EM-Gegner:Umnebelt vom Mythos Cordoba

In Österreich haben die WM-Helden von 1978 das Fußball-Geschehen bis heute im Griff.

Michael Smejkal

Ein Los versetzt ein Land in Euphorie: Dass just Deutschland bei der bevorstehenden Europameisterschaft in Wien auf Gastgeber Österreich treffen wird, bezeichneten Österreichs Medien durchwegs als Glückslos sondergleichen. ,,Österreich lebt seit 30 Jahren davon'', kommentierte der Kurier, und damit ist man schon beim Datum, das die Emotionen auslöst: 21. Juni 1978. Cordoba. Auf der einen Seite Österreich, in der WM-Zwischenrunde 1978 nach Niederlagen gegen Italien und die Niederlande bereits ohne Chance aufs Weiterkommen. Der Gegner: Deutschland, damals der noch amtierende Weltmeister. Am Ende kam ein Ereignis heraus, das in Österreich noch heute jedes Kind schlicht als ,,Cordoba'' kennt, denn der Außenseiter siegte 3:2 und bekämpfte damit für einen Moment den latent anhaltenden Minderwertigkeitskomplex, unter dem man gegenüber den Deutschen seit Jahrzehnten leidet. ,,Es wird keinen Österreicher geben, der bis zum 16. Juni 2008 nicht mindestens einmal noch alle Tore von Cordoba sehen wird'', sagte der euphorische österreichische Bundeskanzler Alfred Gusenbauer am Sonntagabend, und es gibt wohl keinen Menschen, dem bis dahin die österreichische Staatsbürgerschaft verliehen wird, ehe er die Torschützen von Cordoba aufzählen kann: Eigentor Berti Vogts und dann zwei Mal Hans Krankl.

Josef Hickersberger

Josef Hickersberger, Chef der Baustelle Nationalmannschaft

(Foto: Foto: Reuters)

,,Dieses Los hat die Euro aus österreichischer Sicht schon gerettet'', kommentierten am Montag die Salzburger Nachrichten. ,,Mit viel Glück können wir das schaffen'', titelte die Boulevardzeitung Krone auf der Seite 1. Woher der plötzliche Optimismus in einem Land rührt, welches in der Fifa-Weltrangliste zwischen Armenien und Kongo auf Rang 91 abgerutscht ist, ist zwar für einen Außenstehenden schwer zu erklären, aber der Mythos Cordoba umhüllt zwischen Stephansdom und Bodensee fast alles. Daher gab es kaum einen Interviewpartner, der am Montag vor ein Mikrofon getreten ist und nicht gemeint hätte, dass es wieder Zeit für ein neues Cordoba sei - fast auf den Tag genau 30 Jahre später.

Dabei ist Cordoba eigentlich nur ein Mythos, der erst im Laufe der Jahre Glanz bekommen hat. So war das österreichische Team längst nicht die strahlende Einheit, als die es immer dargestellt worden war. Vor allem zwischen Stürmerstar Hans Krankl und dem begnadeten Mittelfeldspieler Herbert Prohaska stimmte schon seit Turnierbeginn die Chemie nicht. Teamchef Helmut Senekowitsch, erst am 9. September dieses Jahres verstorben, war bei dem damaligen ÖFB-Boss Karl Sekanina in Ungnade gefallen, seine Ablösung nach der WM galt als sicher. Und ob der restriktiven Sicherheitsvorkehrungen unter der argentinischen Militärjunta war eine Art Lagerkoller im Team ausgebrochen. ,,Wir wollten alle nur noch nach Hause'', erinnerte sich Herbert Prohaska später an die Ereignisse. ,,Der Sieg war nett, aber bedeutungslos, und irgendwie fühlten wir uns nicht als die Sieger, weil wir ja das Halbfinale verpasst hatten.''

Umnebelt vom Mythos Cordoba

Als das Team am Flughafen Wien-Schwechat angekommen ist, gab es die eigentliche Überraschung: Fußball-Fans in Euphorie empfingen Helden, die sich gar nicht so gefühlt haben. Das hat mit der wohl legendärsten Rundfunk-Reportage zu tun, die es im ORF gab. Der Radio-Reporter Edi Finger schrie ob Krankls Siegtor: ,,I wer narrisch'' (zum Nachhören: www.galerien.mediathek.at/Argentina_78). Das ist längst zu einem Stück rot-weiß-roter Zeitgeschichte geworden, und auch das passt in das mythenverhangene Bild: Noch am Vortag forderte Finger vom Teamchef die Eliminierung des Mannes, der nach dem 21.Juni 1978 nicht nur in seinem Wiener Heimatbezirk Hütteldorf wegen seiner beiden Tore und des folgenden Transfers zum FC Barcelona nur noch ,,Goleador'' gerufen wurde.

Ob Cordoba tatsächlich ein Glücksfall für den österreichischen Fußball war, darüber gehen drei Jahrzehnte später die Meinungen immer weiter auseinander. ,,Österreich konnte nichts Schlimmeres passieren als dieser Sieg'', sagte Paul Breitner einmal. Die Helden von Cordoba haben noch heute den österreichischen Fußball fest im Griff: Prohaska und Krankl wechselten sich als Teamchefs ab, Schachner und Jara gelten nach der Euro 2008 als Nachfolge-Kandidaten des ehemaligen Mitstreiters Hickersberger. Das Wort der ,,goldenen Generation'' gilt noch viel - ob die Protagonisten auch immer auf der Höhe der Zeit sind, ist ein Thema, das in Österreich nicht weiter hinterfragt wird.

(SZ vom 4.12.07)

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