EM-Wunderknaben - Olivier Giroud:Mehr als nur ein Strafraum-Krieger

Zu schwach für den Profifußball - das war einst das Urteil über den französischen Angreifer Olivier Giroud. Über die zweite und dritte Liga arbeitete er sich nach oben. Mittlerweile ist er Torschützenkönig und Meister, er wird auf Titelseiten von Frauenmagazinen abgedruckt - und von mehr als einem Dutzend Vereinen gejagt.

Jürgen Schmieder

"EM-Wunderknaben" ist die Serie von Süddeutsche.de zur Fußball-EM in Polen und der Ukraine. Bis zum Turnierstart stellen wir jeden Tag einen hoffnungsvollen Kicker vor, der ein Gesicht dieser EM werden könnte.

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Kann auch Fallrückzieher: Frankreichs Angreifer Olivier Giroud.

(Foto: AFP)

Im Sommer 2008, da wollte Mehmed Baždarević mit Olivier Giroud sprechen - und der Trainer des französischen Erstligisten Grenoble Foot 38 hatte keine guten Nachrichten für den jungen Angreifer. Er sei nun wirklich nicht geeignet, um mit der Elite zu kicken, auch die zweite Liga sei eine Spielklasse zu hoch für ihn. Er solle es doch in der dritten Liga probieren.

Nun, vier Jahre später, da ist Olivier Giroud mit Montpellier HSC Meister der ersten französischen Liga geworden und mit 21 Treffern auch noch Torschützenkönig. Er trägt den Spitznamen "charmanter Stürmer", er ist mit nacktem Oberkörper auf Titelseiten von Frauenmagazinen abgebildet, der Präsident seines Vereins, Louis Nicollin, taxiert seine Ablösesumme auf "50 bis 60 Millionen Euro". Der FC Bayern hatte lange Zeit Interesse an einer Verpflichtung.

Ach ja: Der 25 Jahre alte Stürmer gehört zum EM-Aufgebot von Frankreichs Nationaltrainer Laurent Blanc - und er darf sich Hoffnungen auf einen Einsatz beim ersten Spiel gegen England machen. Blanc spielt mit dem Gedanken, neben dem gesetzten Karim Benzema noch einen zweiten Angreifer aufs Feld zu schicken: "Sie können miteinander spielen, sie passen zusammen. Davon bin ich überzeugt. Giroud ist ein untypischer Spieler, das mag ich."

Tatsächlich: Giroud ist ein großer, wuchtiger Angreifer, bei einer Größe von 1,92 Metern bringt er 89 Kilogramm auf die Waage. Diesen Körper weiß er einzusetzen, im Strafraum agiert er wie ein Center beim Basketball, der sich in Position bringt und dann Zuspiele aufnimmt und verwertet. In der vergangenen Saison hat er mit fast jedem Körperteil einen Treffer erzielt. "Er ist ein Krieger im Strafraum, von denen es nicht mehr viele gibt", sagt Blanc.

Doch Giroud ist mehr als nur ein Strafraum-Krieger, er betrachtet den Ball nicht nur als Spielgerät, sondern durchaus als seinen Freund - was er kürzlich beim 3:2-Erfolg der französischen Nationalelf gegen Island bewies: Zuerst kombinierte er sehenswert mit Franck Ribéry vor dessen Treffer zum 2:2, wenig später bereitete er per Kopf den Siegtreffer von Adil Rami vor. Beim 2:1-Sieg gegen die deutsche Nationalelf im Februar bereitete er einen Treffer vor und erzielte ein Tor selbst. Ribéry sagt über seinen Kollegen: "Er kann sowohl mit dem Rücken als auch mit dem Gesicht zum Tor gute Sachen anstellen."

Giroud musste nach der vernichtenden Kritik von Baždarević den Umweg über die niederklassigen Vereine in Istres und Tours nehmen. "Diese Zeit war wichtig für mich", sagt Giroud über die Lehrjahre, "diese Vereine haben mir vertraut. Ich saß nicht auf der Bank, sondern war ein wichtiger Spieler."

Angebote aus ganz Europa

Durch seine Leistungen wurden im Jahr 2010 einige Erstliga-Vereine auf ihn aufmerksam, darunter Celtic Glasgwo und Montpellier. Giroud beschreibt die Begegnung mit Präsident Louis Nicollin so: "Ich traf mich mit den Celtic-Leuten in Paris, aber dann wurde Montpellier aktiv. Nicollin rief mich an und sagte: 'Was zur Hölle tust du dir da an? Willst du wirklich nach Klimarnock reisen?' Er brachte mich zum Lachen. In diesem Augenblick hatte ich das Gefühl, dass wir uns eine Ewigkeit kennen."

Deutschland - Frankreich

Olivier Giroud ist aufgrund seiner Wucht schwer zu verteidigen - wie auch Jérome Boateng beim Länderspiel erkennen musste.

(Foto: dapd)

Nach einer durchwachsenen Spielzeit - Giroud erzielte zwölf Treffer, Montpellier vermied knapp den Abstieg - folgte in dieser Saison der Durchbruch sowohl für den Spieler als auch den Verein. "Wenn ich Paris, Lille, Marseille oder Lyon wäre, würde ich mir eine Wurst in den Hintern stecken. Was für eine Schande für die", sagte Nicollin - und gab auch gleich einen Kommentar zum Interesse von Newcastle United ab: "Was? Newcastle? Dieser Klub ist viel zu klein für ihn."

Nicollin weiß jedoch, dass er Giroud nicht mehr lange wird halten können. Er hat den Angreifer zwar bis 2015 an den Verein gebunden, doch im Vertrag soll eine Ablösesumme im höheren Zehnmillionenbereich fixiert sein. "Meine Arbeit in diesem Klub ist eigentlich noch nicht beendet", sagt Giroud, "schauen wir einfach mal, wo ich in der nächsten Saison bin." Laut Berater Guillaume Sola erhält Giroud Angebote "aus jeder großen Liga Europas" - bei einer guten Europameisterschaft dürften noch einige hinzukommen.

Giroud muss sich auch keine Sorgen machen, noch einmal in Grenoble oder für den Trainer Mehmed Baždarević agieren zu müssen. Grenoble spielt nach einer Insolvenz mittlerweile in der fünften Liga - und Baždarević ist mittlerweile Coach bei Al-Wakrah. Das ist ein Fußballverein in Katar.

"EM-Wunderknaben" ist die Serie von Süddeutsche.de zur Fußball-EM in Polen und der Ukraine. Bis zum Turnierstart stellen wir jeden Tag einen hoffnungsvollen Kicker vor, der ein Gesicht dieser EM werden könnte. Bisher erschienen: Englands Theo Walcott. Am Sonntag folgt der Ukrainer Andrej Jarmolenko.

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