Entscheidungen der Fifa:Ein Party-Nachschlag

Deutschland bekommt die Frauen-WM 2011, Brasilien 2014 die der Männer. Während in Deutschland weitgehend Einigkeit herrscht, beginnt bei der Brasilianern das Armdrücken der Austragungsorte.

Thomas Kistner, Zürich

Tische und Stühle sind heil geblieben, auch hat sich niemand im Jubelwahn mit der eigenen Krawatte stranguliert. Für die in Dezibel messbaren Gefühlsausbrüche sorgte ein paar Minuten später die Delegation aus Brasilien, welche die Ausrichtung des WM-Events 2014 endlich amtlich beurkundet erhielt. Doch stille Freude kann auch erwärmen, und davon verströmte die deutsche Equipe reichlich, als sie Dienstagnachmittag, 15.20 Uhr, im Zürcher Fifa-Quartier die erlösende Mitteilung empfing: Die Frauenfußball-WM 2011 findet in Deutschland statt.

War ja trotz allem kein leichtes Spiel für die Favoritinnen, weil eines, in dem sie nur Fehler machen konnten. Die Reste der WM-Fete 2006 sind, zumindest in der Heimat, bis heute nicht verraucht, nun also gleich ein Party-Nachschlag. Und mit Sepp Blatter, dem Boss des Weltverbandes, der in deutschen Stadien so kräftig ausgepfiffen wird, dass er sich beim WM-Finale in Berlin nicht mehr auf den Rasen wagte und Italiens jubelnde Sieger sich selbst die WM-Trophäe verliehen, hat das Land keinen begeisterten Fürsprecher. Doch an der DFB-Delegation führte kein Weg vorbei. Auch aus protokollarischen Gründen, sie hatte (anders als Kanada) in Gestalt der Gesundheits- und Familienministerin Ursula von der Leyen wohlweislich eine Regierungsvertreterin im Team; vor allem aber, weil die Wahl der Hemisphäre für eine zweite WM in Europa beim nun schon sechsten Turnier sprach.

Geschichten aus dem Kosovo

Am deutschen Organisationskönnen ist ohnehin nichts zu rütteln, und dann legte die deutsche Delegation auch noch eine emotional gut dosierte Präsentation hin. Das Spiel mit anrührenden Themen ist der Agentur Abold aus vielerlei Bewerbungen bestens vertraut, selbst die Ministerin war beeindruckt von der Filmpräsentation, die das Leben der 19-Jährigen, auch in Pumps und kurzem Schwarzen kickenden Nationalspielerin Fatmire Bajramaj inszenierte - "die Integrationsgeschichte eines kleinen Mädchens aus dem Kosovo, das nach Deutschland geht und Weltmeisterin wird", wie von der Leyen hernach schwärmte. Die Präsentation wurde dargeboten von einer lockeren Fragestellerin, Monika Lierhaus, zwei entspannten DFB-Offiziellen, Präsident Theo Zwanziger und Generalsekretär Wolfgang Niersbach, sowie den zwei sympathisch beeindruckten Fußballerinnen Bajramaj und Birgit Prinz.

Dazu kam das Schwergewicht des deutschen Fußballs, Franz Beckenbauer - und der saß diesmal passenderweise gleich auf der richtigen Seite, inmitten der 20 anderen Kollegen der Fifa-Exekutive, die mit ihm über das Veranstalterland abstimmten. Wie das Votum genau ausfiel war, nach ausführlichen Dankesworten von Zwanziger ("der Ball ist auch für die Mädchen da") und von der Leyen, die einzige Nachfrage der Medienwelt an die deutschen Sieger - Fifa-Sprecher Andreas Herren erklärte, die Administration habe bei der Wahl aus dem Zimmer gehen müssen. Auch der Präsident wusste es nicht, der hatte beim umständlich zelebrierten Öffnen des Umschlags mit "klopfendem Herz" und ohne zu wissen, was drinsteht, wie er versicherte, nur den Siegernamen verlesen. Kurzes Posieren mit der Ernennungsurkunde, dann hatte Zwanziger den körperlich anstrengendsten Akt zu bewältigen, als er auf der Bühne den entschlossen anstürmenden Gerhard Mayer-Vorfelder, abfing. Der frühere Kollege und Widerpart an der Verbandsspitze ging ihm, diesmal aus Freude, an den Hals.

Dem Weltverband indes war die Anstrengung anzumerken, das aus Sicht des großen Weltfußball eher mäßige Event zu einem großen Ereignis aufzublasen. Reichlich burschikos hatte Blatter die deutsche Repräsentantin Birgit Prinz, 30, auf der Bühne begrüßt ("sie fällt ja auch schon ins Veteranen-Alter"). Als dann Alleinkandidat Brasilien seinen halbstündigen Auftritt hatte, blieb der Fifa-Boss mit seinem höchstrangigen Besucher des Tages, Staatschef Lula, erst einmal gepflegte 25 Minuten in irgendwelchen Verließen des riesigen Fifa-Bunkers auf dem Zürich-Berg verborgen. Und verhalf dem 2014-Ausrichter Brasilien, während Beckenbauer und Vorstandskollegen ungeduldig in ihren Sesseln hin und her rutschten, zu einer gängigen Visitenkarte. "Amanha" steht da drauf, morgen, und bezeichnet den konsequent lockeren Umgang mit dem Thema Pünktlichkeit.

Ein Party-Nachschlag

Die Präsentation der Südamerikaner begann, sporthistorisch besehen, mit einem Freudschen Versprecher: "Kein Land ist dasselbe nach einer WM", hieß es da, und in der Tat weiß man das nirgendwo besser als unterm Zuckerhut, wo die Niederlage im WM-Finale 1950 gegen den kleinen Nachbarn Uruguay eine nationale Depression in Gang setzte, die über Jahre anhielt und auf der Welt ihresgleichen sucht. Solche Emotionen aber fegte der große Paulo Coelho entschlossen vom Tisch, in der Fifa-Bütt erinnerte der Schriftsteller frei sprechend daran, dass er erlebt habe, wie über ein Fußballspiel fünf Stunden am Stück oder gar noch fünf Jahre danach gesprochen werde, eine Ausdauer, bei der nicht einmal der Austausch sexueller Erlebnisse mithalten könne. Wobei er nichts über die inhaltliche Qualität dieser Themen gesagt haben wollte. Am Ende ruhte also die Veranstalter-Urkunde in Lulas mächtigen Händen. Der Präsident und ehemalige Arbeiterführer gab der Freude des Subkontinents mit leuchtenden Augen und einer rauen Stimme Ausdruck, die er aus dem tiefsten Untergeschoss des Fifa-Komplexes zu holen schien.

In Brasilien beginnt nun das Armdrücken. Sechs der 18 nominierten WM-Städte fliegen raus, Streichkandidaten wie Cuiaba oder Florianopolis haben schon mit Groll vermerkt, dass der Fifa-Report sie ignorierte. Nun machen sich ihre Lokalpolitiker stark in der Frage, ob es eine parlamentarische Untersuchung im mutmaßlichen Geldwäsche-Fall beim Traditionsklub Corinthians geben soll. Dessen Geschicke lenkt eine sinistre Investorengruppe mit angeblichen Verbindungen zu einem russischen Oligarchen, Fahnder in Sao Paulo stießen auf Hinweise für internationale Geldwäsche, vermerkt der Bericht des Staatsanwalts. Mit solchen Dingen aber kennen sich nicht nur brasilianische Staatsanwälte gut aus, sondern vor allem die Fußballbosse des Landes. Vorneweg Ricardo Teixeira, der Verbandsboss, der über seine Frau in den Fußball kam, das einzige Kind des 24 Jahre lang regierenden Fifa-Paten Joao Havelange. Unter Schwiegerpapa reifte Senhor Teixeira zum großen Fußballführer, das konnten nicht mal Parlamentsuntersuchungen und Prozesse verhindern. Nun darf er den Staatschef umarmen - und all seinen wachsenden Einfluss nutzen, dass der Geldwäsche-Prozess in Sao Paulo als erstes eingeebnet wird.

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