EM in Barcelona:Die Leichtathletik kämpft

Es waren schöne Tage in Barcelona für die deutsche Leichtathletik. Sie gewann so viele Medaillen wie schon lange nicht mehr. Dabei kämpft die Sportart um ihren Einfluss und auch die Athleten haben es nicht leicht.

Thomas Hahn

Vom Fernsehsessel aus betrachtet ist die Welt jetzt in Ordnung, denn ein warmer Medaillenregen ist niedergegangen auf die deutschen Leichtathleten bei der EM in Barcelona. Medaillen sind die Währung der Sportunterhaltung, mit ihnen kann man sich die Begeisterung der Leute erkaufen. Der Blick vom Fernsehsessel reicht nicht sehr weit, das ist für die deutsche Mannschaft ein Problem, weil es überzogene Kritik bedeuten kann, wenn der Medaillenregen nicht gleich einsetzt.

Hoffmann from team Germany competes to finish second in the women's 4 x400 metres relay final during the European Athletics Championships in Barcelona

Claudia Hoffmann, Schlussläuferin der deutschen 4x400-Meter-Staffel, freut sich über Silber.

(Foto: Reuters)

Aber es ist auch ein Vorteil: Ein verpatzter Staffel-Wechsel ist vom Fernsehsessel aus schneller vergessen, wenn der Speerwerfer danach Silber gewinnt. Und tiefere Betrachtungen zum Zustand des olympischen Kernsports verschwimmen erst recht, wenn Reporter-Jubel donnert und freudige Überraschungen wie bunte Blitze im Abendprogramm einschlagen.

Die Kritik am deutschen Team nach den ersten beiden medaillenlosen EM-Tagen ist überzogen gewesen. Die leistungssportliche Ausrichtung des Verbandes DLV sieht Führung mit Rücksicht auf den freien Wettbewerb der Ideen vor und ein strenges Bekenntnis gegen dopingförderndes Anspruchsdenken - das bleibt auch dann richtig, wenn die deutsche Mitfavoritin ihr Diskus-Finale verpatzt.

Und nun wiederum, da der DLV mehr Medaillen-Gewinne zählt als vor vier Jahren in Göteborg, braucht keiner zu glauben, dass alle Probleme weg sind. In Disziplinen wie dem Männer-Marathon muss der neue Schwung erst noch ankommen. Dass kein DLV-Zehnkämpfer in Barcelona am Start war, heißt nicht, dass es keine deutschen Talente gibt; im vergangenen Jahr starteten immerhin drei bei der WM in Berlin. Es spricht eher für Schwierigkeiten im Gesundheitsmanagement einzelner Athleten.

Aber auch der Sportstammtisch sollte sich mal überprüfen: Deutsche Leichtathleten als verwöhnte Steuergeld-Vernichter? Wer so tadelt, verkennt den Alltag von Halbprofis wie Linda Stahl, 24, Speerwurf-Europameisterin, oder Carsten Schlangen, 29, EM-Zweiter über 1500 Meter, die neben dem Sport zielstrebig ihre Studien in Medizin bzw. Architektur vorantreiben.

Sie stehen für eine Generation weltoffener junger Leute, die in der Medien-Gesellschaft zwar manche Annehmlichkeit genießen mögen im Vergleich zu Erfolgsathleten der Nachkriegszeit - die aber auch einem schärferen, globalisierten Wettbewerb ausgesetzt sind - und zwar nicht nur im Sport.

Überhaupt gehen die Herausforderungen der deutschen Leichtathletik weit übers Medaillenholen hinaus. Wegen ihrer Vielfalt hat sie einen schweren Stand im modernen Wettkampf-Entertainment gegen übersichtlichere Formate wie die Formel 1. Sie kämpft um ihren Platz im Bewusstsein der Leute und damit um ein Bewusstsein für Bewegungskultur in Zeiten des Fernsehsesselsports.

Sie kämpft um ihren Einfluss im Schulsport, der durch die Einführung der Ganztagsschule neue Chancen für die Vereine bieten kann, wenn sie sich klug einbringen. Es waren schöne Tage in Barcelona. Aber es ist gut, nachdenklich zu bleiben. Zu viel Zufriedenheit macht dick.

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