EM-Qualifikation: Aserbaidschan:Auf dem Zahnfleisch nach Baku

"Am Limit": Für das EM-Qualifikationsspiel am Dienstag in Aserbaidschan hat Bundestrainer Joachim Löw nur noch 16 Feldspieler zur Verfügung - Sebastian Rudy und Lewis Holtby werden nachnominiert. Die deutsche Nationalmannschaft versucht, sich quietschend und ratternd ins Ziel zu retten.

Thomas Hummel

Mats Hummels wirkte bereits in einem wichtigen Spiel für den Deutschen Fußball-Bund im defensiven Mittelfeld mit. 2009, im Endspiel der U21-Europameisterschaft gegen England schickte ihn Trainer Horst Hrubesch auf die Position vor der Abwehr. In Malmö besiegte die deutsche Nachwuchself England mit 4:0, Hummels erledigte seinen Auftrag in der Zentrale tadellos.

Hatte sich Bundestrainer Joachim Löw am Freitagabend in Wien daran erinnert? Hat er Fähigkeiten im jungen Hummels entdeckt, die sogar dem Kollegen Klopp in Dortmund bislang verborgen blieben?

Löws Wechsel nach 68 Minuten im Ernst-Happel-Stadion erzeugte jedenfalls Rätselraten auf der Tribüne. Sami Khedira musste mangels Kraft und Leistung vom Platz, für ihn kam Innenverteidiger Holger Badstuber. Dafür rückte Innenverteidiger Mats Hummels eine Position nach vorne. Und dabei saß Simon Rolfes auf der Bank, der Leverkusener, ausgewiesener Experte im hinteren Mittelfeld. ´

Löw löste das Rätsel nach der Begegnung mit einer Antwort, die an den Film "Täglich grüßt das Murmeltier" erinnert: Der Grund war eine Verletzung. Mal wieder eine Verletzung. Fast täglich schickt der DFB derzeit die Krankmeldung eines Aktiven an die Öffentlichkeit.

Am Donnerstag hatte Rolfes im Training der Muskel gezwickt, so erhielt zunächst Toni Kroos den Startplatz neben dem gerade erst genesenen Khedira. Rolfes wärmte zwar in der ersten Halbzeit seine Muskeln mittels Traben ein wenig an, gab aber schnell das Zeichen: Es geht nicht. Und weil Khedira nach seiner sechswöchigen Verletzung irgendwann nicht mehr konnte, musste Hummels eben aushelfen.

Gerade im defensiven Mittelfeld erlebt die DFB-Elf die Geschichte der zehn kleinen Spielerlein. Bastian Schweinsteiger brach sich den Zeh, Sami Khedira riss der Muskel, Sven Bender musste operiert werden, Christian Träsch erlitt Kapselbandverletzung am linken Knöchel, Simon Rolfes winkte ab und Michael Ballack, nun ja, für den Führungsspieler Michael Ballack ist im DFB-Team 2011 einfach kein Platz mehr.

So stand Löw nach gut einer Stunde im emotionalen Duell gegen die tatkräftigen Österreicher vor der Wahl, dem 21-jährigen Toni Kroos, der in München zumeist die Ersatzbank schmückt, auf der Sechserposition Mats Hummels, 22, beizustellen, der in Dortmund die beste Abwehr der Bundesliga anleitet. Oder Mario Götze, der am Freitag 19 Jahre alt wurde und bislang offensiv am Flügel zu Hause ist. Stürmer Miroslav Klose (Rippenprellung) war schon Anfang der Woche abgereist, am Samstag kehrte Torwart Tim Wiese wegen eines Krankheitsfalls in der Familie nach Bremen zurück.

Erholung statt grimmig-konzentrierter Vorbereitung

Zum Gastspiel nach Aserbaidschan (Dienstag, 19 Uhr MESZ), immerhin noch ein Qualifikationsspiel zur Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine, fliegt der DFB-Tross mit zwei Torhütern und 16 Feldspielern, die lädierten Khedira und Rolfes eingerechnet. Auch Arne Friedrich und Lukas Podolski erhielten am Samstag besondere Pflege von der medizinischen Abteilung, wie der DFB mitteilte. Bei diesen Spielern müsse am Wochenende "eine genaue Bestandsaufnahme" erfolgen, erst danach können mögliche weitere Personalentscheidungen getroffen werden.

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Sami Khedira musste mangels Kraft und Leistung bei Spiel gegen Österreich vom Platz.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Die deutsche Nationalmannschaft versucht, sich quietschend und ratternd ins Ziel zu retten. Wäre sie eine Orgel, man würde deutlich hören, dass nur noch ein paar Pfeifen rein klingen, viele sind verstimmt, bei den meisten muss der Orgelbauer das zu oft gebrauchte Gerät neu instandsetzen. "Viele Spieler sind am Limit", klagte Bundestrainer Löw in Wien. Vor allem die WM-Stammspieler benötigten dringend drei, vier Wochen Pause. Muskeln und Kopf sind müde, "so passieren leicht Verletzungen", erklärte Löw. Demnach sind die Muskeln und Sehen von Thomas Müller oder Mesut Özil, von Philipp Lahm, Friedrich oder Podolski stark gefährdet.

In Wien jedenfalls war den Spielern stark anzumerken, dass sie sich weit von ihrem Topniveau entfernt über den Rasen quälten und von den jung-dynamischen Österreichern in viel zu viele Schnellkraft-Übungen gezwungen wurden. Schon am Abend nach dem glücklichen 2:1-Sieg kündigte Löw viel Erholung statt grimmig-konzentrierter Vorbereitung für seine Profis an. Am Samstag stand allein Regenerationstraining im Mannschaftshotel auf dem Programm. Löw: "Die Spieler brauchen vielleicht eine Pause von Ball und Platz, vielleicht müssen sie mal weg vom Fußballtraining."

In dieser misslichen Personallage scheint wenigstens der letzte Gegner dieser langen Saison genau der richtige zu sein. Aserbaidschan verlor am Freitag beim vorher punktlosen Nachbarn Kasachstan 1:2. Es deutet sich ein Gegner an, für den die Energie aus dem Reservetank und ein glänzend gelaunter Mario Gomez ausreichen müssten, um den siebten Sieg im siebten Spiel der Qualifikationsgruppe A zu erringen. Löws Vorgänger Berti Vogts scheint als Nationaltrainer den Aserbaidschanern wenig von seiner Terrierhaftigkeit vermitteln zu können. Wenngleich Löw warnt, dass auch dieser Gegner am Dienstagabend viel laufen und körperbetont agieren werde.

Mehr Sorgen als über den drittklassigen Gegner dürfte sich Löw über die Reise von Wien aus ins 2800 Kilometer entfernte Baku und die Zeitumstellung machen. Aserbaidschan ist drei Stunden früher dran als Mitteleuropa. "Wir haben Probleme", verkündete Löw in einem rauen Beamtenton, der fast ein wenig an ein Knurren erinnerte. Er streckte den Rücken, blickte sehr konzentriert auf sein Mikrofon: "Aber wir werden sie bewältigen." Wenn es sein muss, mit Mats Hummels im defensiven Mittelfeld.

Am Sonntag erklärte der DFB, dass Sami Khedira und Simon Rolfes in Aserbaidschan nicht spielen können. Bundestrainer Löw nominierte stattdessen die U21-Nationalspieler Lewis Holtby vom FSV Mainz 05 und Sebastian Rudy von 1899 Hoffenheim nach.

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