Leichtathletik-EM:Gold für den jüngsten Dreispringer der EM-Geschichte

Athletics European Championships 2016

Mag es kaum glauben: Max Heß, 19, gewinnt die erste deutsche Dreisprung-Medaille im Freien seit 2002.

(Foto: dpa)

Die deutschen Leichtathleten sammeln weiter ihre Fleißkärtchen bei der EM in Amsterdam. Der junge Max Heß zeigt die erstaunlichste Darbietung.

Von Johannes Knuth, Amsterdam

Max Heß setzte die ersten Grußbotschaften ins Publikum ab. Er nahm den warmen Applaus entgegen, der von der Tribüne herunterschwappte, nur ganz kurz, aber Heß konnte sich das jetzt schon einmal gönnen. Als frisch vereidigter Europameister im Dreisprung. Dann lief der neue Europameister hinein in seinen letzten Versuch, getragen von der Gewissheit eines erstaunlichen Erfolgs.

Heß war im zweiten Versuch erst nach 17,20 Metern gelandet, so weit war er noch nie gesprungen, und derart weit würde auch niemand mehr springen an diesem Abend im Olympiastadion von Amsterdam, das stand längst fest. Heß hatte den dritten und vierten Versuch geschwänzt, Kraft sammeln, falls die Konkurrenz ihn noch einmal übertreffen würde. Aber der letzte Konter war gar nicht mehr nötig.

Die deutschen Leichtathleten sammelten auch am vorletzten Tag weiter ihre Fleißkärtchen bei dieser EM in Amsterdam. Christoph Harting verpasste mit 65,13 Metern zwar als Vierter knapp das Podium, mit zehn Medaillen fällt der Geschäftsbericht des Verbands aber schon jetzt besser aus als in Zürich vor zwei Jahren.

Stabhochspringerin Lisa Ryzih benötigte eine Weile, ehe sie in der windigen Nacht ihre Reiseflughöhe erreichte, 4,70 Meter bescherten ihr dann eine Silbermedaille, es war ihr nächster beachtlicher Ertrag nach ihrer Bronzemedaille von 2010. Auch Speerwerferin Linda Stahl wurde Zweite, sie hatte zuletzt einiges in Bewegung gesetzt, um im letzten Jahr ihrer Karriere zu reüssieren, unter anderem nimmt sie fünf Monate unbezahlten Urlaub von ihrem Arztberuf, alles für Olympia in Rio.

In Amsterdam schob sie sich im letzten Versuch noch an Weltmeisterin Katharina Molitor vorbei (65,25). "Mein Trainer hat mir gesagt, er zieht mir das Fell über die Ohren. Ich habe dann einfach draufgekloppt, das hat dann ja funktioniert", sagte Stahl. Und die Zulassung für Olympia hat sie nebenbei ebenfalls erworben.

Heß' Trainer sagt, er traue dem Jungen alles zu

Und dann natürlich Heß, 19, vom LAC Chemnitz, der am Samstag die erste deutsche Dreisprung-Medaille im Freien seit 2002 erwirtschaftete, Charles Friedek hatte in München damals EM-Silber gewonnen. Zweiter wurde Karol Hoffmann (Polen/17,16), Dritter der Brite Julian Reid (16,75). Einen jüngeren Europameister hatte es in dieser Disziplin auch noch nicht gegeben. "Ein bisschen unbegreiflich", befand Heß.

Er traue diesem Jungen alles zu, hatte Heß' Trainer Harry Marusch vor der EM gesagt, wegen seiner Befähigung, seiner großen Unbekümertheit, mit der er sich großen Namen und Leistungsmessen nähert. Aber auf den bisherigen Verlauf dieses Geschäftsjahres hätten sie in Chemnitz wohl doch nicht gewettet - als hätte jemand die Vorspultaste gedrückt: Zweiter im Februar in der Halle, bei der (noch nicht allzu üppig besetzten) WM in Portland mit 17,19 Metern. Im Juni der erste deutsche Meistertitel bei den Erwachsenen (17,06). Mitfavorit für die EM in Amsterdam, eine Rolle, die Heß erst gar nicht von sich schob. Europameister, warum nicht?

"Ich kann das immer noch nicht glauben."

Es ist rund vier Jahre her, dass Heß in der Trainingsgruppe von Marusch in Chemnitz vorstellig wurde, er brachte ordentliche Weitsprung-Werte mit, aber Marusch fiel noch etwas anderes auf: die Schnelligkeit. Wenn man Heß heute bei seiner Arbeit zuschaut, dann ahnt man, warum: Er springt schon auch ab, ausgestattet mit einer veritablen Sprungkraft, aber er interpretiert den Dreisprung eher als dreimaliges Weiterlaufen.

"Das sind viele Komponenten", sagte Heß am Freitag, als er seinen Erfolg decodieren sollte, besondere Erwähnung fand Charles Friedek, der Weltmeister von 1999, mittlerweile als Bundestrainer tätig. "Er ist wie ein zweiter Trainer, er kann mir noch mal die entscheidenden Tipps geben", sagte Heß. Friedek hat viel unternommen, damit sich der deutsche Dreisprung aus dem Loch heben konnte, das sich nach seinen Titeln aufgetan hatte. In Kristin Gierisch und Jenny Elbe stellen sie am Sonntag ja auch zwei Finalistinnen bei den Frauen.

Max Heß ließ noch einmal den Wettkampf an sich vorbeiziehen. "Ich konnte nicht mehr wirklich gegensteuern, mein Fuß hat das ein bisschen verhindert. Ich musste hoffen, dass die anderen nicht mehr weiter springen", sagte er, "sie können alle wirklich weit springen". Dann fügte Heß noch an: "Ich kann das immer noch nicht glauben."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: