England:Englische Fußballfans verlieren das Interesse

England v Slovakia - FIFA 2018 World Cup Qualifier

Leere Sitze im Embely-Stadion gegen die Slowakei.

(Foto: Getty Images)
  • Die englische Nationalmannschaft absolviert die WM-Qualifikation mit aller Souveränität.
  • Allerdings spielt das Team trotz großer Qualität in der Offensive oft bieder und langweilig.
  • Die Fans gehen darum teilweise lieber ins Pub, als sich die Spiele weiter anzuschauen.

Von Sven Haist, London

Das Sammelsurium an Offensivspielern in der englischen Fußball-Nationalmannschaft könnte einen Trainer dazu verführen, mit jeder Angriffsposition in jeder Formation zu experimentieren. Die Fähigkeiten aller Profis geben es ja her, nur einen Mittelstürmer aufzustellen, unterstützt von zwei Außenangreifern. Oder zwei Stürmer aufzustellen mit zwei Außenangreifern. Denkbar wäre sogar eine Variante, in der sich drei Stürmer vorne aufhalten und auf beiden Seiten noch zusätzlich zwei weitere Angreifer.

Natürlich könnten auch die einzelnen Anordnungen miteinander vermischt werden, oder die Spieler entscheiden einfach selbst, wer sich wo auf dem Platz bewegt. Die Zuschauer würden eine solche Improvisationskunst sicherlich mit Freude honorieren. Ein Tor mehr schießen zu müssen als der Gegner, das sollte für folgende Profis (sofern sie denn eingesetzt werden) eigentlich kein größeres Problem darstellen: Harry Kane, Dele Alli (beide Tottenham Hotspur), Marcus Rashford (Manchester United), Raheem Sterling (Manchester City), Jamie Vardy (Leicester City) und Danny Welbeck (FC Arsenal).

Sparsam: 16 Tore in acht Spielen

Tatsächlich verlief Englands 2:1-Sieg gegen die Slowakei aber so schleppend wie der Verzehr einer jener Fleischpasteten, die im Londoner Wembley-Stadion in der Halbzeitpause angeboten werden. Mit nur 16 Toren in bisher acht Partien siegen sich die Three Lions sparsam durch ihre Qualifikationsgruppe - trotz Gegnern wie Litauen und Malta, die es ja durchaus gewohnt sind, in einem Spiel auch mal eine Handvoll Gegentreffer zu kassieren. Zum Vergleich: Weltmeister Deutschland, an dem sich die Insel-Kicker gerne orientieren, brachte im selben Zeitraum in der Qualifikation 35 Treffer zustande.

Nach dem Abpfiff des vorentscheidenden Slowakei-Spiels versammelte sich das Nationalteam mit Trainer Gareth Southgate am Mittelkreis, um sich für die Unterstützung der Fans zu bedanken. Nur waren zu diesem Zeitpunkt kaum noch Fans im Stadion. Die geplante Ehrenrunde fiel aus, auf dem Weg zur Kabine beklatschten sich die Beteiligten weitgehend selbst. Das bestätigte den Trend, dass das Desinteresse an der englischen Mannschaft zunimmt. Schon in der Anfangsphase widmeten einige Zuschauer ihre Aufmerksamkeit lieber einem aufgeblasenen Strandball; später bastelten sie auf der Tribüne Papierflieger. Beim Auftritt in Malta strömten viele am vergangenen Freitag sogar vorzeitig in die umliegenden Pubs.

Am Heimspieltag versuchte der Verband vergeblich, den Kartenverkauf anzutreiben, für nur zehn Pfund durften Vertreter der Einsatzorganisationen die Partie sehen. Das Wembley mit seiner Kapazität von knapp 90 000 Zuschauern besitzt ja die Tücke, dass es schon halbleer wirkt, wenn bloß ein paar Fans der Veranstaltung fernbleiben. Am Montag kamen lediglich 67 823 ins Nationalstadion, der oberste Rang der Gegentribüne wurde gar nicht erst aufgesperrt.

Bei der Verkündung der Zuschauerzahl verzichteten die Verantwortlichen, das Ergebnis, wie sonst immer, auf der Videowand einzublenden - und vermittelten damit den Eindruck, dass die Zahl sogar geschönt war. Für eine ansprechende Geräuschkulisse sorgten sowieso meist nur die slowakischen Fans.

Zum Glück kam noch Marcus Rashford

Die einzige Ausnahme bildete die Auswechslung von Marcus Rashford in der Schlussphase, der mit Applaus überhäuft wurde. Der Youngster machte sich mit Alli und Kane frei vom pomadigen Auftreten seiner Mitspieler, die sich offenbar nur sicher fühlen, wenn die andere Mannschaft den Ball hat. Rashfords Zielstrebigkeit und Aktionsdichte sind eine willkommene Abwechslung, seine Fähigkeiten leiteten die Ergebniswende ein. Nachdem ihm vor dem frühen 0:1 (3.) ein fahrlässiger Ballverlust passiert war, bereitete Rashford den Ausgleich durch Dier (37.) vor; mit einem Flachschuss aus 20 Metern gelang ihm schließlich sogar der Siegtreffer (59.).

Der Erfolg garantiert England fünf Punkte Vorsprung an der Tabellenspitze bei zwei ausstehenden Spielen gegen Slowenien und Litauen. Die Teilnahme an der Weltmeisterschaft steht daher trotz der an Pannen reichen Vergangenheit wohl fest. Im besten Fall löst das ab sofort die Beklemmung von Mannschaft und Trainerteam, die bisher vorwiegend auf Fehlervermeidung bedacht waren. Das peinliche EM-Aus gegen Island (1:2) hat auch 14 Monate später seinen Schrecken nicht verloren.

Das Geschehen um seine Nationalelf moderiert Trainer Southgate ab wie eine lästige Pflicht. Sein förmliches Auftreten vermeidet jegliche Begeisterung; während der slowakischen Übersetzung auf der Pressekonferenz kontrollierte er sogar die Notizen der Kollegin. Unförmlich wurde Southgate erst, als er sich zu Alli äußern musste, der seinem Mitspieler Kyle Walker auf dem Rasen den Mittelfinger entgegengestreckt hatte und nun eine Sperre fürchten muss. "Die beiden haben eben eine seltsame Art der Kommunikation", sagte Southgate - und musste selbst lachen, über die Ausrede, die er da von sich gab.

Ein dreiviertel Jahr vor der WM in Russland benötigt der englische Fußball Southgates Kreativität jedoch an anderer Stelle: nämlich in der Offensive.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: