EM-Gastgeber:Frankreichs Hoffnung liegt in Moskau

Portugal v France - EURO 2016 - Final

Paul Pogba nach dem Abpfiff in Saint-Denis.

(Foto: REUTERS)

"Nur ein Blauer hat wirklich Fußball gespielt": Nach der Niederlage im EM-Finale analysieren die Franzosen ihre Schwächen. Wohin geht ihr Weg?

Von Claudio Catuogno, Saint-Denis

Die Zweiten bekommen keinen Pokal. Die Zweiten bekommen eine Silbermedaille und eine Umarmung vom Staatspräsidenten, der wiederum selbst dringend getröstet werden müsste. Staatspräsidenten stehen ja auch lieber auf der Seite der Gewinner.

Und dann kommen den Zweiten irgendwann die Tränen. Manchen schon auf dem Rasen. Manchen erst in der Umkleidekabine. Dem französischen Mittelfeldspieler Blaise Matuidi kamen die Tränen am Sonntagabend an der Brust des Präsidenten François Hollande, und wer Matuidi dort hat schluchzen sehen, der wird nie mehr sagen, dass es doch nur ein Fußballspiel war, das die Franzosen am Sonntagabend verloren haben.

Didier Deschamps bekam nicht nur keinen Pokal, er bekam als Trainer der französischen Nationalelf auch noch eine silberne Aluminiumtafel, in die ein riesiges dreidimensionales Uefa-Logo eingelassen ist. Wer will so etwas überreicht bekommen in seinem Leben? Aber Deschamps - das war zu erwarten gewesen, das ist quasi sein Markenkern - blieb auch in der Niederlage korrekt und besonnen, er klemmte sich also die Plakette unter den Arm und lief die Tribünenstufen wieder hinunter. Hier ließ er sich einen tröstenden Klaps auf die Schulter geben, dort erwiderte er ein aufmunterndes Kopfnicken - und dann wäre er um ein Haar mit der Plakette die Treppe hinuntergefallen.

Generation Platini, Generation Zidane - und diesmal?

Das wäre es jetzt noch gewesen. Oben feiert Cristiano Ronaldo mit EM-Pokal, unten liegt Didier Deschamps mit Uefa-Plunder auf der Nase - aber Deschamps hat dann sein Gleichgewicht gerade noch wiedererlangt. Er schwankte, doch er fiel nicht. Jetzt muss er versuchen, dass auch seine am Boden zerstörten Spieler nicht allzu tief fallen.

"Didier", hat ein französischer Journalist nach dem 0:1 n. V. gegen Portugal in der Pressekonferenz angemerkt, "die Spieler sind ja noch sehr jung, oder?" Da hat Didier Deschamps tatsächlich einmal kurz gelächelt. "Ja, stimmt", sagte er. "Wir waren 2014 im WM-Viertelfinale, jetzt im Finale, wir werden als Gruppe weiter wachsen." Deschamps wird auch der Trainer dieser Gruppe bleiben, mindestens bis zur WM 2018 in Russland. Das Problem ist nur, dass eine solche Chance wie diesmal so bald nicht mehr kommen wird.

Als die Franzosen 1984 die EM ausrichteten, holte die "Generation Platini" den Titel, als sie 1998 die WM im Land organisierten, triumphierte die "Generation Zidane", die man aber auch Generation Deschamps hätte nennen können: Er war damals schon der geborene Anführer der Mannschaft. Und diesmal? "Es hat das Wichtigste gefehlt", sagte Deschamps am Sonntagabend in Saint-Denis.

Er meinte: Es fehlte ein Tor. Es fiel und fiel und fiel einfach keines, egal, wer es versuchte, Moussa Sissoko, Antoine Griezmann. In der Nachspielzeit versuchte es der eingewechselte Stürmer André-Pierre Gignac mit einer wunderbaren Körperdrehung im Strafraum - der Ball drehte sich an den Pfosten. Vielleicht wollte Deschamps es danach zu sehr erzwingen, dieses Tor - "ja", räumte er ein, "wir haben in der Verlängerung alles getan, um zu treffen und der Lotterie Elfmeterschießen auszuweichen. Vielleicht haben wir Portugal da etwas zu viel Raum gegeben".

Griezmann wird ausgezeichnet

Womöglich wird Deschamps und den Franzosen aber auch noch bewusst werden, dass ein bisschen mehr gefehlt hat als nur dieses eine Tor. In der Gruppenphase konnten sie sich an den späten Treffern von Dimitri Payet aufrichten, in der K.-o.- Runde berauschten sie sich daran, dass nun Griezmann einen Lauf hatte; mit sechs Treffern wurde der Stürmer von Atlético Madrid der beste Torschütze der EM. Die Trophäe nahm er ohne jede Regung entgegen. Aber die passgenauen Aktionen der Einzelkönner täuschten bisweilen darüber hinweg, dass die Mannschaft als Ganzes auch viele Schwächen aufwies.

"Es sind ja viele, viele Sachen passiert in den letzten Monaten, einige davon nicht sehr schön, manche gar nicht schön", hatte Deschamps am Tag vor dem Spiel noch mal in Erinnerung gerufen. Gar nicht schön war zum Beispiel die Affäre um den Stürmer Karim Benzema von Real Madrid, der ein paar Jugendfreunden geholfen haben soll, den Nationalelf-Kollegen Mathieu Valbuena mit einem Sexvideo zu erpressen. Die Staatsanwaltschaft ermittelt, Benzema gilt vorerst als "nicht berufbar".

Auch nicht schön waren die immer neuen Verletztenmeldungen, insbesondere von Abwehrspielern. Samuel Umtiti, 22, wäre vor einem halben Jahr auf der Innenverteidiger-Rangliste von Deschamps eher so um Rang acht gestanden. Nun hat er in seiner jungen Karriere drei Länderspiele gemacht: Viertelfinale, Halbfinale, Finale.

Doch vor allem Griezmann hat viele Mängel überdeckt mit seiner Technik und seiner Kaltschnäuzigkeit vor dem Tor. "Nur ein Blauer hat wirklich Fußball gespielt", lautete ja bereits das Urteil der französischen Sporttageszeitung L' Équipe nach dem 2:0 im Halbfinale gegen die Deutschen, "die französischen Ballbesitzphasen" wären "inexistent gewesen" ohne Griezmann.

Paul Pogba hingegen konnte nie das Versprechen einlösen, das nicht zuletzt er selbst formuliert hat mit seiner permanenten Ankündigung, der beste Spieler der Welt zu werden. Am Montagmorgen war er auf dem Titel von L' Équipe, von seinem Gesicht sah man nichts, das hatte er in seinem Trikot vergraben. Man sah aber den Stern, den er sich eigens für dieses Finale auf sein Nackenhaar hatte färben lassen.

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