Epo:Das Märchen vom reinen Sport

Die Wahrheit über das Blutdoping im Sport ist härter, als es die Weltsportverbände sehen wollen. Epo ist zu wirkungsvoll - die Versuchung für Leistungssportler riesengroß. Dopingsünder haben ihre Epo-Rationen auf die Kontrollen eingestellt. Sogar Sportler verkaufen "Medikamente".

Thomas Hahn

München - An diesem Tag der Entdeckung muss sich Enrico Carpani, Pressesprecher des Internationalen Radsportverbandes UCI, vorkommen wie ein Türsteher, der niemanden herein lassen darf. Er weiß noch gar nicht, worum es geht, da sagt er schon, dass niemand etwas zu sagen habe bei seinem Arbeitgeber. Nicht einmal Léon Schattenberg, der Vorsitzende der UCI-Antidoping-Kommision? Auch dann nicht, wenn er gar nicht über den Dopingfall des siebenmaligen Tour-de-France-Siegers Lance Armstrong sprechen muss, sondern er schon mit ein paar Informationen über das Blutdopingmittel Epo helfen könnte? Auch dann nicht, sagt Carpani: "Es gibt viele Ärzte, die viel über Epo wissen."

Es ist eben nicht besonders angenehm, zu tief in das Thema Epo einzusteigen für Spitzensportverbände wie die UCI. Denn die Wahrheit über Epo im Sport ist bei weitem komplizierter, als sie sie sehen wollen. Die vergangenen Jahre haben zwar in der Tat einige bahnbrechende Skandale mit sich gebracht. 2001 bei den Nordischen Ski-WM in Lahti fielen sechs finnische Langlaufstars mit dem Epo-Maskierungsmittel HES auf, ein Jahr später, bei Olympia in Salt Lake, gingen die nächsten Langläufer den Fahndern ins Netz: der gebürtige Deutsche Johann Mühlegg, dreimaliger Gold-Gewinner für Spanien, sowie die russischen Medaillen-Sammlerinnen Olga Danilowa und Larissa Lasutina. Alle drei hatten die Epo-ähnliche Medizin Darbepoetin im Körper. Aber daraus abzuleiten, dass die Kontrollen sauberen Sport garantieren, in dem sich die Blutdoper reuig dem Diktat der Moral beugen, ist bestenfalls romantisch.

Blutdoping ist zu wirkungsvoll, als dass ehrgeizige Sportler es einfach fallen lassen würden. Schwedische Wissenschaftler machten Anfang der neunziger Jahre einen Versuch, in dem sie mit Epo betankte Sportler gegen saubere Sportler über 10000 Meter antreten ließen. Ergebnis: Im Durchschnitt etwa 450 Meter Vorsprung für die Epo-Fraktion. Zudem wird die Anwendung zumindest nicht komplizierter. Drei Spritzen pro Woche braucht ein gewöhnlicher Epo-Doper, sagt der Heidelberger Antidopingexperte Werner Franke, aber manches Epo-Produkt entfalte seine Kraft neuerdings auch schon bei einer Spritze pro Woche. Und so liegt der Verdacht nahe, dass Profis wie Armstrong die Skandale auf ihre Art aufarbeiteten: Indem sie nämlich ihre Dopingpraxis auf die Kontrollen einstellten und die Epo-Kuren so dosierten, dass ihre Werte unauffällig blieben.

Erythropoetin oder Epo ist ein körpereigenes Hormon, das entscheidend zur Bildung roter Blutkörperchen beiträgt. Künstliches Epo gibt es erst seit Anfang der achtziger Jahre. Das US-Pharmariese Amgen brachte 1989 das erste Epo-Produkt auf den Markt und damit ein wichtiges Medikament zur Behandlung von Blutarmut bei Krebs- und Nierenpatienten. Für Sportler wurde es zur begehrten Droge, weil es mit der Vermehrung der roten Blutkörperchen auch den Sauerstofftransport im Blut verbesserte und damit die Ausdauerleistung. Dass das Medikament nicht für sie gedacht war, zeigten schon die Nebenwirkungen: Durch Epo wird das Blut dicker, droht zu verklumpen und den Kreislauf lahm zu legen. Ärzte versuchten die Gefahr durch Medikamente wie HES oder eine akkurate Dosierung zu verringern. Trotzdem gab es Todesfälle.

Lange galt Epo vor allem als Wettkampfdroge, den teuren Test auf Epo wandten die Fahnder bei ihren Trainingsbesuchen deswegen kaum an. Doch spätestens seit dem Skandal um den kalifornischen Nahrungsergänzungshersteller Balco ist klar, dass Epo auch im Übungsalltag eine Rolle spielt. Aufzeichnungen aus den Balco-Labors zeigten, dass etwa der frühere 100-Meter-Weltrekordler Tim Montgomery neben Mitteln wie dem Designer-Steroid THG auch Epo zu sich nahm. Ein Sprinter mit einer Ausdauerapotheke? Für Franke ist das kein Widerspruch, "weil sie so mehr Einheiten in kurzer Zeit unterbringen". Franke sagt: "Im Langsprint ist Epo das Haupttrainingsmittel." Und er stellt klar: "Epo ist keineswegs nur ein Wettkampfmittel."

Die Botschaft ist klar: Trainingskontrollen auf Epo, Schluss mit der Leichtgläubigkeit. Und das wird gerade die UCI nicht sehr erfreut zur Kenntnis nehmen. Zögerlich nur hat sie sich auf einen Antidoping-Kurs begeben, nachdem die Polizei 1998 mit einer Razzia bei der Tour de France der Öffentlichkeit Einblicke in die Abgründe des Radsports bot. Jetzt deuten die Ergebnisse einer wissenschaftlichen Arbeit darauf hin, dass einer ihrer größten Helden jahrelang alle Antidoping-Mechanismen verhöhnte.

Die Geschichte vom bereinigten Sport ist ein Märchen. Hinter den Kulissen handeln Sportler mit Medikamenten, die kommerzielle Anbieter zwar nicht für den Sport produziert haben, aber trotzdem ganz gerne verkaufen. Und fähige Chemiker könnten Epo-Ableger erschaffen, die zu kurzlebig für die Kontrollen sind, aber einen langen Effekt garantieren. Sportbetrüger haben keine bedeutenden Ideen, aber für die Fahnder sind sie oft groß genug.

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