England:Kirschenpflücken in der Provinz

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Die "Cherries" vom AFC Bournemouth feiern den Aufstieg in die Premier League.

Von Sven Haist, Bournemouth/London

Zwei Autostunden entfernt gelegen von der Hektik Londons liegt das Städtchen Bournemouth. Idyllische Ruhe, malerischer Strand - das Urlaubsdomizil an Englands Südküste lädt zum Erholen ein. Doch seit der vergangenen Woche steht Bournemouth für mehr als beschauliche Freizeitgestaltung - nämlich für buchstäblich erstklassigen Fußball. Zwar existiert der regionale Verein AFC Bournemouth unter verschiedenen Namen seit 116 Jahren, aber bislang hat das nicht für sehr viel mehr Aufsehen gesorgt als das Treiben auf den diversen Golfplätzen der Umgebung. Wie schnell sich die Zeiten ändern können. Erstmals dürften die Anwohner am Montag, einem öffentlichen Feiertag auf der Insel, aufschrecken, wenn um 11 Uhr britischer Zeit kein Schiff am Steg Boscombe andockt, sondern ein offener Doppeldeckerbus hier zu seiner "lap of honour" aufbricht, einer Ehrenschleife ins Zentrum von Bournemouth. So feiert der Meister der zweitklassigen Championship erstmals in seiner Geschichte den Aufstieg in die Premier League.

Zwei Erfolge zu Saisonende gegen die Bolton Wanderers (3:1) und am Samstag gegen Charlton Athletic (3:0) haben Bournemouth, den Zufluchtsort für ruhebedürftige Seelen, über Nacht in ein Paradies für Fußballmärchen verwandelt. Die Medien auf der Insel haben keinen Zweifel: Der Aufstieg des AFC Bournemouth ist eine moderne Heldensaga.

Ein Busfahrer-Witz und Villen am Meer

Zweimal in den vergangenen 20 Jahren standen die "Cherries" vor dem finanziellen Ruin. Nur ihr Spitzname, die Kirschen, versprach damals noch süßere Zeiten. Mit Eimern sind die Anhänger 1997 auf der Suche nach Geld durch die Stadt gezogen, um die Banken davor zu bewahren, die Geschäftsstelle des damaligen Drittligisten zu schließen. Auf dem Gelände des Stadions sollten gar Häuser errichtet werden; es hatte den Anschein, als sei der letzte Torchuss schon erfolgt. Mit Hilfe von Trevor Watkins, einem mit dem Verein tief verwurzelten Sportjuristen, gelang es den Fans, die Geldinstitute davon zu überzeugen, dass der Klub eine Rettung wert war. Der AFC Bournemouth sprang vom Sterbebett.

Auf Händen: Bournemouths Harry Arter wird von den Fans nach dem entscheidenden Spiel um den Aufstieg über den Platz getragen. (Foto: John Walton/AP)

In Bournemouth wird gerne ein alter Witz erzählt, wonach sich gerade einmal sieben Personen bei der Gemeinde melden, wenn diese mal wieder kostenlose Bus-Tickets an die unter 21-Jährigen verschenkt - alle anderen hier sind halt zu alt. Nun gibt es bessere Geschichten in der Gegend, in der sich Villen aneinanderreihen wie sonst bloß Wellen auf dem offenen Meer. Zum Beispiel die von Eddie Howe, dem ehemaligen Spieler von Bournemouth, der sich nun mit 37 Jahren zum dreimaligen Aufstiegstrainer entwickelt hat und eine große Zukunft vor sich haben dürfte. Oder die des Vorsitzenden Jeff Motsyn, der 2008 den Klub weiter atmen ließ.

"Die Premier League existierte nur in Computerspielen"

Dieses Mal jedoch entsprang der Gönner nicht aus der Fanszene, Motsyn ist ein Mann aus Manchester. "Viele Menschen haben sich gewundert, warum jemand einen Verein unterstützt, von dem er noch nie wirklich etwas gehört hatte", sagte Motsyn, eine Antwort darauf blieb er schuldig. Stattdessen brach über ihn in der Mannschaftskabine nach dem Aufstieg eine derartige Begeisterung ein, dass sich der übertragende Fernsehsender genötigt fühlte, sich für die Emotionen des Geschäftsmannes zu entschuldigen.

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(Foto: Carlo Baroncini/Reuters)

Robin van Persie verschießt einen Elfmeter und Manchester United patzt bei dem 0:1 gegen West Bromwich Albion.

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(Foto: Carl Recine/Reuters)

Erst verschießt Steven Gerrard einen Elfmeter, dann köpft er Liverpool noch zum 2:1-Sieg gegen die Queens Park Rangers.

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(Foto: Ross Kinnaird/Getty Images)

Leonardo Ulloa schießt das erste Tor bei Leicester Citys 3:0-Sieg gegen Newcatle United und sichert dem Aufsteiger wichtige Punkte im Abstiegskampf.

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(Foto: Mark Thompson/Getty Images)

Christian Benteke von Aston Villa schießt das zweite Tor beim 3:2-Sieg gegen den FC Everton.

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(Foto: Paul Gilham/Getty Images)

Mark Noble versenkt seinen Elfmeter gegen den FC Burnley, was zum 1:0-Sieg für West Ham reicht.

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(Foto: Paul Gilham/Reuters)

Doppltorschütze: Jordi Gomez sichert mit zwei Elfmetern beim dem 2:1 gegen Southampton dem AFC Sunderland drei Punkte gegen den Abstieg.

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(Foto: Mike Hewitt/Getty Images)

Jefferson Montero köpft für Swansea City zur Führung ein. Am Ende gewinnen die Waliser gegen Stoke 2:0.

Dabei war der Kontrollverlust von Motsyn zu verstehen; lange genug hatte sein etwa 100 000 Pfund teurer Scheck, der dem Verein die Lizenz sicherte, eher wie eine Investition in ein Objekt vom Wertstoffhof ausgesehen. "Die Premier League war eine Fantasie. Sie existierte nur auf Computerspielen", sagte er.

Als Strafe für erneute Verstöße gegen die Liquiditäts-Regeln startete der Klub seinerzeit mit minus 17 Punkten und einem Transferembargo in die Saison. Das war das Wrack, aus dem dann der Phoenix empor stieg. Mit Howe im Amt des Trainers und Motsyn als Vorsitzender gelang es zunächst, den Absturz in die fünfte Liga zu vermeiden - und den AFC Bournemouth dann durch die sportlichen Ebenen nach oben zu führen.

Die gute Fee? Ein russischer Milliardär

Es ist der Stoff, aus dem Legenden entstehen - und der Investoren anlockt. Vor vier Jahren kaufte sich der russische Milliardär Maxim Demin in den Klub ein; es gibt nicht wenige Menschen, die darauf hinweisen, dass eine gute Fee anders aussehen sollte. Sie behaupten, dass die große Flucht der Kirschen aus der Bedeutungslosigkeit in die Premier League weniger den Fähigkeiten von Howe zuzuschreiben ist, sondern Demins Geldrucksack. Jede Seite der Erzählung besitzt Argumente, ein Pendant zu RB Leipzig ist der AFC Bournemouth aber nicht. Ihr bekanntester Spieler im Kader heißt Artur Boruc, ein 35 Jahre alter Torwart aus Polen. Das "Goldsands Stadion" hört sich zwar verdächtig nach kalifornischem Goldrausch an, ist aber mit einer Kapazität von weniger als 12 000 Plätzen siebenmal kleiner als das Old Trafford. Eine Aufstockung soll im Sommer folgen, bevor die Branchengiganten aus Manchester und London zum Kirschenpflücken anreisen.

© SZ vom 03.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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