EM-Auftakt der DFB-Elf:Mustafi setzt zum Streckflug an

EM-Auftakt der DFB-Elf: Da kam er geflogen: Shkodran Mustafi erzielt mit einem Wumms-Kopfball das 1:0.

Da kam er geflogen: Shkodran Mustafi erzielt mit einem Wumms-Kopfball das 1:0.

(Foto: AFP)
  • Was für ein EM-Auftakt für Shkodran Mustafi - der Innenverteidiger aus Valencia spielt sich mit einem mutigen Auftritt gegen die Ukraine ins Team.
  • Seinen ersten Länderspieltreffer erzielt er mit aller Wucht.
  • Bundestrainer Joachim Löw muss sich überlegen, ob er Mustafi nun wieder draußen lassen kann.

Von Thomas Hummel, Lille

Es gibt Gemeinheiten im Leben, die werden von anderen später als Glücksfall interpretiert. Was es für den Betroffenen nur noch bitterer macht. Seit der Weltmeisterschaft in Brasilien kursiert eine nicht verstummende Verschwörungstheorie, nach der allein Shkodran Mustafi für den Sieg der Deutschen verantwortlich sei. Nicht, weil er so wahnsinnig toll gespielt hätte. Sondern weil er sich im rechten Moment ein Muskelbündel riss.

Im furchterregenden Achtelfinale gegen Algerien war Mustafis WM nach 70 Minuten beendet, und der Legende nach blieb nun Bundestrainer Joachim Löw nichts anderes mehr übrig, als Philipp Lahm aus dem Mittelfeld nach rechts hinten zu verschieben. Diese Umstellung, von vielen schon vorher gefordert, habe erst die deutsche Wunschelf hervorgebracht, die in Rio den Titel holte.

Das alles fällt selbstredend in die Kategorie der üblen Nachrede. Mustafi hatte nie behauptet, ein besonders guter Rechtsverteidiger zu sein. Er schuftete da draußen rechtschaffen, doch hätte ihn jemand gefragt, er hätte sicher lieber in der Mitte verteidigt. Vor dem Auftaktspiel dieser Europameisterschaft wäre niemand mehr auf die Idee gekommen, den 24-Jährigen in die Nähe einer Seitenlinie zu versetzen. Lange rechnete ohnehin keiner damit, dass ihn Löw überhaupt einsetzen würde. Doch dann stand er im Stade Pierre Mauroy von Lille gegen die Ukraine in der Startelf. Sogar auf seiner Lieblingsposition.

Der Innenverteidiger Shkodran Mustafi profitierte dabei von der Verletzung von Mats Hummels, der noch ein paar Tage braucht nach seiner Muskelverletzung aus dem Pokalfinale. Er profitierte auch von der schweren Kreuzband-Verletzung von Antonio Rüdiger, der am Samstag am Knie operiert worden war.

"Erfolgreich", wie sein Klub AS Rom mitteilte, dennoch wird es ein halbes Jahr dauern, bis Rüdiger wieder auf dem Platz stehen wird. Tauchte also wieder Mustafi auf, dieser unbekannteste aller deutschen Nationalspieler. Der Sohn albanischer Einwanderer aus Mazedonien hat ja noch nie in der Bundesliga gespielt, sondern treibt sich seit eh und je in den großen Ligen Europas herum. Doch es dauerte diesmal nicht lange, da stellte er sich nachdrücklich bei den deutschen Anhängern vor.

Welch eine Dynamik!

Nach 19 Minuten flog ein Freistoß von Toni Kroos herein, und wie man das schon aus Brasilien kennt, haben sich die Deutschen dabei einiges ausgedacht. Diesmal hieß die Variante: Ball auf Mustafi. Der hielt seinen Gegenspieler auf Abstand und hob ab zu einer Art Streckflug durch den ukrainischen Strafraum, an dessen Ende ein wuchtiger Kopfball zum 1:0 ins Netz sauste. Es war die Art von Dynamik, die Mustafi auch in der Primera Division beim FC Valencia zu einem gefürchteten Kopfballspieler machen.

Nachdem Mustafi ausgiebig mit den Kollegen gejubelt hatte, zeigte die Stadionregie auf der Anzeigetafel pikanterweise Mats Hummels, der auf der Bank mit den Kollegen feixte. Der Neu-Münchner soll ja am Donnerstag in Saint-Denis gegen Polen zurückkehren und mit Boateng ein unüberwindliches Weltmeister- und Neu-Bayern-Duo bilden. Doch kann man Mustafi, den Helden von Lille, einfach so aus der Mannschaft nehmen?

Als Facharbeiter in der Abwehr hatte er phasenweise wie seine Kollegen erheblich zu kämpfen mit den ungewöhnlich mutigen Ukrainern. Schon anfangs verlor er einmal den Ball leichtfertig, woraus die erste Chance für Ewgen Konopljanka entsprang. Doch Torwart Manuel Neuer hielt hier ebenso wie später, als Mustafi ein Kopfballduell gegen Ewgen Chatscheridi verlor. In etlichen anderen Zweikämpfen stellte er sich wesentlich besser an.

Gerade in der tumultartigen Phase vor der Halbzeit musste er mit Kollege Boateng mehrmals die vorletzte Rettung (vor der letzten Rettung Neuer) geben. Einige dieser Zweikämpfe waren so spektakulär, dass die deutschen Zuschauer fast so laut jubelten wie bei seinem Tor. Nur einmal patzte er richtig: seine Kopfballrückgabe segelte fast ins eigene Tor (88.).

Also: Eine Verletzung von Shkodran Mustafi wird bei dieser EM nicht mehr zur Verschwörungstheorie missbraucht werden. Und Philipp Lahm kann der Bundestrainer auch nirgendwo mehr hinversetzen.

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