EM-Nominierungen:Loyal, wie immer

Lesezeit: 3 min

Teamchef Rudi Völler nominiert sein Aufgebot für die EM: Brdaric ist dabei, Podolski hat eine Chance

Von Christian Zaschke

München - Es hat ihn wieder erwischt: Oliver Neuville muss zu Hause bleiben, wenn sich die deutsche Fußball-Nationalmannschaft am heutigen Dienstag im Elztal zur Vorbereitung auf die EM trifft. Das war schon vor vier Jahren so, als der damalige Bundestrainer Erich Ribbeck ihn in letzter Sekunde aus dem EM-Aufgebot strich.

Ergebnis: Erst geriet das Gefühlsleben des armen Neuville vollkommen durcheinander, dann geriet die Nationalmannschaft vollkommen durcheinander, blamierte sich bei der EM und musste zurück nach Hause fahren und zusehen, wie die Franzosen das Turnier gewannen. Gut möglich, dass sich die Geschichte wiederholt, und dass diese Wiederholung mit jenem Gespräch begonnen hat, in dem Teamchef Rudi Völler dem Stürmer Neuville sagte: "Olli, ich nehme dich nicht mit."

Statt des Leverkuseners Neuville steht nun der Hannoveraner Thomas Brdaric im Kader. Dieser hatte sich in Leverkusen nicht durchsetzen können und erlebte zuletzt in Hannover einen Aufschwung, der auch Völler beeindruckte: "Es ist eine leistungsbezogene Nominierung", sagte der Teamchef. Er befand, dass Brdaric "in vielen Spielen überragend" agiert habe, besonders gefiel ihm die Art und Weise, auf die Brdaric seine Treffer erzielt hat: "Er hat viele Tore nach Kontern geschossen und seine Schnelligkeit ausgespielt. Das hat man von deutschen Spielern selten gesehen. In der Bundesliga hat am ehesten Ailton seine Tore so erzielt." Welch erstaunliches Kompliment für Thomas Brdaric.

Von diesen Personalien abgesehen gab es keine Überraschungen. Im Sturm nominierte Völler Miroslav Klose und Kevin Kuranyi, sowie Fredi Bobic trotz dessen schwacher Saison bei Hertha BSC. Bobic hat in der Qualifikation einige wichtige Tore erzielt, und Völler verhält sich loyal zu verdienten Spielern, immer schon. Zuletzt waren zunehmend Forderungen nach jungen Spielern laut geworden, insbesondere nach dem 18 Jahre alten Lukas Podolski vom 1. FC Köln.

Völler gab dem öffentlichen Druck nicht nach, er krempelte den Kader nicht um. Doch er ließ einen Platz im Aufgebot unbesetzt. Statt der möglichen 23 Spieler benannte er lediglich 22. "Der fehlende Spieler wird aus dem Kader der U21 nach der U21-Europameisterschaft nominiert", erläuterte Völler.

Bis zum 2. Juni muss der Teamchef sich entscheiden. "Das ist eine Idee, die ich schon länger im Hinterkopf hatte. Ich habe noch keinen Namen genannt, aber wer meine Aussagen verfolgt hat, weiß, dass zwei Namen in Frage kommen. Lukas Podolski hat die besten Chancen, das kann ich ehrlich sagen." Der zweite Name ist Bastian Schweinsteiger vom FC Bayern, beziehungsweise "Sebastian" Schweinsteiger, wie Völler ihn nannte.

Vielleicht hat er wehmütig an den Beinahe-Namensvetter Schweinsteigers gedacht, an Sebastian Deisler, der wie angekündigt nicht im Aufgebot steht.

Dessen Kreativität wird dem deutschen Spiel fehlen, auch wenn das Mittelfeld der qualitativ am stärksten besetzte Mannschaftsteil ist. Das WM-Mittelfeld Hamann, Ballack, Frings und Schneider ist wieder zusammen, dazu kommen wie gewohnt Kehl, Jeremies und Freier, sowie Fabian Ernst, der bei Werder Bremen eine sehr gute Saison gespielt hat.

Sein Teamkollege Frank Baumann ist ebenfalls nominiert, er wird in der Kaderliste als Abwehrspieler geführt, obschon er in Bremen Teil der viel beschriebenen Mittelfeld-Raute ist.

Im Aufgebot stehen elf Spieler, die jünger als 25 Jahre sind. "Das ist im Moment sicherlich positiv", sagte Völler, "weil es heißt, dass wir viele Talente haben. Obwohl ich diese Hysterie um die jungen Spieler nicht mitmachen darf." Völler ist da Realist, außerdem gab es in der Bundesliga allerlei Anschauungsunterricht in Sachen junge Spieler.

Der VfB Stuttgart, der junge und ältere Profis zu einer Einheit formte, spielt seit zwei Jahren erfolgreich. Der TSV 1860 München, der diese Mischung nicht fand, stieg am vergangenen Samstag ab. Völler sagt: "Ohne die Älteren geht es nicht."

Deshalb hätte er auch Carsten Ramelow nominiert, wenn dieser nicht in der vergangenen Woche seinen Rücktritt erklärt hätte. Völler verwies noch einmal auf die Verdienste des Leverkuseners, insbesondere bei der WM 2002, er zeigte sich auch im Abschied loyal. Vielleicht gibt es auch für den unglücklichen Neuville noch eine Möglichkeit, von dieser Loyalität zu profitieren. Christian Rahn vom HSV steht im Kader, obwohl er angeschlagen ist.

"Wenn er in zehn, zwölf Tagen nicht die nötige Fitness erreicht, muss ich einen Spieler nachnominieren", sagte Völler. Das könnte Fahrenhorst sein, oder Rehmer oder Böhme. Oder Neuville.

© SZ vom 25.5.2004 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: