Englands Nationaltrainer:"Reden Sie keinen Unsinn, Sie Idiot!"

Die verdeckten Aufzeichnungen, die zur Entlassung von Allardyce führten, belegen das Dilemma des englischen Fußballs.

Von Raphael Honigstein, London

Ein Tor von Adam Lallana vom FC Liverpool, ein Sieg gegen die Slowakei in der WM-Qualifikation: Von der 68-tägigen Amtszeit des Sam Allardyce bei den "Three Lions" bleibt eine beispiellos blütenweiße Bilanz zurück. Sie wird in Zukunft eine feine Quizfrage abgeben.

Dem wahrlich skandalerprobten englischen Fußball-Verband aber gehen ob der rekordträchtigen Demission - kein Nationaltrainer war kürzer im Amt - allmählich die Antworten aus. Allardyce, 61, war nach dem Fiasko bei der Europameisterschaft mit dem Achtelfinal-K.-o. gegen Island und dem Rücktritt von Teamchef Roy Hodgson als "beste aller schlechten Ideen" (Times) ins Amt gehievt worden. Das reichte als Eignungsmerkmal offensichtlich nicht ganz.

Undercover-Reporter des Daily Telegraph hatten sich gegenüber dem ehemaligen Trainer von West Ham United und dem AFC Sunderland im August als Fußball-Investoren aus Südostasien ausgegeben und ihn mit versteckter Kamera der Geldgier und Geschwätzigkeit überführt. Allardyce bot sich den Reportern in Anwesenheit seines Managers und seines Finanzberaters für umgerechnet gut 460 000 Euro als Bankett-Redner an, schwadronierte über die einfache Umgehung des "dummen" Verbandsverbots von Drittbeteiligungen an Spielern, verunglimpfte seinen Vorgänger Hodgson als "Langweiler" und stellte weinselige Überlegungen über exhibitionistische Vorlieben im englischen Königshaus auf. "Prinz Harry ist ein ganz schlimmer Finger. Er zeigt Leuten seinen Hintern - und andere Dinge", so Allardyce.

Sam Allardyce Leaves England Football Managers Position After Newspaper Allegations

Nach nur einem Länderspiel aus dem Amt geschieden: Sam Allardyce vor seinem Haus in Bolton.

(Foto: Dave Thompson/Getty Images)

Keine dieser peinlichen Indiskretionen rechtfertigte für sich genommen seine Entlassung, doch in der Summe war es schlichtweg zu viel der Dummheit. Die auf der Insel offiziell für Ordnung und Anstand verantwortliche Football Association (FA) sah sich nicht in der Lage, ein Auge zuzudrücken. Allardyce ging am Dienstagabend "im gegenseitigen Einvernehmen", um dem Rausschmiss zuvorzukommen.

"Sein Benehmen war ungebührlich und entsprach nicht den Erwartungen, die wir an einen englischen Nationaltrainer stellen", erklärte der FA-Verbandsgeschäftsführer Martin Glenn. Allardyce entschuldigte sich später in einem Kommuniqué "in aller Deutlichkeit für einige Bemerkungen, die für Verlegenheit gesorgt haben", beklagte aber am Tag danach im weißen Polohemd vor seinem Haus in Bolton (bei Manchester), dass die "Hinterlist" der Reporter obsiegt habe.

Sie hatten sich "Big Sam" nicht zufällig ausgesucht. Schon vor zehn Jahren war der damals bei den Bolton Wanderers beschäftigte Übungsleiter zusammen mit britischen Trainer-Größen wie Sir Alex Ferguson und Harry Redknapp unfreiwillig in einer Enthüllungsdokumentation der BBC aufgetaucht, er hatte einige Spielerwechsel über seinen Sohn abgewickelt. Allardyce drohte dem Staatssender damals eine Klage an; über die Korruptionsvorwürfe wuchs letztlich Gras, obwohl eine Untersuchungskommission 17 Transfers als dubios einschätzte. In der Folge berichteten immer mal wieder Spieler, dass Allardyce sie gedrängt habe, zu seinem eigenen Berater Mark Curtis zu wechseln - ohne Folgen.

Zwei Nicht-Briten

Trainer der englischen Nationalteams seit 1990

Graham Taylor (England) 1990-1993

Terry Venables (England) 1993-1996

Glenn Hoddle (England) 1996-1999

Kevin Keegan (England) 1999-2000

Sven-Göran Eriksson (Schweden) 2001-2006

Steve McClaren (England) 2006-2007

Fabio Capello (Italien) 2007-2012

Roy Hodgson (England) 2012-2016

Sam Allardyce (England) 2016

Hinzu kommen als Interimstrainer die Engländer Howard Wilkinson (1999), Peter Taylor (2000), Stuart Pearce (2012), Gareth Southgate (2016).

Der Verband dürfte geahnt haben, dass man sich mit dem ehemaligen Zweitliga-Innenverteidiger (Bolton, Millwall) einen umtriebigen Mann der alten Schule ins Boot holte, doch es hatte im Sommer schlichtweg keine echte Alternative unter den Einheimischen gegeben. In der von internationalen Investoren beherrschten Premier League sind englische Trainer zunehmend außen vor - nicht zuletzt, weil gerade die erfahreneren unter ihnen im Ruf stehen, bei Spielerwechseln beherzt die Hände offen zu halten.

Allardyce hatte gegenüber den verdeckten Telegraph-Ermittlern diese Art der Bestechlichkeit brüskiert als "eine Sache von vor 20, 30 Jahren" abgetan. "Spieler schmieren, Trainer schmieren, Geschäftsführer schmieren - das geht heute nicht mehr, reden Sie keinen Unsinn, Sie Idiot", raunte er einen Berater an, der das Treffen organisiert hatte. Drei andere Spielervermittler erzählten den Reportern allerdings von acht aktiven und ehemaligen Premier-League-Trainern, die bei Transfers regelmäßig mitverdienten. Da die heimlich gefilmten Aussagen dieser zum Teil recht windigen Gestalten nicht justiziabel belastbar sind, ließ der Telegraph die Namen der Beschuldigten (vorerst) ungenannt. Man darf aber davon ausgehen, dass die an sich schon winzige Liste von potenziellen Allardyce-Nachfolgern nach dieser Story noch einmal kleiner geworden ist.

Die Geschäfte des Nationalteams soll derweil bis Ende des Jahres der U21-Trainer Gareth Southgate führen. Der 46-Jährige hatte sich selbst jüngst noch die nötige Qualifikation fürs Amt abgesprochen: "Dafür fehlt mir die Erfahrung", sagte er Anfang September. Das dürfte nach derzeitiger Faktenlage jedoch eher für ihn sprechen.

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