England siegt zum Auftakt:Millionen auf den Schultern

Englands Rugby-Auswahl soll bei der Heim-Weltmeisterschaft wieder den Titel gewinnen. Doch schon in der Gruppenphase dürfte es eng werden für den Gastgeber.

Von Tobias Schächter, London/München

Die Rugbyspieler der englischen Nationalmannschaft werden auf dem Weg hinein in das Twickenham Stadium von den Bildern und Sprüchen an den Wänden noch einmal motiviert. Es gibt eine Ahnenliste mit den Namen aller Spieler, die je ihr Debüt für England bestritten haben. Und auf weißem Grund mit weißem Kreuz steht: "Hundreds before you. Thousands around you. Millions behind you."

Alles ist Tradition in diesem Land, und die Erinnerung an die Vorgänger, die einst auch den Weg in das größte Rugby-Union-Stadion der Welt gegangen sind, die von 82.000 Zuschauern im Stadion sowie von Millionen im Land unterstützt wurden, soll nochmals anstacheln. Das "Twickers" stellt für den Rugby-Sport das dar, was das Wembley-Stadion für den Fußball bedeutet. Hier, im Süden von London, wurde nun die achte Rugby-WM eröffnet - und hier wird am 31. Oktober das Finale stattfinden.

England gegen Fidschi hieß die Auftaktbegegnung, und die Mannschaft von Trainer Stuart Lancaster enttäuschte die hohen Erwartungen mit einem 35:11-Sieg zumindest ergebnismäßig nicht. Von der Leistung her müsse seine Mannschaft künftig aber "direkter" spielen, mahnte der Trainer. Die Nervosität nach einer frühen hohen Führung, sie war bei Englands Team zu spüren.

Nach dem frühen Aus vor vier Jahren geht es nun um den Ruf

Doch die Stimmung vor und während des Spiels erinnerte manche Beobachter der englischen Presse an die Atmosphäre während der Olympischen Spiele 2012. Und die gigantische Eröffnungsfeier sowie die prächtige Stimmung während der 80 Minuten gegen Fidschi vor 82.000 Menschen - darunter Prinz William und Herzogin Kate sowie Prinz Harry - gäben zu der großen Hoffnung Anlass, dass bei einem langen Verbleib Englands im Turnier die nächsten Wochen eine große Party im Vereinigten Königreich werden könnten.

Nach dem schmachvollen Viertelfinal-Aus bei der letzten WM vor vier Jahren in Neuseeland will der Weltmeister von 2003 in der Heimat seine Reputation wieder herstellen. Die Engländer sind das einzige Team aus der nördlichen Hemisphäre, das die WM seit der ersten Ausspielung im Jahr 1987 gewinnen konnte. Favoriten sind auch diesmal die großen Teams von der südlichen Halbkugel: Allen voran Titelverteidiger Neuseeland, Australien und Südafrika. Aber England, Frankreich und auch Irland und Wales aus Europa werden Chancen zugeschrieben.

In vier Fünfergruppen kämpfen 20 Teams um den Titel, nur die jeweils ersten beiden jeder Gruppe kommen in die Viertelfinals. Und genau hier liegt ein Problem für Englands Auswahl, denn in der Gruppe A muss sie sich gegen Wales und Australien durchsetzen. Es war am Freitag deshalb von Vorteil, dass die Engländer gegen Fidschi einen Bonuspunkt mitnehmen konnten - durch einen Versuch von Billy Vunipola in der letzten Minute. Es gibt vier Punkte für einen Sieg und zwei Punkte für ein Unentschieden, Bonuspunkte können vergeben werden, wenn eine Mannschaft während eines Spiels vier oder mehr Versuche legt oder mit sieben oder weniger Punkten verliert.

Ein Vorteil: der disziplinvernarrte Coach Stuart Lancaster

Ein gelungener Versuch liegt dann vor, wenn ein Spieler das Rugby-Ei hinter die Linie ins Malfeld des Gegners mit den Händen auf den Boden legt. Dafür gibt es fünf Punkte, die Ausbeute kann mit einem Kick (Erhöhung) noch um zwei Punkte erhöht werden. Für jeden Straf- oder Dropkick gibt es drei Punkte. Beim Kick muss das Ei über die Latte zwischen den Querstangen geschossen werden.

Die Engländer hegen trotz der starken Gruppe wieder Hoffnung auf den WM-Triumph, weil in Stuart Lancaster ein Trainer am Werk ist, der viel Wert auf Disziplin legt. Im Vorfeld des Großereignisses suspendierte er den begabten Manu Tuilagi. Der Außendreiviertel hatte sich flegelhaft mit einem Taxifahrer und Polizisten gestritten. Bei der letzten WM machte sich Englands Team ja zum Gespött, als es neben dem Platz für spektakulärere Schlagzeilen sorgte als auf dem Platz. Die Spieler interpretierten das Wort Regenerationsphase eigenwillig: Der gerade frisch mit einer Enkelin der Queen vermählte Mike Tindall flirtete mit Blondinen und trank Pints in einem Pub - als Zuschauer übrigens der zweifelhaften Freizeitbeschäftigung Zwergen-Weitwurf.

Doch diese Eskapaden sollen in Englands Auswahl der Vergangenheit angehören, auch wenn bei einem sechswöchigen Turnier (und einer mehrwöchigen, intensiven Vorbereitungsphase) die jungen Profisportler abseits des Rasens bei Laune gehalten werden müssen.

Für die Engländer war der Sieg gegen die starken Männer von den Fidschi-Inseln Pflicht. Im nächsten Spiel am kommenden Samstag treffen die Spieler von Trainer Stuart Lancaster auf Wales. Dabei wird es für sie noch wichtiger sein, eine Parole an den Wänden in den Katakomben im "Twickers" beim Gang auf den Rasen zu verinnerlichen. "Belief" steht dort. Ohne den Glauben an sich selbst kann niemand ein Rugby-Spiel oder gar eine WM gewinnen.

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