Entscheidung um Prothesen-Weitspringer Rehm:Wissen vor Wünschen

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Tag der Entscheidung für Markus Rehm (Archivbild). (Foto: dpa)

Darf Markus Rehm bei der Leichtathletik-EM starten oder muss er ein Paralympionike bleiben? Sollte der DLV gegen den Prothesenspringer entscheiden, wäre dies ein klares Votum für die Kultur nachvollziehbarer Wettkämpfe. So oder so wird der Beschluss weitreichende Folgen haben.

Von Thomas Hahn

Der Deutsche Behindertensportverband wünscht sich, dass der Prothesen-Weitspringer Markus Rehm zur EM der olympischen Leichtathletik nach Zürich darf. Er erwartet es sogar, und das kann man dem DBS auch nicht übel nehmen.

Er ist der natürliche Interessenvertreter seines Paralympicssiegers, schon aus Loyalität muss er diese Haltung vertreten. Allerdings sollte der DBS auch ein paar harte Argumente einbringen in die Debatte um die Frage, ob die Übung, auf einer Karbon-Feder in die Sandgrube zu schnellen, zu vergleichen ist mit dem herkömmlichen Weitsprung.

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Die Diskussion um den tapferen Athleten Markus Rehm reicht nämlich zu tief ins Selbstverständnis des Sports hinein, als dass man sich dabei von Eigeninteressen und verbandspolitischen Befindlichkeiten leiten lassen sollte. Es wäre auch gut, wenn verletzte Wissenschaftler-Eitelkeiten draußen blieben beim Expertenstreit um die Wirkkraft des Rehmschen Sprungbeins. Vernunft muss walten, ein klares Bewusstsein für das, was die Wahrheit ist in diesem Fall.

Nachvollziehbar und bis in den letzten Winkel transparent muss die Entscheidung sein, welche der DLV an diesem Mittwoch bekanntgeben will, wie auch immer sie ausfällt. Schon deshalb, weil der Spitzensportler Rehm sich eine seriöse Hinwendung zu seinem Fall verdient hat, in dem er manchmal dasteht, als sei die Amputation seines rechten Unterschenkels infolge eines Wakeboard-Unfalls vor elf Jahren Teil einer Verschwörung gegen die Sportgesellschaft der Zweibeinigen gewesen.

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Der unterschenkelamputierte Weitspringer Markus Rehm gewinnt bei den deutschen Leichtathletik-Meisterschaften und lenkt sogar von Julian Reus' Rekordsprint über 100 Meter ab. Rehm, der mit einer Beinprothese springt, erfüllt damit zudem die EM-Norm - löst aber nicht nur Jubel aus.

Von Thomas Hahn

Zweitens muss die Entscheidung gut begründet sein, weil sie beträchtliche Folgen hätte. Wenn sich herausstellt, dass Prothesen-Weitspringer aussichtsreiche Olympioniken sein können, dürfte das auf lange Sicht die Nachwuchsförderung verändern. Und die Leichtathletik, die sich bisher eine der ursprünglichsten Sportarten nennen darf, würde den ersten Schritt in Richtung Materialsport tun. Auch die Qualität der Prothese könnte dann irgendwann darüber entscheiden, wer Weitsprung-Olympiasieger wird.

Manches deutet darauf hin, dass Markus Rehm ein Paralympier bleiben muss. Sollte es wirklich so kommen, ist es wichtig zu verstehen, dass dies nicht ein Votum gegen sein Talent und seine Person wäre. Sondern die einzige Lösung für die Kultur nachvollziehbarer Wettkämpfe. Außerdem ist kaum zu vermuten, dass der Sportler Rehm einen Zuspruch will, der nur auf Sympathie gründet.

© SZ vom 30.07.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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