Viktoria Rebensburg in Cortina: Die deutschen Skirennfahrer erleben ein selten erfolgreiches Wochenende. Doch der Skiverband wittert Gefahr: Vor der Weltmeisterschaft in Schladming will er hohe Erwartungen bremsen.

Von Michael Neudecker

Neulich hat Wolfgang Maier "die Jungs", wie er sagt, zum Gespräch gebeten, und zwar: "zu einem extrem langen Gespräch". Maier ist der Alpindirektor des Deutschen Skiverbandes, und es ist nicht so, dass er etwas auszusetzen hätte an der Männermannschaft der Alpinen, sogar im Gegenteil, die Männermannschaft der deutschen Alpinen ist ja gerade so gut wie schon sehr, sehr lange nicht mehr. Aber genau das ist es nun: Wolfgang Maier hat ein bisschen Angst.

Am Wochenende war er in Cortina d'Ampezzo, bei den Rennen der Frauen; am Samstag gewann dort Lindsey Vonn die Abfahrt und Maria Höfl-Riesch schied nach einem Fahrfehler aus, aber es war letztlich dann doch ein gutes Wochenende für die Deutschen, weil Viktoria Rebensburg am Sonntag den Super-G gewann. Maier stand danach im Zielraum im Schneetreiben und sprach über Rebensburgs Sieg und seine Bedeutung für die Frauenmannschaft, und keine zwei Stunden später musste er schon wieder über die Männer reden, vielmehr: durfte er.

Felix Neureuther gewann kurz nach Rebensburgs Sieg in Cortina den prestigeträchtigen Slalom in Wengen, vor dem Österreicher Marcel Hirscher, es war ein beeindruckendes Rennen von Neureuther, schon wieder, und: Nie zuvor hatte Neureuther den Gesamtweltcupsieger und Disziplinbesten Hirscher im direkten Wettkampf besiegt. "Das war das erste Mal", formulierte Maier grinsend im Überschwang, "dass der Felix den Hirscher auf freier Wildbahn erlegt hat."

Sonntag war ein guter Tag für die deutschen Alpinen, einer, wie sie ihn schon lange nicht mehr erlebt haben. "Da gehen Träume in Erfüllung", sagt Maier. Es sind jetzt noch zwei Wochen bis zur WM in Schladming, dazwischen liegt nur noch der Männer-Weltcup in Kitzbühel und der Frauen-Weltcup in Maribor sowie das etwas eigenartig terminierte City-Ereignis in Moskau; jeder Sieg, jede Niederlage wird in so einer Phase immer auch im Kontext dieser einen Frage betrachtet: Was bedeutet das für Schladming? Deshalb, sagt Maier, gab es neulich dieses Gespräch.

Zum ersten Mal seit Langem fahren die Deutschen mit ausgewogenen Medaillenchancen zu einer Großveranstaltung, bei den Frauen sind es zwei, denen Medaillen zuzutrauen sind, Maria Höfl-Riesch und Viktoria Rebensburg, bei den Männern sind es auch zwei: Felix Neureuther und Fritz Dopfer, der am Sonntag Sechster wurde. Gerade bei den Männern sind die Erwartungen durch ihre bislang gute Saison gestiegen, höhere Erwartungen bedeuten größeren Druck, und größerer Druck ist nichts Gutes.

Maier hat in diesem Gespräch versucht, Neureuther, Dopfer und die anderen darauf vorzubereiten, "ihnen klarzumachen, dass Erfolge Begehrlichkeiten wecken und wie man damit umgeht". Er wolle nicht, "dass wir in die Position des Müssens reingedrückt werden", sagt Maier, und je länger er spricht, desto mehr ist da dieses Gefühl: Erfolge sind schön, aber nicht immer ein Segen.

Wobei Maier nicht falsch verstanden werden will, dieses Wochenende, diese Momente der Freude, die stehen unangetastet für sich. Gerade Neureuthers Sieg versetzt ihn in eine gewisse Euphorie, weil es ein weiterer Beweis dafür ist, "dass wir wieder dazugehören". Es ist ein Glücksgefühl, das Neureuther bei den Deutschen derzeit erzeugt, eines, für das Maier gleich mehrere Beschreibungen findet, "stolz", "erhebend", "extrem angenehm", "sättigend", "geiles Feeling" und so weiter. Und was die Frauen angeht: Rebensburgs Sieg, sagt Maier, "war ein Befreiungsschlag".

Ohne Rebensburg wären die Sorgen größer

Es gerät gerade alles ein wenig durcheinander bei den Alpinen, bisher waren es stets die Frauen, die für Glücksgefühle sorgten, die Männer dagegen: nun ja. Die Abfahrer sind immer noch nicht dort, wo der DSV sie gerne hätte, bei der Abfahrt in Wengen schieden Stephan Keppler und Josef Ferstl aus, Andreas Sander wurde 32., aber weil die Techniker um Dopfer und Neureuther sich konstant in der Weltspitze halten und Maria Höfl-Riesch und den meisten ihrer Kolleginnen wenig gelingt (im Super-G fuhr Höfl-Riesch erkältet auf Rang 19), hat sich die Wahrnehmung verändert.

Der DSV jubelt nun über die Männer und sorgt sich um die Frauen, und wenn sie Viktoria Rebensburg nicht hätten, wären die Sorgen noch größer. Maria Höfl-Riesch ist zwar immer noch außergewöhnlich talentiert, sie hat auch in Schwächephasen grundsätzlich eine Siegchance, aber nach Lage der Dinge ist Rebensburg die größte Hoffnung der deutschen Frauen auf eine Medaille in Schladming.

Medaillengewinner sind meist das Ergebnis konzeptioneller Arbeit eines ganzen Systems, im Wintersport zumal, in dem schon im frühen Jugendalter Kaderkriterien über die weitere Förderung entscheiden, weil eine zielführende Talentförderung anders eben kaum möglich ist. Die meisten Medaillengewinner wissen das, sie sind dem System dankbar dafür, sie sind loyal. Viktoria Rebensburg ist auch dankbar, das schon, ansonsten aber ist Viktoria Rebensburg in etwa das Gegenteil des systemtreuen Athleten.

Der DSV hat eigens für sie ihren früheren Nachwuchstrainer Herbert Renoth ins Weltcup-Trainerteam versetzt, Renoth ist ihr Vertrauensmann, kein Trainer hatte so viel Einfluss auf Rebensburgs Karriere wie er. Der Verband dürfte die Entscheidung kaum bereuen, natürlich nicht, wenngleich die gegenwärtige Situation nicht ganz unproblematisch ist. Rebensburg gilt als eine, die trotz ihres immer noch jungen Alters (23) genau weiß, wie sie ihren Weg beschreiten will, ausdrücklich: ihren Weg.

Ob sie finde, dass die Situation in der Mannschaft auch eine Rolle spiele für die einzelnen Athleten? Viktoria Rebensburg sagt: "Wir sind ein gutes Team", aber: "Jeder versucht auch, sich auf sich selber zu konzentrieren." Sie findet: "Meine Saison war bisher ganz okay, aber natürlich möchte ich wieder dahin, wo ich die letzten Jahre war." Die letzten Jahre war sie die beste Riesenslalomfahrerin der Welt, nun zählt sie immer noch zu den besseren, mit ihrem Sieg in Cortina hat sie zudem eine bislang ordentliche Super-G-Saison zu einem vorläufigen Höhepunkt geführt.

Was das für Schladming bedeutet? Gar nichts, sagt Wolfgang Maier.

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