EM 2008: Italien:Mauern, mörteln, murksen

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Italien rechnet nach dem enttäuschenden Aus gegen Spanien mit Trainer Roberto Donadoni ab - aber der will partout nicht gehen. Denn so schlecht fand er die Leistung seiner Elf wirklich nicht.

Birgit Schönau

Was kann man auch von einem Trainer erwarten, der in einer solchen Sommernacht ein Unterhemd trägt? Und es hervorlugen lässt, das Untertrikot, in der Nacht der Nächte aufblitzen lässt unter der Klubjacke, dem Designerhemd, dem schweren Tuch des Made in Italy? Ja, ist denn November? Waren denn Stürme zu befürchten, Temperaturstürze, Hagelschauer, alles das, was eine italienische Mutter zu dem Spruch veranlasst hätte, den Generationen von Italienern verinnerlicht haben: Und zieh dein Wollhemd an. - Aber es ist Mitte Juni, Mamma. - Robertino, man weiß nie. Am Ende fühlst du kalt am Bauch.

Auch bei Luca Toni lief nichts zusammen bei dieser Europameisterschaft. (Foto: Foto: AFP)

"Unterhemd! Das hätte Lippi niemals getan", lästert die Gazzetta. Noch nicht mal im November! Was Lippi auch nicht getan hätte: Toni Torlos 120 geschlagene Minuten auf dem Platz lassen, Simone Perrotta viel zu lange beim Stolpern zusehen, Daniele De Rossi anstatt Alessandro Del Piero den dritten Elfmeter schießen lassen. Was Lippi sicher nicht geboten hätte: Gegen Spanien zwei Stunden mauern, mörteln, murksen. Vier EM-Spiele ohne ein einziges Stürmertor - ach was: Ohne ein einziges Tor aus einer Offensivattacke. Und später sagen: "Wir gehen erhobenen Hauptes. Auf dem Platz wurden wir nicht besiegt. Es tut mir Leid für die Tränen der Jungs."

Hölzernes Symbol

Die Azzurri hatten ihr Viertelfinale gegen die Spanier gespielt, wie Männer spielen, die im Juni ein Unterhemd tragen. Sehr, sehr vorsichtig. Sehr, sehr brav. Und ehrlich. Die Schwalben flogen die Spanier. Wenn sie keine Schwalben flogen, sondern beispielsweise David Villa von Massimo Ambrosini beim Eintritt in den Strafraum umgepflügt wurde, sah Schiedsrichter Herbert Fandel nicht hin und gab auch keinen Elfmeter.

Pünktlich zum Viertelfinale demonstrierte Italien einen Rückfall in alte Zeiten, die man seit 2006 überwunden glaubte: Mit allerdings beeindruckender Energie und Standhaftigkeit zerstörte Roberto Donadonis Mannschaft das offensive Kurzpassspiel der Spanier, ließ Torres und Villa an vielen, kleinen Mauern zerschellen, die eilfertig schon im Mittelfeld aufgezogen wurden und versuchte sich ihrerseits noch nicht einmal halbherzig an einem ordentlichen Konter.

Selbst der sonst so fintenreiche Dribbelkünstler Antonio Cassano (den man in den vergangenen Tagen ebenfalls öfter im Unterhemd gesehen hatte), beschränkte sich auf eine einzige verwertbare Flanke für Toni. Und Toni, dessen Schnurrbart leider ziemlich auf ein isabellenfarbenes Wollhemd in Aussteuerqualität verweist, Toni war einmal mehr das hölzerne, ängstliche Symbol der Squadra Azzurra. Das hochgelobte Mittelfeld vom AS Rom (De Rossi, Perrotta, Aquilani) konzentrierte sich mit aller Macht auf die Vorneverteidigung - Aquilani absolvierte überdies einen Viertelmarathon unter sorgfältiger Vermeidung lästiger Ballkontakte.

Gegen Spanien stand die Abwehr wieder sicher

Der einzige Gegner, der es verstand, dem italienischen Labyrinth immer wieder zu entschlüpfen, war David Silva. Der 22-jährige Mittelfeldspieler vom FC Valencia fand Lücken in der erstmals überzeugenden italienischen Abwehr, störte öfter den friedlich dösenden Gianluigi Buffon aus seiner Ruhe. Zum Zittern brachte Buffon aber Marcos Senna, da patzte der Weltmeister-Keeper, und hatte Glück, dass der Ball knapp neben dem Pfosten landete.

Erst in der Verlängerung strebten die Italiener nach vorn, viel zu spät, viel zu fahrig, viel zu kraftlos. Dass sie beim Elfmeterschießen den jüngeren, motivierteren, mutigeren Spaniern unterlagen, war nicht logisch, aber gerecht. Buffon hatte mit einer spektakulären Parade im Vorrundenspiel gegen Rumänien das vorzeitige Aus der Azzurri verhindert, er war über lange Strecken der beste italienische Spieler im Turnier. Gegen Spanien war nur Giorgio Chiellini herausragend, der 23 Jahre alte Verteidiger von Juventus Turin, der knapp vor der EM-Eröffnung Abwehrchef Fabio Cannavaro verletzt hatte.

Ohne Cannavaro war die Abwehr zunächst unsicher und konfus erschienen, gegen Spanien stand sie fest. Dafür wurden die Probleme in der Offensive überdeutlich. Nach zwei Jahren und einer recht überzeugend gespielten EM-Qualifikation gleicht Donadonis Squadra einer Dauerbaustelle. Beim EM-Turnier hangelte sie sich von Spiel zu Spiel, schaffte es mit Ach und Krach und Hollands Hilfe ins Viertelfinale. Die Presse hatte den spröden Donadoni schon vorher abgeschrieben. Am Montag verabschiedete sie ihn, vielleicht vorzeitig.

Auf der nächsten Seite: Warum Donadoni alle Rücktrittsgerüchte abblockt - und Marcello Lippis Rückkehr trotzdem eine ausgemachte Sache zu sein scheint.

In den nächsten Tagen werde es ein Treffen mit dem Commissario Tecnico geben, hat Verbandschef Giancarlo Abete angekündigt. "Ich würde nicht sagen, dass dies die EM von Donadoni war. Es war die EM der Italiener", erklärte Abete. Er hatte Donadonis Vertrag erst 14 Tage vor dem Turnier unterschrieben, das wurde allgemein nicht als Vertrauensbeweis gewertet. Der Kontrakt gilt bis 2010.

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Ich denke gar nicht daran, zu gehen"

Und Marcello Lippis Rückkehr scheint trotzdem ausgemachte Sache zu sein. Der Weltmeistertrainer hatte in den vergangenen Monaten immer wieder mal signalisiert, dass ihn die viele Freizeit in seinem Heimatort Viareggio an der toskanischen Küste nun doch ein wenig langweile. Donadoni blockte am Abreisetag alle Rücktrittsgerüchte ab: "Ich denke gar nicht daran, zu gehen. Bis jetzt bin ich dazu auch gar nicht aufgefordert worden. Wenn ihr frischere Nachrichten habt, lasst es mich wissen." Ein bisschen mehr Glück beim Elfmeterschießen hätte gereicht, so Donadoni, "und die Mannschaft würde in den Himmel gelobt".

Nicht ganz. Denn ein bisschen mehr Glück als Kirsche auf der Verhinderungstorte all'italiana - das ist mittlerweile selbst in Italien einfach zu wenig. Es hat sich nämlich herumgesprochen, dass Fußball kein Synonym für Leiden und Hoffen ist. Vor allem, wenn man dazu das Unterhemd auszieht.

© SZ vom 24.06.2008/pes/mb - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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