Ende der Schalker Sieglosigkeit:Ganz in ihrer Mitte

Schalkes Pflichtsieg gegen müde Hannoveraner wird in den Schatten gestellt von zwei einzigartigen Liebeserklärungen der Fans vor und nach dem Spiel.

Von Philipp Selldorf, Gelsenkirchen

Im Wesentlichen lief in der Partie gegen Hannover 96 alles auf die ganz gewöhnliche Weise. Es war ein Schalke-Spiel mit den typischen Schalke-Momenten. Der erste übliche Vorfall ereignete sich bereits nach nullvier Sekunden: Ralf Fährmann empfing einen Rückpass. Kein Torwart in der Bundesliga dürfte von seinen Mitspielern so oft mit Rückpässen beschäftigt werden wie Fährmann. Man könnte meinen, dass es sich um eine Zwangsneurose handelt. Schalkes manische Neigung zu Rückpassen lässt sich nur als historisches Erbe aus den Zeiten mit Jens Lehmann und Manuel Neuer erklären, beide sind ja mit Recht als glänzende Fußballer bekannt. Fährmann aber ist ein glänzender Torwart, kein glänzender Fußballer. Der Rückgaben seiner Mitspieler entledigt er sich meistens dadurch, dass er den Ball weit ins Feld befördert, wo er dann meistens verloren geht.

Aber die chronische Krankheit der überflüssigen Rückpässe war am Freitag kein Thema, über das später noch debattiert wurde. Auch über den 3:1-Sieg gegen Hannover wurde auf Seiten der Schalker nicht mehr viel diskutiert, es handelte sich um einen klassischen "Pflichtsieg", wie Manager Horst Heldt sachgerecht bemerkte. Auch Hannovers Trainer Michael Frontzeck stellte das nicht in Abrede, aufrichtig konstatierte er nicht nur den "verdienten Sieg" der Schalker, er gab auch furchtlos zu, dass der Gegner, "die gesamten 90 Minuten das Spiel dominiert" habe. Hannover, ersatzgeschwächt und nach dem frühen Ausfall von Angreifer Sobiech praktisch sturmlos aufgestellt, hatte sich eine Weile mit forciertem Zeitspiel und einem strengen Defensivriegel zu behelfen versucht, es war aber abzusehen, dass es beim Versuch bleiben würde.

FC Schalke 04 - Hannover 96

Kollektive Feierstimmung: Schalkes Sané (M.) jubelt nach dem 3:1 gegen Hannover - wenn auch etwas schüchtern - mit der Mannschaft in der Fankurve

(Foto: Maja Hitij/dpa)

Geis gibt die Richtung vor, Sané sorgt für die besonderen Attraktionen

Wie es der mittlerweile eingeübten Praxis entspricht, sorgte außer dem hauptamtlichen Torjäger Klaas-Jan Huntelaar besonders die junge Schalker Garde für den Erfolg der Hausherren. Der holländische Mittelstürmer machte sich als Schütze des 2:0 und als Wegbereiter des Elfmeters verdient, der nach 51 Minuten zum 1:0 durch Johannes Geis führte. Aber es waren die Junioren-Stars Leon Goretzka, 20, Max Meyer, 20, und Leroy Sané, 19, die bei den Schalkern das Spiel nach vorn trugen. Vor allem Sané faszinierte das Publikum mit seinen Läufen, seinen Dribblings, seinem Tempo, seiner Technik - und seinem Gefühl für die richtigen Passwege. Während der zunächst ziemlich trüben ersten Hälfte tat sich der Flügelstürmer als Alleinunterhalter hervor. Was den Königsblauen in der Offensive gelang, das hatte Sané inszeniert.

Allerdings haben die Leute ja beinahe schon aufgehört, sich über Sané zu wundern, obwohl er erst seit dieser Saison zum Bundesliga-Stammpersonal gehört. Der Bundestrainer hat mit der blitzschnellen Beförderung ins Nationalteam bereits das vorläufige Reifesiegel für den 19-Jährigen erteilt, es wird also fast schon als normal empfunden, dass der Grünschnabel Sané für die besonderen Attraktionen sorgt.

Außergewöhnliche Fan-Choreographie

Schema & Statistik

Alle Daten und Fakten zum Spiel stehen hier.

Das wirklich Außergewöhnliche trug sich daher nicht auf dem beispiellos miesen Rasen (der nach nur zwei Monaten Gebrauch schon wieder ausgetauscht werden muss), sondern auf den Rängen zu. Darüber redeten später alle Beteiligten mehr als über das Spiel. Vor dem Anpfiff hatten die Schalker Ultras eine Choreographie realisiert, die nach Meinung von Trainer André Breitenreiter "weltweit" ihresgleichen sucht: Eine Geschichtslektion aus 111 Jahren Schalke in Bild und Ton, kommentiert vom Alt-Schalker Werner Hansch. Dafür hatten die Fans nicht nur viel Geld (nämlich 28 000 Euro), sondern auch sehr viel Arbeit aufgewendet (die ein halbes Jahr Zeit benötigte).

Und weil es zwar ein gewöhnliches Fußballspiel, aber eben ein ganz besonderer Abend war, baten die strenggläubigen Fans in der Nordkurve nach dem Abpfiff die gesamte Mannschaft zur Siegesfeier in ihre Mitte. So was hatte man wirklich noch nie gesehen nach einem konventionellen Punktspiel mitten in der Saison, es war durchaus: faszinierend. Nur der offenbar etwas nervöse Trainer Breitenreiter hatte den Eindruck, er müsste vorauseilend den Kritikern entgegentreten: "Der eine oder andere mag jetzt kritisieren, dass wir uns hier so haben feiern lassen", sagte er, "aber das ist mir scheißegal." Darf es ihm auch sein - die Nörgler existierten nur in seiner Einbildung.

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