Eklat beim 1. FC Nürnberg:Brisante fränkische Kleiderordnung

Karlsruher SC v 1. FC Nuernberg - 2. Bundesliga

Die Trikots, bitte: Fans konfiszieren die Leibchen der Nürnberg-Spieler

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Ultras nehmen nach einem desolaten Auftritt des 1. FC Nürnberg den Spielern die Trikots ab - eine Grenzüberschreitung im deutschen Fußball. Für Sportvorstand Martin Bader kommt dies kurz vor der Aufsichtsratswahl zur Unzeit.

Von Markus Schäflein, Nürnberg

Wer etwas über den Einfluss der Ultras beim 1. FC Nürnberg wissen möchte, kann bei Fritz Stahlmann nachfragen. Im April 2012 spielte der Club gegen Schalke, nebenan fand das Nürnberger Volksfest statt, und im beliebten Zelt "Hax'n Liebermann", das von Stahlmann betrieben wurde, war natürlich eine Fußballübertragung angesagt. Allerdings lief dort nicht das Club-Spiel, sondern die Konferenzschaltung; dekoriert war das Zelt zu allem Überfluss mit FC-Bayern-Schals.

Da Stahlmann Aufsichtsrat beim 1. FCN war, löste dies einen Skandal aus, im Internet brach eine Wutwelle los. Es kursierten Aufrufe, Stahlmanns Hax'n-Zelt zu boykottieren. Ein Club-Anhänger, der sich "Hans Wurscht" nannte, fand: "Die hätten ihm sein Scheiß-Zelt in Schutt und Asche legen müssen." Und ein anderer: "Der gehört auf dem eigenen Spieß gedreht." Sachlichere Kommentatoren merkten an, Stahlmann sei als Aufsichtsrat "nicht mehr tragbar". Und tatsächlich: Fritz Stahlmann wurde nach einer groß angelegten Kampagne bei der Neuwahl im Oktober 2013 nicht mehr in den Aufsichtsrat gewählt.

Am Dienstag stehen wieder Aufsichtsratswahlen an, und auch diesmal sorgen die Ultras im Vorfeld für Diskussionsstoff. Sie zwangen die Spieler nach der miserablen Leistung beim 0:3 in Karlsruhe und dem Fehlstart in die zweite Bundesliga mit sechs Punkten aus sechs Spielen, ihre Trikots abzugeben. Laut einem Fan-Blog seien die Kicker "nicht würdig", die ruhmreichen Leibchen zu tragen; im Internet kursierten Fotos der konfiszierten Kleidungsstücke, wie sie fein säuberlich an einer Wäscheleine in einer Lagerhalle der Ultras hängen. Die Mannschaft, hieß es in dem Blog, habe "so wenigstens ihre Demut gegenüber Verein und Kurve gezeigt". In Italien und Südamerika, so argumentieren die Anhänger, sei diese Geste ganz normal.

In Deutschland war sie es bisher nicht - und diese Grenzüberschreitung der Ultras kommt gerade für Sportvorstand Martin Bader zur Unzeit. Denn bei den Wahlen wird eine Mehrheit des Aufsichtsrats neu besetzt, und es wird eine Gruppe mit dem Titel "Pro Club 2020" um den Unternehmer Hanns-Thomas Schamel antreten. Der so genannte Meerrettich-König von Baiersdorf macht keinen Hehl daraus, dass eine weitere Zusammenarbeit mit Bader und Finanzvorstand Ralf Woy aus seiner Sicht recht unwahrscheinlich wäre; zudem sagt er mit eindeutiger Blickrichtung, der Club dürfe "nicht in Abhängigkeit von Personen kommen, die ein Feindbild statt ein Leitbild anstreben".

Kaum Proteste, aber diverse Ärgernisse

Auf die zahlreichen Stimmen der Ultras, so scheint es, wird sich Bader bei der Mitgliederversammlung verlassen können. Schließlich hat er ihnen in der Vergangenheit Wünsche erfüllt, von einer eigenen Kampagne ("Ich bereue diese Liebe nicht") bis zur Abschaffung der Torhymne; zudem befindet sich Bader in einem regen Austausch mit den Ultras und aktiven Fans, die in einem komplizierten Geflecht aus Organisationen von der "Rot-Schwarzen Hilfe" über das "Bündnis aktiver Clubfans" bis hin zur "IG Zukunft" organisiert sind und derzeit zwei Vertreter im Aufsichtsrat haben. Viel Zeit und Geduld hat Bader aufgewendet, um dort anzudocken. Größere Proteste gegen den sportlichen Misserfolg hat er damit zwar lange verhindert, allerdings nicht diverse Ärgernisse wie eine Serie von Pyrotechnik-Vorfällen, die zu einer Teilsperre des Stadions führte.

Und das erst einmal lobenswerte Bemühen Baders um die Hardcore-Fans wird in Tagen des Machtkampfs auch kritisch gesehen. Über die Ideen Schamels sagte Bader etwa: "Dann ist der Club eine Marke statt ein Verein, es gibt Events statt Fußballspiele und Klatschpappen statt Choreografien." Angesichts der Wortwahl ist es recht offensichtlich, auf welche Zielgruppe die Aussage gemünzt war. Der Weg zwischen sinnvoller Kooperation mit den Ultras und Anbiederung ist für Bader unversehens zu einem schmalen Grat geworden; selbst die Nürnberger Nachrichten schrieben nach dem Vorfall von Karlsruhe: "Offensichtlich ist die dominante Rolle der Ultras von Vereinsseite geduldet." Bader müht sich, diesen Eindruck zu vermeiden.

Zumal er den Vorfall von Karlsruhe inhaltlich nicht mehr tolerieren kann - nur der Trainer und der Sportvorstand haben ja zu entscheiden, wer das Trikot trägt. "Die Spieler haben auch nach solchen Auftritten Respekt verdient", betonte Bader in der Bild-Zeitung: "Wenn sie schlecht spielen, sind sie trotzdem würdig, dieses Trikot zu tragen. Es muss Grenzen geben."

Trotz dieser Maßregelung werden sich die Ultras am Wahlabend kaum der Gegenseite zuwenden. Sie haben bereits deutlich Stellung gegen Schamel bezogen, der mit "Pro Club 2020" die Mehrheit im Aufsichtsrat anstrebt. Unter den 16 Kandidaten für fünf Plätze in dem neunköpfigen Gremium hat Schamel "drei direkte Unterstützer" und "noch fünf Kandidaten, die ihre volle Unterstützung zugesagt haben, aber aus wahltaktischen Gründen alleine antreten". Zudem kann sich Schamel auf die Loyalität des bereits in dem Gremium befindlichen Günther Koch verlassen.

Allerdings ist in der wohl ebenso langwierigen wie turbulenten Versammlung gar mit einem Antrag auf Abwahl Kochs zu rechnen. Der frühere Club-Reporter des Bayerischen Rundfunks arbeitet mittlerweile regelmäßig für die BBC, bei Champions-League-Spielen und Länderspielen. Die Engländer finden es zum Brüllen komisch, wenn da ein Deutscher mit Bierglas sitzt, der in akzentuiertem Englisch Kommentare zum Spiel abgibt; und noch lustiger sieht der Deutsche aus, wenn er einen FC-Bayern-Schal trägt. Kochs Auftritt nach dem Champions-League-Finale der Münchner gegen Dortmund kursiert auf Youtube unter dem Titel "Drunk football correspondent (funny)". Die Ultras zeigen das Video im Blog unter dem Hinweis, damit beginne "die Berichterstattung zu den auf die Mitglieder zukommenden wichtigen Entscheidungen". Fritz Stahlmann lässt grüßen.

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