Fußball in England:"So many Germans" in Norwich

Sheffield United v Norwich City Sky Bet Championship Daniel Farke manager of Norwich City shouts ins; Daniel Farke

"Ich will, dass wir die Protagonisten sind": Trainer Daniel Farke (re.), hier mit Marco Stiepermann, wählt einen für die Liga ungewöhnlichen Ansatz.

(Foto: Michael Sedgwick/Imago)
  • Acht deutsche Profis und der frühere Trainer der Dortmunder U23, Daniel Farke, sollen dem englischen Zweitligisten Norwich City beim Aufstieg in die Premier League helfen.
  • Als Vorbild gilt Huddersfield Town, das im Sommer in die erste Liga aufgestiegen ist.
  • Noch dümpelt das Team aber im Mittelfeld der Tabelle herum.

Von Julian Budjan

Die Fans von Norwich City singen in dieser Saison ein neues Lied. "All the Germans, so many Germans. They all go hand-in-hand through their Farkelife." All die Deutschen, so viele Deutsche, das haben sie auf die Melodie des Songs "Parklife" der Band Blur gedichtet. Den Anhängern muss es derzeit so vorkommen, als würde ihr Verein von deutschen Fußballern gekapert.

In den vergangenen Monaten verpflichtete der englische Zweitligist zahlreiche frühere Bundesliga-Profis. Mario Vrancic, Marco Stiepermann, Tom Trybull, Christoph Zimmermann, Onel Hérnandez, Dennis Srbeny, Moritz Leitner. Zählt man Marcel Franke dazu, der seit Januar an Dynamo Dresden ausgeliehen ist, stehen acht Deutsche in Norwich unter Vertrag. Und ihr Trainer ist der Westfale Daniel Farke, 41, der im vergangenen Jahr noch die zweite Mannschaft von Borussia Dortmund trainierte. Hand in Hand durchs Farke-Leben.

Das Modell: Dortmunder Expertise gepaart mit deutschen Spielern

Dass im Osten Englands eine Art deutsche Legion durchs Tabellenmittelfeld der zweiten Liga dümpelt, hat auch mit Stuart Webber zu tun. Der Brite, 34, seit Sommer Sportdirektor, möchte die "Canaries" wieder zurück in die Premier League führen, wo sie vier der vergangenen sieben Spielzeiten verbrachten. Und Webber kennt ein Erfolgsrezept, das sich unter seiner Leitung mit Huddersfield Town in der vergangenen Saison bewährt hat: Dortmunder Expertise gepaart mit deutschen Spielern, die in ihrer Heimat nie ganz den Durchbruch schafften, aber in einem Bundesliga-Nachwuchszentrum ausgebildet wurden.

"Jeder Fußballer hat den Traum, in der Premier League zu spielen", sagt Mario Vrancic. Der 28-Jährige, ausgebildet in der Jugend von Mainz 05, war der erste Deutsche, der vor einem dreiviertel Jahr nach Norwich kam. England ist nicht nur das Land, wo dank opulenter TV-Verträge viel Geld zu verdienen ist, sondern sich auch die meisten Ausnahmespieler sammeln. Neben den Besten der Bundesliga - acht Ehemalige standen kürzlich beim 4:3 zwischen Liverpool und Manchester City auf dem Feld - wollen es auch Spieler aus der zweiten Reihe schaffen; sie nehmen dafür den Umweg über die zweite Liga in Kauf.

Chris Löwe, Christopher Schindler, Elias Kachunga, Michael Hefele, und Collin Quaner haben es in Huddersfield vorgemacht. Die Fünf waren 2016 dem Ruf David Wagners gefolgt. Wagner, zuvor Trainer beim BVB II und von Webber verpflichtet, mischte mit einem Spieleretat von nur 11 Millionen Pfund die Championship auf, über die Playoffs gelang sensationell der Aufstieg. Webber verließ Huddersfield - und verpflichtete in neuer Funktion in Norwich Farke, Wagners Nachfolger bei Dortmunds U23. Der stellte sogleich das System um, etablierte Ballbesitzfußball, setzte auf spielerische Dominanz. Untypisch für die Championship, wo es "ständig rauf und runter" geht, die Spieler "immer am rennen" sind und alle "hoch und weit" spielen, so drückt es Vrancic aus. Farke hat andere Vorstellungen: "Ich will, dass wir auf dem Platz die Protagonisten sind. Ich mag es, wenn wir den Ball haben, wie Guardiola, Tuchel oder Bayern München", hat er dem Guardian erklärt.

Anders als in Huddersfield gibt es kaum finanzielle Grenzen

Für diesen Ansatz braucht er Profis, die ihn verstehen, und wie Wagner wurde Farke dabei auf seinem Heimatmarkt fündig. Die Winterzugänge Leitner (aus Augsburg), Hernández (aus Braunschweig) und Srbeny (aus Paderborn) passen ins Schema: ein in der Bundesliga glückloser Hochbegabter, ein solider Zweitliga-, und ein überdurchschnittlicher Drittligaprofi. Im Gegensatz zu Wagner sind Farke kaum finanzielle Grenzen gesetzt. Norwich bekommt seit dem Abstieg 2016 in drei Jahren rund 100 Millionen Pfund aus einem Rettungsschirm der Liga, der den schnellen Wiederaufstieg ermöglichen soll.

Der Erfolg wie in Huddersfield lässt allerdings noch auf sich warten: Die Saison ist bisher ein ständiges Auf und Ab. Gegen tief stehende Gegner tut das Team sich häufig schwer, oft reicht ein schneller Konter, um Norwich zu überlisten. Nach mäßigem Start blieb City den September und Oktober über ungeschlagen, nur um in den zwei Folgemonaten gerade mal zwei Siege aus zwölf Partien zu holen. Seit dem Jahreswechsel geht es wieder aufwärts, von neun Spielen hat Norwich nur eins verloren, ist derzeit Tabellen-Vierzehnter, acht Punkte hinter den Playoff-Rängen. Vielleicht hat auch der dichte Spielplan seinen Anteil an den Formschwankungen. "Zwischendurch dachte ich, ich drehe durch, so oft haben wir gespielt. Das ist auch vom Kopf her sehr anstrengend", sagt Vrancic, der erkennen musste, wie umkämpft der Aufstieg ist: "Zwölf Klubs haben sich dieses Ziel gesetzt, das ist total verrückt. Eine völlig andere Welt als die zweite Bundesliga."

Der Mittelfeldspieler war in Paderborn und Darmstadt ein passabler Bundesligaprofi, bevor er nach dem Abstieg mit Darmstadt nach Norwich wechselte. Auch Marco Stiepermann hat sieben Bundesligaspiele für Dortmund absolviert und war Zweitliga-Stammspieler in Cottbus, Fürth und Bochum. Er kam einen Monat nach Vrancic nach Norwich und war überrascht über die Qualität der Liga. "Hier könnten manche locker Bundesliga spielen", sagt er, "aber die würden dort eben nicht das Gleiche verdienen." Stiepermann sagt, bei seinem Wechsel auch an die Zeit nach der Karriere gedacht zu haben. Dass englische Vereine mehr bezahlen, das "gehört halt einfach momentan zum Fußball dazu".

Doch es ist nicht nur das. "Man merkt, dass hier etwas entsteht, auch die Fans sind von unserem Weg absolut überzeugt", sagt Stiepermann. Fast alle halten sie in der ländlichen Grafschaft Norfolk, einer eher strukturschwachen Region, zu Norwich, dem einzigen größeren Klub weit und breit. Die Ambitionen sind groß. Aufstieg? "Ob es dieses oder nächstes Jahr klappt", sagt Stiepermann, "ist eigentlich egal." Die Deutschen fühlen sich wohl in Norwich. Glaubt man Stiepermann, dann sind sie immer die ersten auf dem Trainingsplatz - und sprechen nur englisch. Wer in der Kabine Deutsch redet, muss in die Mannschaftskasse zahlen.

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