Entscheidende Elfemeterschütze:Der stille, schlaue Kölner, der nun berühmt werden muss

Lesezeit: 2 min

Jonas Hector nahm beim letzten Strafstoß im Elfmeterschießen gegen Italien all seinen Mut zusammen - und schoss Deutschland ins Halbfinale. (Foto: AP)

Jonas Hector ist eine skurrile Erscheinung, er will so gar nicht in den eitlen Fußballbetrieb passen. Selbst das Lob für sein entscheidendes Elfmetertor lehnt er ab.

Von Philipp Selldorf, Bordeaux

Jonas Hector hat es bisher so gut wie möglich verstanden, sein Turnier im Schatten der Anderen zu spielen. Es ist nicht so, als ob er sich verstecken würde auf der linken Seite, die er pflichtbewusst bearbeitet, und es ist auch nicht so, als ob ihn die anderen Spieler meiden würden. Im Gegenteil: Jérôme Boateng hat ihn längst so liebgewonnen, dass er ihm ständig schwer empfängliche Diagonalpässe sendet. Worüber sich Hector nicht beschwert - er macht, was dem Team nutzt, und außerdem ist der Verteidiger des 1. FC Köln ein Meister darin, mit den Aufgaben zu wachsen. Auch deswegen genießt er bei Jogi Löw so viel Vertrauen, keine einzige Minute hat er bei dem Turnier versäumt.

Diesmal aber war es eine Aufgabe, auf die er gern verzichtet hätte. Ausgerechnet der ohnehin immer sehr besorgt dreinblickende Hector sollte den Elfmeter schießen, der Deutschland ins Halbfinale bringen könnte. "Es waren nicht mehr viele Leute da, irgendwann muss man dann. Und dann habe ich mein Herz in die Hand genommen", berichtete er später einigermaßen widerwillig, denn Hector ist nicht der Mann, der außerhalb des Familien- und Freundeskreises gern von sich erzählt.

DFB-Elf in der Einzelkritik
:Boateng tanzt Ballett

Der Innenverteidiger sorgt im Strafraum für ein ikonisches Foto, Sami Khedira könnte ausfallen - und Thomas Müller muss sich bei zwei Kollegen bedanken. Die DFB-Elf in der Einzelkritik.

Von Javier Cáceres, Bordeaux

Außer Hector war von den Feldspielern nur noch Benedikt Höwedes übrig, bekanntermaßen kein Kunstschütze. Manuel Neuer hätte Hector die Last noch abnehmen können, aber dieser erklärte sich bereit. Hector wusste sich zwar zu entsinnen, dass er schon mal Elfmeter geschossen hatte, er wusste aber auch, dass dies zuletzt in seiner Jugend geschehen war, beim saarländischen Sportverein Auersmacher, wo er wohl am liebsten immer noch kicken würde, wenn ihn nicht dieses Talent zum Profifußballer und Nationalspieler gezwungen hätte, die geliebte Heimat zu verlassen.

Dort hätte er die Ruhe gehabt, die er bevorzugt. "Jonas ist immer ruhig", sagt Oliver Bierhoff. Manchmal fragt sich der Teammanager, ob Hector "einer von denen ist, die noch neu sind bei der Nationalmannschaft", und dann stellt er fest: "Der ist ja schon länger dabei. Er ist halt keiner der lauten Töne." Im tendenziell eitlen Profifußballbetrieb ist der stille, schlaue Hector eine skurrile Erscheinung. Manchmal müsse man ihn quasi gewaltsam anstoßen, damit er ein wenig aus sich herausgehe, heißt es beim Nationalteam.

Und jetzt sollte Hector vor all den um die Wette drängelnden Leuten in Bordeaux erzählen, wie er sich zum Ende dieses aufregenden Abends im Sagenschatz des deutschen Fußballs verewigte. Und auch diese Anforderung nahm Hector wahr wie eine Dienstpflicht. Er wehrte sich gegen das Heldenklischee ("man sollte die anderen Spieler auch nicht einfach so hinten runterfallen lassen") und er war auch nicht gewillt, die üblichen Erwartungen an einen euphorischen Siegtorschützen zu erfüllen ("ich muss vor den Mikrofonen stehen. Und dann würde es Ihnen ja auch nichts bringen, wenn ich hier rumspringe"). Aber er war bereit, den Leuten den Hergang dieser Szene zu schildern, die ihn, ob er will oder nicht, berühmt macht.

"Der Weg zum Elfmeterpunkt war nicht gerade kurz", sagte er: "Man macht sich so seine Gedanken und nimmt um einen herum nicht viel wahr. Man versucht das auszublenden und sich auf den Schuss zu konzentrieren." Der Schuss. Andere haben deutlich schlechter geschossen als Jonas Hector, das schon. Aber ein Scharfschuss war es auch nicht. Zuvor hatte sich Hector einen Plan gemacht, "in die Ecke sollte er schon. Und dann war es vielleicht ganz gut, dass er nicht ganz in die Ecke gegangen ist. So konnte der Ball unter Buffon durchrutschen. Im ersten Moment dachte ich, er hat ihn, dann war er doch drin - und dann ist einfach nur Freude."

Genau besehen, gehörte Hector nicht nur wegen des finalen Elfmeters in den Mittelpunkt. Er hatte auch die Vorarbeit zu Mesut Özils 1:0 geleistet. Aber das Lob hat er lieber an Mario Gomez weitergeleitet, der ihn in den Strafraum geschickt hatte. Bloß kein Aufsehen, bitte.

© SZ vom 04.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Fußball-EM
:"Lass uns mal lieber bei ihnen schießen"

Hier die Gründe, weshalb Bastian Schweinsteiger entschied, das Elfmeterschießen vor der italienischen Kurve auszutragen.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: