Entlassung von Carlo Ancelotti:Maximal ist gerade genug

Real Madrid coach Carlo Ancelotti leaves after a news conference at Valdebebas, outside Madrid, Spain

Adiós durch die Hintertür: Carlo Ancelotti will sich nach seiner Zeit bei Real nun eine Auszeit gönnen.

(Foto: REUTERS)
  • Wer als Trainer von Real Madrid keine Titel gewinnt, muss gehen. Da hilft es Carlo Ancelotti auch nichts, dass die meisten seiner Spieler ihn gerne behalten hätten.
  • Der Rauswurf des Italieners erzählt viel über die Klubkultur der Königlichen.

Von Oliver Meiler, Barcelona

Manchmal lässt sich eine berufliche Wertschätzung auch in Minuten messen, krud und kalt. In diesem Fall, bei der Kündigung von Carlo Ancelotti als Trainer von Real Madrid, reichten knappe neun Minuten für alles: Bekanntgabe, Argumente, Hommage, Perspektive, Reporterfragen.

Es mutete so an, als hätte sich Florentino Pérez, der Präsident des umsatzstärksten Fußballklubs der Welt, diesen mechanischen, dem Ritual geschuldeten Auftritt hinter der Präsidentenloge im Stadion Santiago Bernabéu gerne ganz erspart: "Ich werde mich sehr kurz fassen", sagte er zu Beginn, "bei Real sind die Anforderungen maximal." Da war eigentlich alles schon gesagt. Ein Reporter fragte noch, wo der Italiener denn Fehler gemacht habe. Doch Pérez stand der Sinn nicht mehr nach einer Analyse des Gewesenen: "Ich weiß es nicht", sagte er lapidar, es sei nun aber Zeit für einen "neuen Impuls".

Manche Zeitung empfiehlt Jürgen Klopp, doch als Favorit gilt Rafa Benitez vom SSC Neapel

Dann war er weg, und eine der wichtigsten, auf jeden Fall aber spannendsten Personalien in der Welt des Fußballs galt als geregelt. Bereits nächste Woche will Pérez den Nachfolger benennen. Auch diese Entscheidung, die er wohl bereits getroffen hat, mochte er nicht allzu deutlich umreißen: "Es wäre gut", sagte Pérez, "wenn er Kastilianisch sprechen würde." Spanisch also, so, wie sie es in Madrid sprechen.

Ancelottis Spanisch verbesserte sich über die vergangenen zwei Jahre zwar zusehends, hörte sich aber bis zuletzt wie eine Variation von Italienisch an. Und wenn auch die eine oder andere spanische Zeitung Jürgen Klopp auf der Shortlist möglicher Zukünftiger stehen hat: Ein Wortschatz wie "Una cerveza, por favor!" - wie Klopp unlängst auf einer Pressekonferenz kalauerte, um sich auf seine Art an den Gerüchten zu beteiligen - genügt wohl nicht, um die sprachlichen Anforderungen zu erfüllen.

Als Favorit gilt Rafael Benítez, der Trainer des SSC Neapel, ein Mann mit perfekter Herrschaft über das Kastilianische. Um einen Moment bei Klopps Bierhallen-Analogie zu bleiben: Als Benítez noch den FC Liverpool leitete, nannte ihn die britische Boulevardpresse "The fat spanish waiter" - der dicke spanische Kellner. Man stellt ihn sich nur leidlich als großen Impulsgeber vor.

Verhandelt werden außerdem die Chancen von Unai Emery, dem baskischen Erfolgstrainer des FC Sevilla, und von Michel, dem früheren Mittelfeldspieler Reals, der seit zwei Jahren Olympiakos Piräus coacht. Das Reservoir international erprobter, Spanisch sprechender Trainer ist nun einmal eher bescheiden bemessen.

Ancelotti gehört dem kleinen Kreis an. Wo er bisher auch trainierte, gewann er Trophäen: beim AC Mailand, dem FC Chelsea, bei Paris Saint Germain. Bei Real erfüllte er 2014 die Sehnsucht nach der Décima, dem zehnten Sieg in der europäischen Königsklasse. In seiner ersten Saison gelangen Ancelotti gar vier Titel, so viele wie keinem Trainer Reals vor ihm.

Doch das zweite Jahr war weniger maximal, wie Pérez sagen würde, es war nicht einmal minimal: null Titel. Da brachten weder die Chöre der Fans noch die Appelle der Spieler etwas, die den umgänglichen "Carletto", den Ego-Verwalter, gerne behalten hätten. Cristiano Ronaldo etwa twitterte seine Nähe zum Coach mehrmals. Doch wahrscheinlich war das eher kontraproduktiv. Pérez lässt sich nicht gerne bevormunden.

Präsident Pérez regiert allmächtig

Der Bauunternehmer gibt den allmächtigen Patron des Vereins, obschon ihm der Klub nicht gehört. Er regiert ihn als gewählter Präsident, fast ohne Opposition. Damit das so bleibt, ließ er die Statuten umschreiben. Darin heißt es nun, fürs Präsidium könne nur kandidieren, wer seit mindestens 20 Jahren Klubmitglied ist und ein Privatvermögen von 15 Prozent von Reals Jahresumsatz besitzt. Mit der ersten Regel sollen Fremde verhindert werden, mit der zweiten interne Konkurrenten. Mit einer Unterbrechung von drei Jahren führt Pérez Real Madrid nun seit dem Jahr 2000.

In dieser Zeit gab der Klub fast 1,2 Milliarden Euro alleine für Spielertransfers aus. So nährte Pérez das legendäre System der Besten, der Galacticos, um die Marke Real weltweit zu pflegen. Kommerziell war die Idee ein Erfolg, sportlich eher ein Flop. In den zwölf Pérez-Jahren gewann Real nur sieben von 36 möglichen großen Titeln: zwei Champions Leagues, drei Meisterschaften, zwei Königspokale. Damit lässt sich keine Ära nachzeichnen, wie sie Pérez gerne begründen würde, keine Epoche mit Wiedererkennungsfaktor, wie sie der ewige Rivale aus Barcelona zu prägen vermochte.

Auch Ancelotti scheiterte an dieser Ambition. Für den Präsidenten war er zu weich mit den Stars. Im Beisein befreundeter Journalisten lästerte Pérez ständig über ihn. Dem Italiener war es zwar gelungen, die vielen Fraktionen zu versöhnen, die José Mourinho, der Liebling Pérez', in seinen drei Amtsjahren im Madridismo (2010 bis 2013) hinterlassen hatte. Man nannte Ancelotti "El Pacificador", Friedensstifter. Wenn er mal genervt war, zog er die linke Augenbraue hoch. Harmonie war ihm das Wichtigste. Doch fußballerisch blieb Real stehen, lebte nur von Individualitäten.

Die prominenten Stürmer mochten nie verteidigen, die Liaison zum Mittelfeld war oft prekär, die Abwehr ärgerte sich ständig über die gesamte Vordermannschaft, und Torwart Iker Casillas fiel durch alle Maschen. Besonders eklatant war das im Halbfinale der Champions League gegen Juventus: Die Turiner waren als Block angetreten, als Willensgemeinschaft - mit weniger Talent, aber mehr Kollektivsinn.

Als Pérez die Entlassung bekannt gab, machte sich Ancelotti zum Abendessen mit Freunden aus Mailand auf - zu einem Japaner in Madrid. Die Fernsehteams folgten bis in die Tiefgarage. Unter den Freunden aus Mailand war Adriano Galliani, der Generaldirektor des AC Mailand. Man hätte "Carletto" gerne zurück. Dort würde er den Ansprüchen genügen, er wäre gar etwas überqualifiziert. Man wäre froh über den alten Impuls. Ancelotti aber möchte zunächst einmal Pause machen, ein Jahr lang, ein Sabbatical. Wie weiland Pep.

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