Englands WM-Pleite gegen Uruguay:Trübe Aussichten dank Luis Suárez

Uruguay v England: Group D - 2014 FIFA World Cup Brazil

Teamkollegen in Liverpool: der überragende Luis Suarez aus Uruguay tröstet Englands Kapitän Steven Gerrard (links)

(Foto: Getty Images)

Ach, England! Das Mutterland des Fußballs steht vor dem Aus. Beim 1:2 gegen Uruguay trifft Wayne Rooney erstmals bei einer WM, doch es hilft nichts. Wenn kein Wunder geschieht, scheitern die "Three Lions" erstmals seit 56 Jahren in der Vorrunde - Trost spendet ausgerechnet Uruguays Doppel-Torschütze.

Von Matthias Schmid

Als Luis Suárez wieder Boden unter seinen Füßen spürte, lief er zu Steven Gerrard. Der uruguayische Stürmer war nach dem Schlusspfiff, nach diesem wundersamen 2:1-Sieg gegen England, von seinen Mitspielern auf Händen getragen worden, Suárez war der umjubelte Spieler. Ausgerechnet er. Mit zwei Toren eröffnete der Mann, der sonst in England spielt, seinem kleinen Land die Chance, trotz der Auftaktniederlage gegen Costa Rica die Gruppenphase zu überstehen.

Suárez hatte in jenem "unglaublichen Moment", wie er ihn selbst beschrieb, dennoch das richtige Gespür. Er sah Gerrard auf dem Rasen stehen, müde, leer, desillusioniert. Er lief auf ihn zu, auf seinen Mitspieler beim FC Liverpool, er nahm ihn liebevoll in den Arm wie ein Vater sein Kind, das zuvor weggelaufen war. Man konnte nicht sehen, ob Gerrard für einen kurzen Moment weinte, er bohrte sein Gesicht in die Schulter von Suárez. Es war ein rührender Anblick. "Ich mag es nicht, wenn er so leidet wie heute", sagte Suárez mitfühlend. Gerrard, der Kapitän der englischen Nationalmannschaft, sei der beste Spieler, "mit dem ich je gemeinsam gespielt habe".

Nette Worte, die Suárez' Größe neben dem Platz unterstreichen, aber sie halfen auf englischer Seite an diesem Abend niemandem, auch nicht Gerrard. "Er war die größte Enttäuschung", urteilte die britische Boulevardzeitung Daily Mirror über den 34-Jährigen. Und auch der gemäßigte Telegraph bemerkte: "Er war ein guter Kapitän, aber es wird Zeit aufzuhören."

Die Stimmen von der Insel hören sich wie ein trauriges Lebewohl auf den englischen Fußball an, wie ein sarkastischer Nachruf, dabei steht noch gar nicht fest, ob es für die Mannschaft von Roy Hodgson zum schlechtesten Abschneiden seit 56 Jahren kommen wird. Es gibt noch Hoffnung, doch die ist winzig. Alles hängt an Italien. Gewinnt der Weltmeister von 2006 seine beiden Spiele gegen Costa Rica und Uruguay, könnten die Engländer doch noch ins Achtelfinale einziehen - mit nur drei Punkten, sofern sie ihr letztes Spiel gegen Costa Rica mit zwei Toren Abstand für sich entscheiden. Die Aussichten darauf sind trüb.

Immerhin: Es wäre nicht das erste Mal, dass so wenige Punkte zum Weiterkommen reichen, schon einigen Teams gelangen solche Heldengeschichten. "Die Chance ist unglaublich gering", gab Hodgson zu: "Wir sind alle sehr traurig."

Dabei hatten viele spät im Spiel geglaubt, dass sich alles noch zum Guten wenden könnte bei dieser WM. Wayne Rooney hatte endlich einen Treffer erzielt, nachdem er zuvor 759 epische Minuten auf seinen ersten WM-Treffer hatte warten müssen. England hatte einen Weg gefunden nach dem Rückstand, um Uruguay vom eigenen Strafraum fernzuhalten. Bis zur jener 75. Minute. Bis zu dieser verhängnisvollen Kopfballverlängerung von Gerrard nach einem Abschlag von Fernando Muslera genau in den Lauf von Suárez. Der 27-Jährige spurtete los und schloss mit allem Geschick ab.

"Wir stehen so dumm da"

"Luis war so tödlich wie eh und je", sagte Gerrard und schüttelte ungläubig sein Haupt. Er wusste ja, dass sein Klubkollege fünf Wochen nicht spielen konnte. Erst vor 28 Tagen hatte er nach einer Meniskusoperation - im Rollstuhl sitzend - das Krankenhaus verlassen. Gerrard interessierte an diesem Abend aber mehr das eigene Schicksal. "Wir haben zweimal gut gespielt, sind zweimal zurückgekommen und stehen nach zwei Spielen so dumm da", haderte er hinterher.

Es ist genau dieser Widerspruch, den die Elf 2014 nicht ablegen kann. Jeder hatte die spielerischen Fortschritte der englischen Elf bei dieser WM erkennen können. Auch die "Three Lions" verstehen es mittlerweile, mit schnellen und dribbelstarken Spielern wie Raheem Sterling oder Daniel Sturridge flott durchs Mittelfeld zu preschen. Drang zum Tor war durchaus zu sehen, der englische Fußball wirkte sogar ein wenig leichtfüßiger. "Wir haben phasenweise schönen Fußball gezeigt", hob auch Hodgson hervor. Aber auch dem 66-Jährigen ist nicht entgangen, dass bei einer WM jogo bonito eher zweitrangig ist.

Trotz der deprimierenden Erfahrung denkt der Coach aber nicht darüber nach, alles hinzuschmeißen. "Ich laufe nicht weg", bekannte er. Auf der anderen Seite wisse er allerdings nicht, was die Verbandsverantwortlichen planen würden und ob sie noch glauben, dass er der richtige Mann sei. "Das wird ihre Entscheidung sein, nicht meine", fügte Hodgson hinzu. Ein netter Typ sei er, aber kein fähiger Nationaltrainer - so sehen es viele im Königreich.

Seine Arbeitspapiere gelten noch bis zur EM 2016 in Frankreich. In England herrscht durchaus der Eindruck, dass der Verband weiter mit ihm plane - auch bei einem früheren Scheitern in der Vorrunde. Ein Mangel an Alternativen könnte Hodgson retten. Es ist das große Problem der global ausgerichteten Premier League, dass sie weder gute einheimische Spieler noch gute einheimische Trainer herausbringt. Wenigstens gibt es Spieler wie Luis Suárez, die nicht vergessen, mit wem sie in einer Mannschaft spielen.

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