EM 2008: In Klagenfurt:"Die Deutschen bringen die Sonne mit"

Morgen tritt die deutsche Nationalelf zum ersten EM-Spiel in Klagenfurt an. Die Einwohner treffen die letzten Vorbereitungen, üben sich im Jogi-Löw Jargon und warten auf den Ansturm der deutschen Fans.

Jürgen Schmieder, Klagenfurt

Der Mann muss mit Joachim Löw verwandt sein. Er steht am Spielfeldrand, die Arme hinter dem Rücken verschränkt. "Disziplin jetzt! Höchste Disziplin!", ruft er seinen Mannen zu. Die haben das Spielprinzip verstanden: Ein kurzes Dribbling, ein vertikaler Pass zum Mitspieler und sofort wieder zurück in die Formation. Das Spielfeld ist die "Fanzone" auf dem Neuen Platz in Klagenfurt, die Männer schleppen Bierfässer zu den einzelnen Ständen. Hier entsteht der Platz für die Fans, die kein Ticket bekommen haben - die Fanmeile, obwohl es in Klagenfurt eher aussieht wie ein Fanquadrat.

Klagenfurt, dpa

Deutsche Fans in Klagenfurt: "Wir haben auch ein paar Polen kennen gelernt, die kommen einfach mit."

(Foto: Foto: dpa)

Es geht ziemlich ruhig zu an diesem Freitagnachmittag in Klagenfurt, zwei Tage vor dem ersten EM-Spiel, das im Wörtherseestadion ausgetragen wird. Man hört das Piepen rückwärtsfahrender Lastwagen, die Helfer verrichten ihre Vorbereitungen mit einer Ruhe, die man gemeinhin den Schweizern zuschreibt. Die überdimensionale Großleinwand ist aufgebaut, die Sicherheitskameras zeichnen schon jeden auf, der über den Platz im Zentrum von Klagenfurt geht. An einer Straßenecke stehen zwei Polizisten und beobachten den Verkehr. Innerhalb von fünf Minuten fahren elf Autos vorbei. Drei davon haben österreichische Fähnchen am Fenster hängen.

EM-Fieber-Temperatur

Das Thermometer zeigt 18,5 Grad an, der Himmel ist bewölkt, es nieselt unentwegt. Würde dieses Thermometer auch die EM-Fieber-Temperatur anzeigen, wäre es wohl noch ein paar Grad kälter. Das liegt durchaus nicht daran, dass den Menschen in Kärnten die EM egal wäre oder dass sie nicht gastfreundlich wären - ganz im Gegenteil. An jedem Haus, jedem Café und jedem Stand kann man die Worte "Willkommen", "Witamy" und "Dobro došli" lesen. Deutsche, kroatische und polnische Fahnen sieht man ebenso häufig wie die österreichische, nur Flaggen mit den Logos der offiziellen Sponsoren kommen häufiger vor.

Die Menschen in Kärnten hoffen auf einen Tourismusboom, auch wenn der Tourismusberater Manfred Kohl warnt: "Die wirtschaftliche Rechnung während der Spiele geht nicht auf. Gewinner ist die Uefa, nicht der Tourismus." So viele EM-Besucher zusätzlich Betten legen, so viele blieben weg, die mit Fußball und dem damit verbundenen Lärm und Biergenuss und möglicherweise stattfindenden Raufereien nichts zu tun haben wollen.

Fußball-Tourismus-Floskeln

Die Einwohner freuen sich trotzdem - vor allem, weil der Weg für die Fans der Mannschaften (Polen, Kroatien und Deutschland), die in Klagenfurt antreten, nicht allzu weit ist. "Das bringt uns neue, internationale Gäste. Wir präsentieren uns von unserer besten Seite. Die Deutschen haben das vor zwei Jahren doch auch geschafft", sagt der Besitzer einer Pizzeria auf dem Neuen Platz. Er trägt ein Poloshirt, auf dessen Rücken ein kroatische Nationalfahne aufgenäht ist. "Ein bissl muss man sich schon positionieren", sagt er und weist darauf hin, dass es eine Pizza Hrvatska in seinem Lokal gibt.

Um den ausländischen Fußballfans zu gefallen, wird auf kaum eine Fußball-Tourismus-Floskel verzichtet. "Klagenfurt am Ball" heißt es an einer Straßenecke, "Wir hauen nur Italiener in die Pfanne" vor einer Pizzeria. Es wird die Frage gestellt: "Wer WIRT Europameister?" - Es geht um denn Wettbewerb des gastfreundlichsten Restaurants während der EM. Manche Kneipe rühmt sich gar mit polnisch-sprachigen Bedienungen.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die deutschen Fans nach Klagenfurt kommen.

"Die Deutschen bringen die Sonne mit"

Schwarz-rot-goldene Fake-Irokesen

Lokale für die deutschen Fans gibt es natürlich auch in Klagenfurt - allerdings noch keine Fans der deutschen Nationalmannschaft. Auf den zentralen Plätzen sieht man keine Menschen mit schwarz-rot-gold-bemalten Gesichtern, mit schwarz-rot-goldene Fake-Irokesen und im schwarz-rot-goldenem Bikini. Es gibt noch keine "Schlaaaaand"-Rufe und auch vom Oliver-Pocher-Lied ist - Gott sei Dank - noch nichts zu hören. "Wir erwarten die deutschen Fans wegen der kurzen Anreise erst am Samstagabend", sagt einer der Polizisten, die den Verkehr beobachten. Während er das sagt, wird die Ampel einmal grün und wieder rot, ohne dass ein Auto vorbeifährt.

Rund um das Wörtherseestadion ist das Treiben hektischer. Auf dem Parkplatz Nummer 13 steht ein riesiger Kran, der durch ein Seil mit dem Stadiondach verbunden ist. Menschen mit Security-Westen und Volunteer-Jacken laufen aufgeregt hin und her, an der Ticketausgabe versucht tatsächlich ein Mann mit einer Polen-Mütze, eine Karte für das erste Spiel zu kaufen. Er hat kein Glück.

Kein Gegröle, keine blöden Sprüche

Die provisorischen Stahlaufgänge zu den Tribünen klappern bei jedem Schritt, die Arena sieht eher aus wie ein überdimensionales Modell denn ein EM-Stadion. "Das sind Pfarrkirchen, obwohl so ein Ereignis Dome und Kathedralen verdient", schimpfte der Österreichische Fußballpräsident schon vor Wochen. Nach dem Turnier werden die zusätzlichen Bauteile in anderen Stadien verwendet. Die Menschen in Kärnten stört das wenig. "Die Mannschaften und die Fans werden sich hier pudelwohl fühlen", sagt einer der Ordner.

Am Samstag treffen die polnische und deutsche Nationalmannschaft ein, sie geben eine Pressekonferenz und trainieren im Stadion. Und auch die deutschen Fans sind nun da an diesem Vormittag. Ohne Gegröle, ohne blöde Sprüche gegen polnische Fans - im Gegenteil. "Wir machen jetzt eine Bootsfahrt über den Wörthersee", sagt ein Fan mit Gomez-Trikot. "Wir haben auch ein paar Polen kennen gelernt, die kommen einfach mit."

An diesem Samstagvormittag scheint die Sonne, es hat 23 Grad, über den Wörthersee fliegen ein paar Vögel. "Die Deutschen bringen die Sonne mit", sagt die Verkäuferin in einem Zeitungsladen. "Das Turnier kann beginnen, wir sind bereit." Auch sie muss mit Joachim Löw verwandt sein.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: