Eisschnelllauf und Doping:Claudia Pechsteins Erklärung im Wortlaut

Am Tag danach: Die Internationale Eislaufunion ISU hat Claudia Pechstein für zwei Jahre wegen Blutdopings gesperrt, die Athletin reagiert mit einer emotionalen Erklärung. Im Wortlaut.

Die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein ist von der Internationalen Eislaufunion ISU für zwei Jahre gesperrt worden - wegen Blutdopings. Der Verband hält die 37-jährige Rekordathletin für überführt, ihr Anwalt kündigte Einspruch beim Internationalen Sportgerichtshof CAS ein. Am Tag nach Bekanntwerden der Sperre reagiert Pechstein persönlich auf den Skandal: Die Erklärung der Olympiasiegerin im Wortlaut:

"Liebe User, liebe Fans, liebe Freunde des Eischnelllaufsports,

durch die zahlreichen Mails und Nachrichten per sms, die ich gestern bekommen habe, weiß ich, dass viele von Euch den Wunsch haben, hier, auf meiner Website, eine Stellungnahme von mir zu den Dopingvorwürfen gegen mich zu bekommen. Gerne komme ich dieser Bitte nach: Ich habe nicht gedopt! Natürlich ist mir klar, dass es jetzt viele geben wird, die sagen: "Na klar, das ist typisch, das haben die anderen Dopingsünder auch gesagt!"

Dem kann ich nicht mal widersprechen. Auch ich habe häufig so reagiert. Doch jedem der hier und heute, jetzt bei mir den gleichen Gedanken verfolgt, möchte ich bitten, nicht nur Schlagzeilen zu hören und zu lesen, sondern ganz genau hinzuschauen. Denn von mir gibt es in meiner rund 18jährigen Karriere nicht einen einzigen positiven Dopingbefund!

Und glaubt mir, ich bin in den vergangenen Jahren ein ums andere mal getestet worden. Im Training, beim Wettkampf, nach Siegen, nach Enttäuschungen, bei mir zu Hause, im Urlaub, selbst aus einer laufenden Kinovorstellung hat man mich herausgeholt und zur Dopingprobe gebeten. Alle negativ! Weder in meinem Blut noch in meinem Urin wurde jemals eine verbotene Substanz gefunden.

Die Erklärung dafür ist ganz einfach: Es wurde nie etwas gefunden, weil ich nie etwas Verbotenes genommen habe, mir nie Fremd- oder Eigenblut zugeführt habe, kurz: nie gedopt habe! So einfach ist das eigentlich! Aber leider nur eigentlich.

Denn da in meinem Blut anormale Retikulozytenwerte (Vorläufer der roten Blutkörperchen) gemessen wurden und diese nach Meinung eines dreiköpfigen ISU-Gerichts (das übrigens aus drei ISU-Mitgliedern bestand) nur durch Blutdoping entstehen können, hat man meine Karriere zerstört und mich für zwei Jahre gesperrt.

Und das, obwohl vom Gericht bestellte wissenschaftliche Gutachter die Meinung vertreten haben, aufgrund eines erhöhten Retikulozytenwertes könne kein verlässlicher Dopingnachweis geführt werden. Mögliche Ursachen könnten z.B. auch in einer Krankheit oder Anamolie des Blutes liegen.

Selbstverständlich habe ich mich bereit erklärt, mich auf mögliche Anomalien untersuchen zu lassen. Des weiteren habe ich ein mehrwöchiges Screening mit lückenloser Erhebung sämtlicher Blutwerte und EPO-Tests angeboten. Die ISU hat dieses Angebot leider ignoriert, mich stattdessen lieber für zwei Jahre gesperrt!

Natürlich werde ich die Untersuchungen trotzdem machen lassen. Denn auch ich möchte nur zu gerne wissen, warum ich solche anormalen Blutwerte aufweisen kann, ohne mich gedopt zu haben. Ich hoffe, dass diese Untersuchungen und Tests möglichst schnell zu einem Ergebnis führen, das die ganze Sache erklären kann.

Claudia, hast Du Dir wirklich nichts vorzuwerfen? Diese Frage muss ich mir natürlich jetzt häufig stellen lassen. Und ja, ich habe mir tatsächlich etwas vorzuwerfen. Und zwar, dass ich mich auf den "Kuhhandel" der ISU eingelassen habe, der mir zur Halbzeit der Mehrkampf-WM in Hamar unterbreitet wurde. "Wenn Du dich krank meldest, dann werden wir die Öffentlichkeit nicht informieren. Und die ganze Angelegenheit kann in aller Ruhe geklärt werden", wurde mir vorgeschlagen, als mir in der Nacht zum 8. Februar 2009 die Nachricht der gemessenen erhöhten Retikulozytenwerte überbracht wurde.

Meine Angst, öffentlich des Dopings beschuldigt zu werden und die Hoffnung, die Angelegenheit ohne Aufsehen klären zu können, waren stärker als mein Verlangen es heraus zu schreien, unschuldig des Dopings bezichtigt zu werden. Heute weiß ich, dass dies ein Fehler war. Ein Fehler vor allem deshalb, weil ich die Öffentlichkeit und meine Fans belogen habe. Dafür möchte ich mich entschuldigen.

Erst musste eine angebliche Erkältung herhalten, um mein Fehlen bei der WM zu entschuldigen. Anschließend waren ein hartnäckiger Virus und zu guter Letzt der daraus angeblich resultierende Trainingsrückstand die Ausreden für das Auslassen der restlichen Saisonwettkämpfe. Das alles hat weh getan. Nicht nur mir, sondern auch den anderen, die Bescheid wussten und gegenüber der Presse immer wieder auf eine unserer Ausflüchte zurückgriffen.

Für uns alle waren es Notlügen, verbunden mit der Hoffnung, vor einem objektiven ISU-Gericht, die öffentliche, unbegründete Dopingdiskussion abwenden zu können. Und wie heißt es so schön: Die Hoffnung stirbt zu letzt. Jetzt ist sie tatsächlich gestorben und mit ihr mein guter Ruf. Beides hat mir die ISU genommen. Meine Ehre können sie mir allerdings nicht stehlen.

Und von daher werde ich das tun, was ich am besten kann, kämpfen. Glaubt mir, die letzten Monate waren hart und nicht selten tränenreich. Aber ich weiß jetzt, das Schlimmste liegt hinter mir. Ich habe gestern eine öffentliche Hinrichtung über mich ergehen lassen müssen, habe den Dopingstempel aufgedrückt bekommen. Das Unvorstellbare ist tatsächlich geschehen, das Schlimmste, was einem Sportler passieren kann.

Ab jetzt kann es nur noch besser werden. Ab jetzt wird man meiner Sicht der Dinge Gehör schenken, wird die Wahrheit ans Licht kommen. Im Laufe des Tages werde ich mehrere Interviews geben, am Abend bin dann zu Gast im "Aktuellen Sportstudio". Presse, Funk und Fernsehen werden in den nächsten Tagen und Wochen eine ganz wichtige Rolle spielen.

Denn sicherlich werden die Journalisten jetzt hartnäckig recherchieren und nach Hintermännern und weiteren Indizien suchen, die mich belasten. Ähnlich wie bei den Aufsehen erregenden Dopingfällen im Radsport. Darauf freue ich mich, denn mein Dopingfall unterscheidet sich grundsätzlich von denen im Radsport. Weil es nämlich eigentlich überhaupt keinen "Dopingfall Pechstein" gibt.

Jede objektive Berichterstattung wird mich Schritt für Schritt entlasten. Es werden weder Ärzte gefunden, die mir beim Dopen geholfen haben, noch werden Zeugen auftauchen, die den Verdacht gegen mich erhärten. Es wird keine Blutbeutel und keine Spritzen geben. Es wird keine weiteren Indizien geben, die die ungeheuerliche Unterstellung der ISU stützen werden. Warum ich mir so sicher bin? Ganz einfach und noch einmal: Weil ich unschuldig bin und nicht gedopt habe!

Aus diesem Grund werden mein Anwalt Simon Bergmann und der Anwalt der DESG, Dr. Marius Breucker, Berufung vor dem Internationalen Sportgerichtshof CAS einlegen. Denn nicht nur für mich sind das Verfahren und das Urteil der ISU eine unglaubliche Ungerechtigkeit, die man auf keinen Fall hinnehmen darf. Und so bin ich mir sicher, dass das unabhängige CAS-Gericht die Sperre aufheben wird und ich in Vancouver 2010 die Chance bekommen werde, mir meinen Traum von einer 10. Olympiamedaille erfüllen zu können.

Ich weiß, dass ich unschuldig und sauber bin, wie wir Sportler sagen. Jeder andere kann es nicht wissen, sondern muss mir vertrauen und mir glauben. Oder auch nicht. Wer eher zu den Letztgenannten zählt, sollte bitte eines bedenken. Wahrscheinlich kann jeder von uns einmal in Konflikt mit dem Gesetz geraten. Im Berufsleben genau so wie z. B. im Straßenverkehr. Und wenn man dann als Beschuldigter vor dem Richter steht, muss man dann seine Unschuld beweisen? Oder muss der Ankläger nicht viel mehr die Schuld des Angeklagten beweisen?

Ich denke, wir können von Glück reden, in einem Land Leben zu dürfen, in dem so lange die Unschuldsvermutung gilt, bis die Schuld bewiesen ist. Ich würde mich freuen, wenn dies auch für mich gelten würde...

Also, bleibt mir gewogen, Eure Claudia Pechstein

PS: Vielen Dank für den großen Zuspruch, den ich (nicht erst) seit gestern erfahren durfte. Vor allem die komplette DESG-Spitze, angefangen von Präsident Gerd Heinze und Sportdirektor Günter Schumacher über Teamleiter Helge Jasch bis hin zum Teamarzt Gerald Lutz haben mich super unterstützt. Und nicht nur diese vier, sondern alle, die sich im Eisschnelllaufen auskennen, wissen, dass die letzte Runde meine stärkste ist. Und die kommt erst noch!"

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