Eisschnelllauf: Zweites Silber für Beckert:Um elf Uhr ins Bett

Stephanie Beckert holt nach einem furiosen Schlussspurt die zweite Silbermedaille. Die schüchterne Eisschnellläuferin kann als einzige das große Erbe der deutschen Langstrecklerinnen antreten.

Ihr erster Griff nach dem zweiten Silber-Coup ging zum Handy. Stephanie Beckert stand minutenlang im Innenraum des Richmond Oval und telefonierte mit "Mutti und Vati" in Erfurt, und immer wieder erschien ein strahlendes Lächeln auf ihrem Gesicht.

"Das sind meine ersten Olympischen Spiele, und ich bin einfach nur happy, dass es zwei Medaillen geworden sind", sagte die 21-Jährige später.

Damit es noch eine dritte wird, wollte Beckert um elf unbedingt ins Bett. Das Abschlusstraining am Donnerstagmorgen für die Teamrennen war wichtiger als die Party im Thüringen-Haus in Downtown Vancouver. "Jetzt kann ich ohne Druck in den Teamwettbewerb gehen. Ich werde alles geben", sagte sie.

Durchaus sympathisch, aber immer auch schüchtern, wortkarg und etwas angespannt präsentierte sie sich während ihres zweiten Interview-Marathons in Vancouver. Sie sei halt ein eher ruhiger Typ, sagte sie fast entschuldigend: "Für mich ist das immer noch alles neu. Natürlich bin ich wahnsinnig glücklich, aber ich werde mich erst richtig freuen, wenn ich wieder zu Hause bei der Familie bin."

Immer wieder musste die erfolgreichste deutsche Eisschnellläuferin der olympischen Wettkämpfe in Richmond eines klarstellen: Sie hat am Mittwoch Silber gewonnen und nicht Gold verpasst. 48 Hundertstelsekunden fehlten ihr im 5000-m-Rennen auf Olympiasiegerin Martina Sablikova. Die spindeldürre Tschechin, die bereits das 3000-m-Rennen vor Beckert gewann, hatte zudem den großen Vorteil gehabt, im Paar nach der Deutschen auf die Zeit ihrer Rivalin reagieren zu können.

"Das Duell Beckert gegen Sablikova wäre ein Reißer gewesen, und ich glaube, Steffi hätte gewonnen. Sie hat eine extreme Leistung gezeigt", sagte Bundestrainer Markus Eicher, und auch Beckerts großes Vorbild Gunda Niemann-Stirnemann verneigte sich: "Sie hat das Rennen ihres Lebens gemacht." Vor allem ihr unglaublicher Schlussspurt elektrisierte 7000 Fans im Richmond Oval.

Als sie die "1" auf der Anzeigetafel aufleuchten sah, riss sie beide Arme in die Höhe. Danach rettete Sablikova im letzten Paar den kleinen Vorsprung ins Ziel, nachdem sie vor der Schlussrunde noch 1,3 Sekunden in Führung gelegen hatte. "Es war zwar am Ende ganz knapp, aber ich bin trotzdem überglücklich mit Silber, und Martina ist einfach wieder unglaublich gut gelaufen", sagte Beckert, die um ein Haar jüngste deutsche Eisschnelllauf-Olympiasiegerin seit 30 Jahren geworden wäre.

Ihr Trainer Stephan Gneupel war schon einen Schritt weiter. "Steffi und Martina sind ein Jahrgang, es wird noch viele tolle Duelle geben", sagte Gneupel und dachte bei aller Freude über Beckerts Erfolg auch an sein Sorgenkind: "Ohne Schützi hätte sie das nie geschafft." Damit meinte er Daniela Anschütz-Thoms, die wieder einmal Vierte wurde und eine Medaille knapp verpasste - wie schon im 3000-m-Rennen am vergangenen Sonntag und insgesamt zum neunten Mal bei einem Saisonhöhepunkt.

Beckert unterstrich, dass sie als einzige Deutsche das große Erbe der deutschen Langstrecklerinnen Pechstein, Gunda Niemann-Stirnemann und auch Anni Friesinger-Postma fortführen kann. "Das war heute das Rennen ihres Lebens", lobte Niemann-Stirnemann Beckert und meinte über Sablikova: "Sie muss aufpassen. Eine junge Stephanie hat ihr gezeigt, ich bin auch da und du bist schlagbar."

Trotz Beckerts Erfolge konnten die Deutschen die Verbands-Vorgabe von sechs Medaillen nicht annähernd erfüllen und werden wohl erstmals seit 1976 ohne Olympia-Gold bleiben - wenn nicht im Teamlauf ein Wunder passiert. Ohne Druck nach dem Gewinn von 3000-Meter-Silber hatte sich Beckert konzentriert auf ihre Spezialstrecke vorbereitet und selbst TV-Aufnahmen in Downtown abgelehnt. "Meine Silbermedaille hat mich schon für die vielen Trainingskilometer entlohnt. So wollte ich die 5000 Meter nur noch genießen", meinte die Sportsoldatin.

Im Video: Sie hat allen Grund zur Freude, Stephanie Beckert präsentiert ihre Silbermedaille Nr.2 - gewonnen über die Distanz von 5000 Metern.

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