England:Ein simpler Plan

Manchester United schlägt Liverpool im Duell um Platz zwei. Der Sieg ist ein Erfolg der Finesse von Trainer José Mourinho - doch in der Champions League muss er seine Taktik überarbeiten.

Von Sven Haist, London

Auf das Spiel mit den Fernsehkameras im Stadion legt José Mourinho mehr Wert als jeder andere Trainer in der Premier League. Mourinho nutzt die Chance, sich selbst und manchmal auch seine Botschaften auf diesem Weg global zu präsentieren. Manchmal mit kleinen Gesten, die große Wirkung erzielen sollen, auch jetzt wieder, bei seinem aktuellen Arbeitgeber Manchester United. Mal hält er sich auf dem Weg in den Kabinentrakt den Zeigefinger auf den Mund, um das Publikum ruhigzustellen, mal zeigt er demonstrativ auf das Klubwappen, mal klatscht er den Zuschauern Applaus. Und so kann davon ausgegangen werden, dass auch hinter den Notizen, in die er zu Beginn des Duells gegen den FC Liverpool den Kameras einen Einblick gewährte, eine höhere Absicht, ein Kalkül stand. Hallo, ich habe mich besonders vorbereitet!

Im Gekritzel auf dem Block ließen sich zwei Abkürzungen erkennen. "2nd ball" und "Rom". Decodiert verbarg sich dahinter eine Idee: Mit hohen Zuspielen den Stoßstürmer Romelu Lukaku ("Rom") am gegnerischen Strafraum ins Kopfballduell zu bekommen, um mit der unmittelbar folgenden Aktion, dem sogenannten zweiten Ball ("2nd ball"), gefährlich vor dem Tor des FC Liverpool aufzutauchen. Ein vordergründig simpel erscheinender Plan, der aber nach wenigen Minuten aufging. Nicht nur einmal, sondern zweimal.

England: Gut gezielt: Marcus Rashford (links) erzielt das frühe 1:0 für Manchester United gegen den FC Liverpool.

Gut gezielt: Marcus Rashford (links) erzielt das frühe 1:0 für Manchester United gegen den FC Liverpool.

(Foto: Oli Scarff/AFP)

Mit einem Abstoß visierte Torhüter David de Gea jeweils Angreifer Lukaku an, der prompt mit dem Kopf die beiden Treffer durch Marcus Rashford vorbereitete (14./24.). Der Spielzug lief so schnell, so überfallartig ab, wie sich sonst in der Liga eigentlich bloß der FC Liverpool mit seinen rasenden Sturmspitzen nach vorne kombiniert. Wenn man so will, besiegte der Trainer Mourinho seinen Gegenüber, den Trainer Jürgen Klopp, mit dessen eigenen Waffen. Bloß sah es nicht so spektakulär aus.

Durch das 2:1 über Liverpool, das Manchester United hinter dem Stadtrivalen City auf dem zweiten Platz der Tabelle hält, dürfte Mourinho wieder in seiner inneren Mitte angelangt sein. Der Exzentriker, dem es auf dem Rasen ausschließlich ums Gewinnen und sonst nichts geht, liebt es, wenn er für seine taktische Finesse auf der Insel in den Fußballhimmel gehoben wird. In der bisherigen Spielzeit inszeniert sich der als streitbar bekannte Portugiese am Spielfeldrand als Friedensengel. Das passt aber ebenso wenig zu ihm wie sein bisweilen tyrannisches Auftreten. Die Wahrheit über seinen Charakter liegt irgendwo dazwischen. Nichts geändert hat Mourinhos vorübergehender Wandel auf die Seite der Friedfertigen an seiner Fähigkeit, die Schwächen des Gegners bis ins Detail aufdecken zu können. Jürgen Klopp verzweifelt daran zunehmend.

Manchester United v Liverpool - Premier League

Auf einer Wellenlänge: Manchesters Coach José Mourinho (links) und Jürgen Klopp kamen an der Seitenlinie gut miteinander aus.

(Foto: Laurence Griffiths/Getty Images)

Dass Klopp seinem Team so einiges beigebracht hat, zeigt sich in den Duellen mit Manchester City. Die von Pep Guardiola geprägte Spielweise des enteilten Tabellenführers kommt Klopp gelegen, weil sie oft die Chance bietet, nach einer geglückten Balleroberung zu kontern. Diese Chance bietet die Strategie von Mourinho und United nahezu nie. Dadurch muss sich Liverpool seine Torchancen erspielen - Balleroberungen sind gegen die stabile Festung von ManUnited die Ausnahme. Eine Problemstellung, für die Klopps Team augenscheinlich weiter eine Lösung sucht.

In den vier Duellen, seit Mourinho im Juli 2016 bei United anfing, gab es für Liverpool keinen Sieg und erst ein selbst erzieltes Tor - nach einem Elfmeter. Für den Anschlusstreffer am Samstag sorgte das Eigentor des Verteidigers Eric Bailly (66.). Trotz 14 Torschüssen, 13 Ecken und 69 Prozent an Ballbesitz schafften es die Reds nicht, ihr 68-Tore-Angriffstrio um Sadio Mané, Roberto Firmino und Mo Salah - das momentan auf der internationalen Bühne der Champions League den Kontinent in Atem hält - in Position zu bringen. In dem Brasilianer Philippe Coutinho hatte Liverpool bis zum Winter einen passenden Spielmacher für eine solche Aufgabe im Kader, ließ ihn aber zum FC Barcelona ziehen. Im Gegenzug wurde der Niederländer Virgil van Dijk geholt, um die Abwehr zu stärken. Nun könnte es noch einmal knapp werden mit der direkten Qualifikation für die Champions League: Der Vorsprung in der Tabelle auf den fünftplatzierten FC Chelsea beträgt gerade mal vier Punkte - und der Spielplan hält auch noch ein Gastspiel bei den Londonern bereit.

Die Sorge, die Champions League zu verpassen, dürfte ManUnited dagegen los sein. Für Englands Rekordmeister geht es am Dienstag vielmehr darum, das Viertelfinale in diesem Wettbewerb zu erreichen, so wie das vor ein paar Tagen bereits Liverpool gelang. Nach dem 0:0 im Hinspiel gegen den FC Sevilla benötigt United im Old Trafford einen Sieg. Das Problem: Angreifen ist eher nicht das, was Verteidigungskünstler Mourinho bevorzugt.

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