Eisschnelllauf:Knaller in Gangneung

Die deutschen Athleten überraschen bei der Weltmeisterschaft in Südkorea - Claudia Pechstein gewinnt mit 45 Jahren Silber.

Von Alexander Mühlbach

Am Ende des größten Tages seiner Eisschnelllauf-Karriere legte Nico Ihle seine Silbermedaille unter das Kopfkissen. Noch immer konnte der 31-Jährige nicht glauben - so erzählte er es später -, dass die Auszeichnung ihm gehörte. So, wie alles an diesem Wochenende unglaublich war. Dass er bei den Eisschnelllaufweltmeisterschaften im südkoreanischen Gangneung über 500 Meter in 34,66 Sekunden die Konkurrenz bis auf Sieger Jan Smirkens hinter sich ließ. Dass er am nächsten Tag Vierter über 1000 Meter wurde. Und dass nicht nur er eine Medaille gewann, sondern auch noch seine beiden Teamkollegen: Patrick Beckert mit Bronze über 10 000 Meter und Claudia Pechstein, die unermüdliche Eisschnellläuferin, die mit 45 Jahren Silber über 5000 Meter holte. "So ein Knaller war ja mal fällig", sagte Ihle.

Es gab vor diesem Wochenende nicht viele bei der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft (DESG), die damit rechneten, nach drei von vier WM-Tagen bereits drei Medaillengewinner im Team-Hotel begrüßen zu können. Zu präsent waren immer noch die Erinnerungen an die vergangenen Großereignisse, bei denen der einst sehr erfolgreiche Verband plötzlich nicht mehr erfolgreich war. Man mag sich da an Olympia 2014 erinnern, als die DESG erstmals seit 50 Jahren keine Medaille gewann. Oder die WM 2015, als Beckert zwar Bronze holte, das Team aber hinter den eigenen Ansprüchen zurückblieb. Oder 2016, als sich mit nur acht Athleten so wenige deutsche Eisschnellläufer für eine Weltmeisterschaft qualifizierten wie noch nie - und es wieder keine Medaille gab.

Eisschnelllauf - 5000 Meter Damen

Kleine Extra-Einlage mit Fahne: Claudia Pechstein belegte über 5000 Meter den zweiten Platz.

(Foto: Ahn Young-Joon/dpa)

Zudem hatte der Verband mit noch ganz anderen Problemen zu kämpfen. 2015 verlor er sechs Prozent seiner Mitglieder. So viele wie keine andere olympische Sportart. Zwar konnte der Mitgliederschwund gestoppt werden, aber die Breite an der Spitze fehlt weiter. Zudem klagten Athleten über das viel zu starre deutsche Trainingssystem. Beckert schloss sich deshalb einem niederländischen Privatteam an, anstatt weiter unter einem Bundestrainer zu trainieren. Prompt warf ihn die DESG aus der Sportfördergruppe der Bundeswehr.

Gute Nachrichten sind in der DESG zuletzt also selten geworden. Sportdirektor Robert Bartko hat den Verband im vergangenen Jahr deshalb komplett umgekrempelt. Als neuer Bundestrainer kam Jan van Veen, ein erfahrener Coach aus den Niederlanden. Dann wurde die Nachwuchsarbeit und Talentsichtung verändert und die Trainerausbildung verbessert. Aber Veränderungen brauchen Zeit. Hinter den Leistungsträgern Pechstein, Ihle und Beckert klafft in der Breite weiterhin eine große Lücke: beim Weltcup in Berlin schaffte es die Hälfte der WM-Starter nicht in die Top 10. Auch deshalb stapelte Bartko vor der WM tief: "Theoretisch sind sechs Medaillen drin, es können aber auch nur zwei oder eine oder sogar gar keine werden.""

Eisschnelllauf Berlin 28 01 2017 Saison 2016 2017 Weltcup 1000 m Herren Männer Denny Ihle GER

Auf dem Weg zu Silber: Nico Ihle wurde über 500 m nur vom Niederländer Jan Smirkens bezwungen.

(Foto: imago/Camera 4)

Dass das deutsche Team dennoch mehr als nur eine oder zwei WM-Medaillen gewann, liegt vor allem daran, dass die drei Leistungsträger bei diesen Weltmeisterschaften ihr ganzes Potenzial abrufen konnten. Auch wenn sie dafür ihren eigenen Weg gehen mussten. So gründete Pechstein im vergangenen Jahr in Berlin ihr eigenes Privatteam, wo sie ausschließlich mit Männern trainiert. Das soll ihr die nötige Härte bei den Wettkämpfen verleihen. Beckert, der Bronzemedaillengewinner über 10 000 Meter, bleibt in den Niederlanden und kommt nach seinem Eingewöhnungsjahr immer besser mit den höheren Trainingsumfängen zurecht. "Ich freue mich riesig, dass mein Plan so gut aufgegangen ist", sagte Beckert. Nur vor seinem Wettkampf erlebte er Unerfreuliches. Weil er im Stau steckte, sprang er aus dem Auto und rannte die letzte Strecke zur Anlage. "Ich war ein bisschen sauer, denn man trainiert das ganze Jahr für diesen Wettkampf, und dann passiert so etwas", sagte Beckert, der aber aus gutem Grund entspannt blieb: "Was dann passiert ist, ist natürlich megageil."

Und Ihle? Trainiert weiter mit seinem Bruder Denny in Chemnitz. "Ich bin in der Form meines Lebens", sagt Ihle. In zwei Wochen will er bei der Sprint-WM in Calgary den deutschen Rekord über 500 Meter knacken. Es wäre eine weitere gute Nachricht für die DESG.

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