Elfmeter im WM-Eröffnungsspiel:Diskret gepuscht

Referee Yuichi Nishimura of Japan gestures for a penalty during the 2014 World Cup opening match between Brazil and Croatia at the Corinthians arena in Sao Paulo

Schiedsrichter Yuichi Nishimura (2.v.r.): Unter Beobachtung

(Foto: REUTERS)

Ein gutes Abschneiden der Seleçaõ hat höchste Priorität für alle, die für und mit dieser WM arbeiten, die sie schützen und die daran verdienen. Deshalb ist es eine gute Idee, genau zu beobachten, wie die Schiedsrichter mit der brasilianischen Elf verfahren.

Ein Kommentar von Thomas Kistner

In Brasilien wird ein explosives Gemisch angerührt. Das steht außer Frage, seit der Confed-Cup 2013 erst Tausende, dann Hunderttausende auf die Straße trieb und Fußball ausgerechnet dort zur Nebensache wurde. Seitdem spielen zwei Fragen mit: Wiederholt sich das, kann die Sache gar eskalieren? Es bleibt offen - festhalten lässt sich aber, dass die Lage angespannt ist. Sehr angespannt. Dass an der Copacabana, wo der Fußball-Weltverband Fifa und Sponsoren - wie üblich auf kommunale Kosten - einen riesigen Vergnügungspark hochgezogen haben, der Protestzug sogar buht, wenn ein Tor für Brasilien fällt, war eher nicht zu erwarten.

Frage zwei hängt mit Frage eins zusammen und birgt schon nach dem Eröffnungsspiel reichlich Sprengstoff. Auch bei früheren Weltmeisterschaften war ja die klare Tendenz zu sehen, das gastgebende Team mehr oder weniger diskret zu puschen. Denn der Verbleib des Gastgebers im Turnier ist maßgeblich für Stimmung und Vermarktungschancen im Veranstalterland. Was könnte, was muss also in Brasilien alles passieren, wenn es eng wird für die Gastgeber?

Es braucht keine Verschwörungstheorie, um diese Tatsache festzuhalten: Ein früher K.o. der Seleção wäre ein enormer Schlag für dieses Turnier. Würden sich die Menschen daraufhin ruhig zurückziehen von den Straßen und Stadien, die sie als Milliardengräber anprangern - und die dann nur noch Teams aus anderen Ländern nutzen? Die Organisatoren haben viele Optionen durchgespielt, auch die schlimmste, die ja schon beim Confed-Cup als Verschlussache auf dem Tisch lag, nachdem sich Funktionäre, Sponsoren und ihre Gäste nicht mehr in den offiziellen Ausrüsterfahrzeugen zum Stadion begeben konnten. Zum Turnierabbruch fehlte 2013 in Brasilien nicht viel.

Das Spiel verfügt weiter über sehr viele subtile Mittel, um von außen gesteuert zu werden

Ein gutes Abschneiden der Seleção hat höchste Priorität für alle, die für und mit dieser Veranstaltung arbeiten, die sie schützen und die daran verdienen. Dummerweise gibt es ein einfaches Mittel, solch ein gutes Abschneiden abzusichern. Deshalb ist es eine gute Idee, genau zu beobachten, wie die Schiedsrichter mit der Seleção verfahren.

Es ist womöglich kein Zufall, dass ausgerechnet der Fußball, der reichste und manipulationsanfälligste Sport des Globus, den Videobeweis scheut wie der Teufel das Weihwasser. Wäre, wie heute in fast allen großen Sportarten, ein Oberschiedsrichter mit Bildschirm im Stadion gewesen, hätte er kurz nachgeschaut und dem Referee zugefunkt: kein Elfer, Gelb für den Laiendarsteller Fred. So aber bleibt es dabei: Die Funktionäre pochen, auf Kosten der Referes, auf einen Restbestand an angeblich erwünschten "menschlichen Fehlern". Was man auch so sehen muss: Das Spiel verfügt weiter über viele subtile Mittel, um von außen gesteuert zu werden.

Und von oben. Bei der Weltmeisterschaft 2002 in Südkorea/Japan war das in haarsträubender Deutlichkeit zu erkennen: Südkorea wurde durch die K.-o.-Runde gelotst, dass allein das Filmmaterial für eine Klage reicht. Der Sport schloss flott die Akte des Referees Byron Moreno aus Ecuador, der die Partie Südkorea gegen Italien verpfiffen hatte. Moreno wurde übrigens später in den USA mit fünf Kilo Heroin am Körper erwischt und ins Gefängnis gesteckt.

Natürlich darf niemand behaupten, der japanische Referee Yuichi Nishimura hätte das Spiel mit Absicht zugunsten Brasiliens gekippt. Dafür gibt es keinen Beweis. Es hat sich aber ein ungutes Gefühl ausgebreitet, und dieses Gefühl darf sich nicht verstärken. Es ist wie eine gelbe Karte für die Funktionäre, die ja auch für die Schiedsrichteransetzung zuständig sind. Sie stehen jetzt unter Beobachtung. Eine so einseitige - und einschneidende - Fehlerkette wie die Nishimuras darf sich nicht wiederholen. Auch, weil dieses Turnier garantiert keinen weiteren Krisenherd verträgt.

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