Englands Nationalteam:Vom Aussterben bedroht

Der englische Fußball leidet unter angestaubten Helden und einem Trainer, der aus wenig weniger macht. Er wird schon McClown genannt.

Raphael Honigstein

"Ein Match gegen Deutschland ist nie ein Freundschaftsspiel", hieß es am Montag wieder in den einschlägigen Blättern, doch die in diesem Zusammenhang immer wieder gern genommenen ,,Hunnen'' oder treudoofe Soldaten namens ,,Fritz'' ließen sich nicht mal in den Kolumnen der größten Fußball-Reaktionäre aufspüren. Dem in der Qualifikation zur EM 2008 über Gebühr geforderten England fehlt zurzeit schlichtweg die Kraft, sich vor einem Test gegen Deutschland zu standesgemäßen Schmähungen aufzuraffen. Zu viele Verletzte haben den ohnehin nicht üppigen Kader von Trainer Steve McClaren in ein besseres Gerippe verwandelt - wenn im Hintergrund die Knochen klappern, lässt es sich nicht gut mit dem Säbel rasseln. Weil sich zudem auch auf der Insel längst herumgesprochen hat, dass Joachim Löw nur mit der B-Elf in Nordwestlondon auflaufen kann, sind die Erwartungen an den Klassiker an diesem Mittwoch (21 Uhr, ARD) relativ gering.

McClaren Beckham

Neuer Trainer, alter Held: Ob Trainer Steve McClaren (r.) und David Beckham noch lange in Englands Nationalteam zu sehen sind, ist derzeit mehr als fraglich.

(Foto: Foto: Reuters)

Dem alten Rivalen im neuen Wembley kräftig eins auszuwischen oder gar Rache für das 0:1 im letzten Match im alten Wembley zu nehmen - Dietmar Hamann schoss im Oktober 2000 das Siegtor - wäre zwar schön. In erster Linie hofft man jedoch sachlich auf ,,eine gelungene Generalprobe für Israel und Russland'' (Daily Telegraph), die im September im Wembley vorspielen und auf dem Weg zur EM dringend geschlagen werden müssen.

Die Stammspieler Steven Gerrard (Liverpool), Owen Hargreaves und Wayne Rooney (beide Manchester United) fallen aus. Frank Lampard (Chelsea) will trotz eines gebrochenen Zehs spielen und Stürmer Michael Owen (Newcastle) darf nach seinem Liga-Comeback am Wochenende erstmals seit seinem Kreuzbandriss bei der WM 2006 wieder Spielpraxis im Nationaltrikot sammeln. David Beckhams Einsatz steht noch auf der Kippe: Der ehemalige Kapitän humpelte am Sonntag nach einem Flug aus New York mit geschwollenem Knöchel durch die Empfangshalle in Heathrow, 90 Minuten auf Kunstrasen mit den LA Galaxy hatten ihm schwer zugesetzt. ,,Ich hoffe, dass es geht'', sagte der 32-Jährige. England ist immer noch von seinen Flanken und Freistößen abhängig, da es so etwas wie Spielfluss unter McClaren bislang nur beim Gegner gab.

Jamie Carragher, der in der Nationalelf wiederholt auf der ungeliebten Position rechts in der Viererkette eingesetzte Innenverteidiger vom FC Liverpool, ist nach dem 3:0 in Estland im Juni enttäuscht zurückgetreten und ließ sich auch in einem Vier-Augen-Gespräch von McClaren nicht umstimmen. ,,Hätte ich vorher gewusst, dass er so reagiert, hätte ich mich vielleicht anders entschieden'', sagte McClaren am Wochenende - ein bemerkenswerter Satz, der nicht gerade seine Autorität untermauert.

Vom Aussterben bedroht

In seiner Not hat der in Internetforen nur als ,,McClown'' firmierende 46-Jährige die Routiniers Sol Campbell, 32, und David James, 37, vom FCPortsmouth zurück berufen. Verteidiger Campbell hat sich in der Zwischenzeit jedoch schon wieder verletzt und der wegen seiner Patzer im Tor als ,,Calamity James'' (Katastrophen-James) bekannte Torwart wird nur die Bank drücken dürfen. Im Sturm tummelt sich neben Owen nur besseres Mittelmaß, aus dem Darren Bent (Tottenham) zumindest in finanzieller Hinsicht heraus sticht: Der 24 Millionen-Euro-Mann verdeutlicht, dass der Wert der englischen Spieler längst nicht mehr in einem gesunden Verhältnis zu ihrer Qualität steht.

Die Premier League boomt, auf Kosten der Nationalmannschaft. ,,Die ungezügelte Popularität der Liga macht den Job das Nationaltrainers in etwa so glamourös und begehrenswert wie den einer Stewardess im Billigflieger'', meint der Observer. Es steht nicht mehr zur Debatte, wer die Macht im englischen Fußball hat. Auf Wunsch des Fernsehens fanden die beiden Spitzenspiele (Liverpool - Chelsea 1:1; Manchester City - Manchester United 1:0) am Sonntag statt, McClaren klagte vergeblich über die verkürzte Vorbereitungszeit. Angesichts eines Ausländeranteils von knapp 50 Prozent fehlen ihm die Alternativen, die noch vor Jahren als vorbildlich gepriesene Nachwuchsarbeit der englischen Klubs bringt nicht mehr genügend Talente nervor, die es mit der teuren Konkurrenz aus aller Herren Länder aufnehmen könnten. ,,Der englische Fußballer'', schrieb neulich der Independent besorgt, ,,ist eine vom Aussterben bedrohte Spezies, die wir mehr schützen müssen''.

Angestaubte Helden, Stürmer, die keine Tore schießen, Rücktritte und ein Trainer, der aus wenig noch weniger macht - ein bisschen erinnert die fatalistische Stimmung an deutsche Unpässlichkeiten vor dem Spiel im Oktober 2000. Deutschlands souveränes 1:0 gegen die von dem völlig überforderten Kevin Keegan trainierten Engländer - der letzte deutsche Auswärtssieg gegen eine Fußballgroßmacht - täuschte damals über die wahre Misere beim DFB hinweg und führte die Briten in die relativ erfolgreiche und stabile Ära mit dem schwedischen Trainer Sven-Göran Eriksson. Auf der Insel sind nicht wenige Experten überzeugt, dass es eines ähnlich heilsamen Schocks bedarf, um grundlegende Veränderungen durchzusetzen. ,,Für uns alle wäre es wohl das Beste, wenn wieder Deutschland gewinnt'', meinte der Guardian am Montag. Ganz im Ernst.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: