EM-Organisation:Einer fürs Reden, einer fürs Geschäft

Jacques Lambert und Martin Kallen sollen für ein sicheres und einträgliches EM-Turnier sorgen - den gefallenen französischen Uefa-Präsidenten Michel Platini brauchen sie dafür nicht.

Von Leo Klimm, Paris

Jacques Lambert ist der Mann, der sich vorne hinstellen muss. Der reden muss, wenn irgendetwas schiefgeht bei der EM. Schon in den vergangenen Tagen hat der Präsident des Organisationskomitees geredet. Über Unwetter, die zu Spielverlegungen führen könnten. Über Streiks französischer Bahner und Piloten, die ihn sorgen. Über die allgegenwärtige Terrorgefahr, die zu Spielen vor leeren Rängen zwingen könnte. Alles spricht Lambert an, klar und ruhig. Der stämmige Senior strahlt Solidität aus. "Wir wollen uns nicht von Ereignissen aus der Bahn werfen lassen, die wir nicht kontrollieren können", sagt er. Leider scheint Vieles schwer zu kontrollieren zu sein bei dieser Europameisterschaft.

Lambert zur Seite steht einer, der nicht fürs Reden zuständig ist, sondern fürs Geschäft. Martin Kallen ist der oberste EM-Vermarkter beim europäischen Fußballverband Uefa. Der stille Schweizer, zugleich Herr über die Marken Champions League und Europa League, hat die Europameisterschaft seit 2004 zum Multimilliardenbusiness ausgebaut. Beim Turnier in Frankreich kümmert er sich um alles, was kontrollierbar ist. Oder was die Uefa kontrollieren will: Tickets, Fernsehbilder, Sponsorenrechte. An der Pariser Firma Euro 2016 SAS, der eigentlichen Ausrichterin, hält die Uefa 95 Prozent. Lambert repräsentiert - Kallen hat die Macht.

EM-Organisation: Oberster Gastgeber: Jacques Lambert fungiert als Präsident des französischen EM-Organisationskomitees. Schon 1998 leitete der heute 68-Jährige die Heim-WM.

Oberster Gastgeber: Jacques Lambert fungiert als Präsident des französischen EM-Organisationskomitees. Schon 1998 leitete der heute 68-Jährige die Heim-WM.

(Foto: Matthieu Alexandre/AFP)

Gemeinsam müssen die beiden nun für den Erfolg eines Turniers sorgen, das nicht nur für Frankreich, sondern auch für die Uefa im Ausnahmezustand stattfindet. Denn der strahlende Macher der EM sollte ja eigentlich Michel Platini sein - ein enger Freund Lamberts und bis vor Kurzem Kallens oberster Chef. Er sei nur der "Königsbote von Platini", sagte Lambert einmal. Der wegen der Affäre um eine dubiose Geldzahlung zurückgetretene Uefa-Präsident - seit dem Turnier 1984 in Frankreich Rekordtorschütze des Wettbewerbs - wird diese neue Heim-EM jetzt aber nur als Phantom begleiten. Lambert sagt zwar, Platini dürfte "ohne offizielle Funktion" zu Spielen kommen. Doch der gesperrte Ex-Uefa-Chef hat wissen lassen, dass er sich die Demütigung nicht antun wird. Für das Gastgeberland Frankreich ist die Abwesenheit des gefallenen Nationalhelden allerdings auch wenig mehr als eine Randnotiz. Die Franzosen brauchen keinen strahlenden Macher, sie plagen andere Sorgen. Besonders die Furcht vor neuen Anschlägen.

Lambert, 68 Jahre, war 1992 bei den Olympischen Spielen von Albertville für die Sicherheit zuständig. 1998 leitete er die Fußball-Weltmeisterschaft. Ein großer Erfolg - und ein Moment nationaler Einigkeit für die Franzosen. Heute ist Lamberts Land angstgeplagt. "Die Fanmeilen", beschwichtigt der Organisationschef, "werden während der EM die am besten gesicherten Orte Frankreichs sein." Nüchtern weist er zugleich darauf hin, dass er Terrorismus schon 2010 in der französischen EM-Bewerbung als Risiko aufgeführt habe. Und nach den Pariser Anschlägen vom November sagte Lambert: "Dies ist die Bestätigung einer Sache, die wir kannten und die wir erwartet haben." In Abstimmung mit den Polizeibehörden hat er dann dafür gesorgt, dass die Sicherheit an Stadien und Fanzonen deutlich verstärkt wurde. Für den Job als Verbindungsmann ist Lambert genau der Richtige: Der Bauernsohn aus Ostfrankreich hat die typische Laufbahn eines Pariser Spitzenbeamten hinter sich, studierte einst an der Kaderschmiede Ena, machte dann Karriere in Ministerien und als Präfekt. Mit Frankreichs Machtzentralen ist er bestens vernetzt. In den Räumen des EM-Ausrichters Euro 2016 SAS am Pariser Trocadéro hat er natürlich das größte und hellste Büro. Aber Lambert räumt ein: "Verglichen mit 1998 habe ich mit der Euro 2016 nicht den gleichen Spaß. Wir hatten weniger Freiheit, die Uefa ist aufdringlicher." Eine Spitze gegen Kallen.

EURO 2016 Kick Off Press Conference

Oberster Vermarkter: Martin Kallen, 52, zugleich Herr über die Marken Champions League und Europa League, hat die EM zum Multimilliardenbusiness ausgebaut.

(Foto: Getty)

Der ist es nun einmal, der aus einem deutlich kleineren Büro in einem Nebengebäude des Uefa-Hauptquartiers am Genfer See die Vorbereitung der EM gesteuert hat. Jetzt, kurz vor Turnierstart, meldet der Mann mit der Gelfrisur: "Mehr als 99 Prozent aller Tickets sind verkauft." Das zählt. Der 52-Jährige bekennt sich zum Fußball als durchkommerzialisiertes Konsumgut. Als er, der einstige Lehrling bei den Schweizer Bahnen, bei der Uefa anfing, lag der Umsatz mit Europameisterschaften bei 150 Millionen Euro. Heute entspricht das dem Nettogewinn, den Kallen vom Turnier in Frankreich erwartet. Der Umsatz wiederum soll die Rekordsumme von 1,9 Milliarden Euro erreichen. Obgleich Kallen zugeben muss, zumindest das Geschäft mit teuren Tickets für Firmenkunden erreiche "eine Grenze, wo einfach Schluss ist".

Kallen verhehlt nicht, dass seine vierte EM die bisher schwierigste ist - wegen der Terrorgefahr. Das Produkt Europameisterschaft ist gegen Anschläge nicht versichert. Das sei bei früheren Turnieren nie nötig gewesen, so Kallen. Nach den Attentaten vom November seien die Prämien unbezahlbar geworden, hat der mächtige Schattenmann kürzlich dem Wirtschaftsmagazin Capital gestanden.

Kallen muss jetzt hoffen, dass die Europameisterschaft genau so endet, wie sein Pendant Jacques Lambert sich den eigenen, glücklichen Karriereschluss ausgemalt hat, als er ein einziges Mal die Zurückhaltung aufgab: "Am Abend des Finales werde ich merken: Scheiße, jetzt ist es aus." Und trotzdem alles gut.

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