Volleyball-EM in Polen:Wie Hammer-Schorsch Deutschland ins Finale führte

Volleyball-EM in Polen: Deutschland Trainer Andrea Giani nach dem Sieg gegen Serbien.

Deutschland Trainer Andrea Giani nach dem Sieg gegen Serbien.

(Foto: AFP)
  • Die deutschen Volleyball-Männer erreichen erstmals in ihrer Geschichte das Finale einer Europameisterschaft.
  • Das Team holt noch ein 0:2 gegen Serbien auf.
  • Entscheidend sind Rückkehrer Georg Grozer, genannt Hammer-Schorsch, und Trainer Andrea Giani.

Von Johannes Kirchmeier

Andrea Giani postierte sich am Netz. Er stand da erwartungsfroh, bis ihm seine Spieler entgegenkamen. Dann schloss er einen jeden in die Arme. Christian Fromm umarmte er, Marcus Böhme, auch Simon Hirsch. Namen, die volleyballferne Sportfans wohl eher nicht kennen. Namen allerdings, die sie sich merken sollen. Denn gemeinsam mit Giani haben sie am Samstagabend Großartiges vollbracht. Nach dem 3:2 (24:26, 15:25, 25:19, 27:25, 15:13) gegen Serbien stehen die deutschen Volleyballer im Finale der Europameisterschaft in Polen (Sonntag, 20.30 Uhr). Gegner ist dann der Rekordtitelträger Russland, der Belgien 3:0 besiegte. Die erste EM-Medaille überhaupt ist den Deutschen damit sicher. Giani, italienischer Rekordnationalspieler, hat die Nationalmannschaft also gleich in seinem ersten Jahr als Bundestrainer zu deren größten Erfolg bei einer EM geführt.

"Das ist unglaublich", sagte Giani und lobte die Aufholjagd seines Teams nach 0:2-Satzrückstand: "Wir haben unsere Identität gefunden. Ein starker Charakter ist so wichtig, und die Mannschaft hat ihn." Das hat auch viel mit einem Rückkehrer zu tun, den nur ein Trainer wie der hoch dekorierte Giani zum Comeback überzeugen konnte. Denn eigentlich wollte Georg Grozer ja gar nicht mehr dabei sein bei der EM. Er hatte im Januar des vorigen Jahres seinen Rücktritt verkündet, nach der verpassten Qualifikation für Olympia in Rio de Janeiro war Schluss für Grozer. Er wollte mehr Zeit mit der Familie verbringen.

Doch dann rief ihn Giani an, lud ihn nach Polen zur EM ein, und Grozer erhörte den Ruf. "Hammer-Schorsch" nennen sie ihn ja wegen seiner großen Schlaghärte, die die Nationalmannschaft nun ins Finale führte. Wie schon zuvor beim 3:1 gegen Tschechien im Viertelfinale punktete der 32-Jährige (20) am eifrigsten für die Deutschen. "Georg gibt uns unglaublich viel Kraft. Er ist eine Persönlichkeit, an der sich die jungen Spieler aufrichten können", sagte Kapitän Lukas Kampa der ARD bereits vor dem Spiel.

Im ersten Satz schreit Trainer Giani seine Spieler an

Die Deutschen waren ja schon frohgemut ins Halbfinale gegangen, weil die Serben auf der anderen Seite des Netzes standen und nicht Angstgegner Bulgarien, an dem die Auswahl des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV) unter anderem bei der EM 2015 gescheitert war. Gegen Serbien wiederum erreichten Grozer und seine Mitspieler schon in den vergangenen sechs Duellen fünf Siege. Doch dass so eine Bilanz am Ende doch wurscht ist, zeigten dann die Serben, die auch aufgrund ihrer starken langen Aufschläge deutlich besser loslegten. Sie waren so im ersten Satz zunächst immer ein, zwei Punkte vorn. Nachdem Grozer zu Beginn schon zum dritten Mal geblockt wurde, stand es sogar 9:14. Giani musste seine Spieler schon anschreien in der Auszeit. Die kamen daraufhin zum späten Ausgleich (22:22) und gestalteten den Satz lange offen, bis Srecko Lisinac einen Angriffsball der Deutschen zum 26:24 blockte.

Auch in Satz zwei starteten die Serben stärker, waren schnell 10:5 vorne, später 16:11. Als die Kamera Nationaltrainer Giani in den Fokus nahm, kaute der so heftig auf seinem Kaugummi herum, als wollte er eine Schrottpresse imitieren, die gerade ein Auto zermalmt. Es wirkte, als würde sich der EM-Sieger von 2001 und 2011 durch seine Erfahrung in solch wichtigen Spielen rasch durchsetzen, sieben der 14 deutschen Nominierten spielen ja ihr erstes Turnier. Sie konnten nicht mehr aufholen, im Gegenteil. Serbien legte noch einmal ein paar Steine auf die ohnehin schon hohe Mauer drauf: 25:15.

Dass die Deutschen sich aber so schnell nicht geschlagen geben wollen, zeigte Kampa in der Auszeit: "Wir sind gar nicht schlechter als Serbien", schrie er. "Wir müssen nur unseren Aufschlag gut bringen und an uns glauben." Die Anweisung haben sich seine Mitspieler recht schnell zu Herzen genommen. Die Abwehr stand deutlich besser und Grozer kam mit seinen Schmetterschlägen plötzlich leichter durch den serbischen Block: Nach der zwischenzeitlichen 17:10-Führung kam Serbien nur zwischenzeitlich noch einmal heran, 25:19 und 1:2 nach Sätzen hieß es nach dem dritten deutschen Satzball. Den hatte Grozer verwandelt: Wie so oft holte er tief Luft, sprang aufgeblasenem Mund am Außenrand des Netzes hoch und schmetterte den Ball in den Block der Serben, von wo aus er ins Aus plumpste.

Ende des vierten Satzes wehren die Deutschen zwei Matchbälle ab

Der deutliche Satzverlust war den Serben ein Weckruf. Im vierten Abschnitt waren sie das stärkere Team, bestimmten die Ballwechsel. Doch nach gewonnenen Punkten versagten ihnen immer häufiger die Nerven. Ein Aufschlag nach dem anderen landete im Aus, sodass der Satz der engste des ganzen Spiels werden sollte. Immer wieder herrschte Gleichstand auf der Anzeigetafel (14:14, 16:16, 21:21, 23:23). Und die Deutschen konnten zum Ende hin auch zwei Matchbälle der Serben abwehren zum 24:24 und 25:25. Nach einem Videobeweis hatte dann die DVV-Auswahl sogar Satzball, den erneut Grozer verwertete, mit einem prächtigen Block zum 27:25.

Ähnlich eng sollte es dann nach einer zehnminütigen Pause im entscheidenden Tiebreak zugehen. Erst nach dem Seitenwechsel sollte sich Serbien zum 10:8 erstmals etwas absetzen, bevor Deutschland konterte. Nach einem von Simon Hirsch genau auf die Linie gezimmerten und per Videobeweis bestätigten Aufschlag stand es 11:10 für die DVV-Auswahl. Die erste Chance zum Matchgewinn beim Stand von 14:12 ließen die Deutschen noch aus, das zweite Angebot wurde verwertet. Nach dem letzten Block des Spiels zum 15:13 stand auf der Anzeigetafel: 3:2 für Deutschland - nach einem fast dreistündigen Kraftakt. "Es ist verwirrend, ich kann das im Moment noch gar nicht fassen, einfach unglaublich", suchte Grozer nach Worten. Das Team jubelte ausgiebig. Natürlich. Und Andrea Giani postierte sich schon mal lächelnd am Netz.

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