Vor etwa zwei Jahren ist eine Abordnung des FC Bayern nach Basel gereist, es war einer jener heimlichen Ausflüge, die sie in London, Barcelona oder Dortmund nicht mitbekommen sollten. Es ging um den Basler Angreifer Breel Embolo, damals 17 Jahre alt, einen Spieler, dessen Vorzüge leider nicht mehr geheim waren. Die Münchner haben wohl eine Weile überlegt, ob sie den jungen Mann verpflichten sollen, sie hatten offenbar auch schon heimliche Modelle mit Klubs wie dem SC Freiburg und dem FC Augsburg entwickelt, die den Spieler erst mal ausleihen sollten, bevor er nach München weiterzieht. Am Ende haben die Münchner dann darauf verzichtet, ein paar Millionen für einen Siebzehnjährigen auszugeben. An den paar Millionen lag es nicht, die hätten die Bayern im Etat schon noch irgendwo gefunden, aber offenbar hat im Klub die Überzeugung gefehlt, dass aus dem Talent mal ein echter Bayern-Spieler werden könnte.
Zwei Jahre später ist dieser Embolo nun für über 20 Millionen zum FC Schalke 04 gewechselt, zum Trainer Markus Weinzierl übrigens, der einst als Augsburg-Coach in die Bayern-Modelle eingeweiht war und den Spieler seitdem kennt und schätzt. Embolos Wechsel ist eine der größeren Geschichten bei dieser EM gewesen, jedenfalls, solange die Schweiz noch im Turnier war; und man darf sehr sicher sein, dass hinter den Kulissen weitere geheime Embolo-Geschichten spielen, nur halt mit anderen Namen.
Wer diese große Fußballveranstaltung in Frankreich verfolgt, der könnte zu dem Schluss kommen, dass Europa gerade in einer Zeitenwende Fußball spielt. Während die Embolos mit jugendlicher Hingabe durch Frankreich rennen, hängt der große Andrea Pirlo wahrscheinlich gerade in New York rum, wo er zuletzt so etwas Ähnliches wie Fußball spielte. Frank Lampard, der große Engländer, spielt auch in Amerika, ebenso Landsmann Steven Gerrard, aus der Nationalelf sind beide längst ausgetreten, im Übrigen haben sie nicht mal ein Referendum dafür gebraucht. Philipp Lahm hat man bei dieser EM auch noch nicht getroffen, Iker Casillas sah man nur auf der Bank und Zlatan Ibrahimovic zum letzten Mal. Und Xavi Hernandez, der prägendste Fußballer der vergangenen Jahre, hat sich zuletzt deutlich unter seiner Würde besetzen lassen, beim Al-Sadd Sport Club in Doha/Katar.
Soweit man sich erinnern kann, haben Fußballer schon immer ihre Karrieren beendet, kein Fußballer spielt ewig weiter, außer Gabor Kiraly möglicherweise. Das alleine wäre also noch keine spektakuläre Erkenntnis: dass man bei dieser EM viele Spieler vermisst, von denen man dachte, dass Turniere ohne sie gar nicht ausgerichtet werden dürfen. Allerdings fällt der Abschied von den vertrauten Gesichtern und lieb gewonnenen Bärten (ach, Pirlo!) genau in jene Zeit, in der der Fußball und sein Spielermarkt wegen der englischen Fernsehmilliarden durchdrehen. Es ging und geht bei dieser Euro schon kaum mehr um die nächste Generation und den nächsten Weltstar; es ging und geht schon um die über-übernächste Generation und die Frage, in welchem 18- oder 20-Jährigen wohl ein kommender Weltstar steckt.
Die 20 jüngsten Spieler, die bei der Europameisterschaft aufliefen, und die Klubs, für die sie in der kommenden Saison aktiv sein werden.
Marcus Rashford (Alter: 18) / Verein: Manchester United / Nationalelf: England / Spielzeit: 20 Minuten
Renato Sanches (18) / FC Bayern München / Portugal / 134 Minuten
Emre Mor (18) / Borussia Dortmund / Türkei / 90 Minuten
Breel Embolo (19) / FC Schalke 04 / Schweiz / 192 Minuten
Bartosz Kapustka (19) / Cracovia Krakau / Polen / 169 Minuten
Alex. Sintschenko (19) / FK Ufa / Ukraine / 97 Minuten
Kingsley Coman (20) / FC Bayern München / Frankreich / 200 Minuten
Alexander Golovin (20) / ZSKA Moskau / Russland / 160 Minuten
Dele Alli (20) Tottenham Hotspur / England / 255 Minuten
Viktor Kovalenko (20) / Schachtjor Donezk / Ukraine / 173 Minuten
Anthony Martial (20) / Manchester United / Frankreich / 58 Minuten
Tin Jedvaj (20) / Bayer Leverkusen / Kroatien / 90 Minuten
Marko Rog (20) / Dinamo Zagreb / Kroatien / 82 Minuten
Adam Nagy (21) / Ferencvaros Budapest / Ungarn / 270 Minuten
Marko Pjaca (21) / Dinamo Zagreb / Kroatien / 101 Minuten
Patrick McNair (21) / Manchester United / Nordirland / 46 Minuten
Divock Origi (21) / FC Liverpool / Belgien / 18 Minuten
Ozan Tufan (21) / Fenerbahce Istanbul / Türkei / 270 Minuten
Milan Skriniar (21) / Sampdoria Genua / Slowakei / 102 Minuten
Joshua Kimmich (21) / FC Bayern München / Deutschland / 180 Minuten
Im Schweizer Breel Embolo? In den Franzosen Kingsley Coman oder Anthony Martial? Im Engländer Marcus Rashford, im Türken Emre Mor?
Fußball ist mehr als je zuvor eine Fantasie: Man versucht früher als andere etwas in einem Spieler zu entdecken, und man kann dann bloß hoffen, dass der Spieler die vielen Millionen, die diese Fantasien neuerdings kosten, auch wert ist.
Am Donnerstag treffen zum Auftakt des Viertelfinales zwei Fantasien aufeinander, der Portugiese Renato Sanches und der Pole Bartosz Kapustka, Jahrgang 1997 und 1996. Beide sind in ihren Nationalteams noch keine Stammspieler, aber die Fantasten in den Planungsstäben der europäischen Spitzenklubs stört das nicht. Kapustka ist noch zu haben, anders als Sanches, der sich bereits dem FC Bayern versprochen hat - für jene oft kolportierten 35 Millionen Euro, die aufgrund diverser Nebenabreden auf bis zu 60 Millionen steigen dürften. Das ist, wie sie auch in München gerne einräumen, eine Menge Festgeld.
Wirft man einen Blick auf die jüngsten Spieler dieser EM, so stellt man fest, dass der FC Bayern von jenen sechs Jungprofis, die es bis ins Viertelfinale geschafft haben, gleich drei unter Vertrag hat: neben Zugang Sanches noch Kingsley Coman und Joshua Kimmich. Somit steht ausgerechnet jener Verein stellvertretend für die Globalisierung des Transfermarktes, der sich so viel auf sein bajuwarisches Mia-san-mia einbildet. Um den Verein werden sich gewiss Kritiker finden, die diese neue Hauspolitik für einen Verrat an den Traditionen halten, aber im Klub sind sie überzeugt, dass sie diesen Trend lieber mit anführen, bevor sie von ihm abgehängt werden. Mit einigem Behagen registrieren sie in München, dass die Talente mit den meisten, zweitmeisten und viertmeisten Einsatzminuten, die noch bei dieser EM dabei sind (siehe Tabelle), dem FC Bayern gehören.
Auch der Rivale aus Dortmund habe übrigens sehr gute Entscheidungen getroffen, finden sie beim FC Bayern und verweisen auf Emre Mor, den sogenannten "türkischen Messi", sowie auf Angreifer Ousmane Dembele, 19, der es fast in den französischen EM-Kader geschafft hätte. Die Bayern wissen, dass sie wachsam sein müssen, deshalb verfolgen sie wie andere europäische Spitzenklubs aufmerksam einen Spieler, der es ebenfalls in die Liste der jüngsten 20 EM-Spieler schaffen würde, sobald Joachim Löw ihn einsetzt. Es geht um Leroy Sané und die Frage, ob er Breel Embolo in der neuen Saison in Schalke überhaupt noch trifft.